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Gesundheits- und Sozialpolitik

KVNO-VV verurteilt grünes Licht für „Cannabisgesetz“

17.04.2024 Seite 18
RAE Ausgabe 5/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2024

Seite 18

Scharfe Kritik: Durch das „Durchwinken“ des umstrittenen „Cannabisgesetzes“ im Bundesrat sei die Bundesrepublik nun Lichtjahre von echter Drogenprävention und nachhaltigem Jugendschutz entfernt, sagte KVNO-Chef Dr. Frank Bergmann im Rahmen der Vertreterversammlung. © Aleksej/stock.adobe.com
Ein schwarzer Tag für Jugendschutz und Drogenprävention: Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Dr. Frank Bergmann, kritisierte zum Auftakt der Vertreterversammlung (VV) am 22. März 2024 das Votum des Deutschen Bundesrates, das umstrittene „Cannabisgesetz“ passieren zu lassen. Weitere Themen der Sitzung waren die angespannte Finanzlage des ambulanten Sektors und die Untätigkeit des Bundesgesetzgebers.

von Christopher Schneider

„Durch diese Entscheidung hat die Bundesrepublik gute Chancen, in die Champions-League der Drogen-Kriminalität aufzusteigen“ – mit deutlichen Worten kritisierte Dr. Frank Bergmann das Votum des Deutschen Bundesrates, das umstrittene „Cannabisgesetz“ passieren zu lassen. Es war der Auftakt zur Vertreterversammlung der KVNO im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft. Laut Bergmann hat es in den vergangenen Monaten keinen einzigen medizinischen Verband gegeben, der sich positiv zum Gesetz geäußert hat. Auch der KVNO-Vorstand habe das Vorhaben von Beginn an öffentlich aufs Schärfste kritisiert. Durch das „Durchwinken“ im Bundesrat sei man nun von echter Drogenprävention und von nachhaltigem Jugendschutz Lichtjahre entfernt. „Cannabis hat gerade bei jungen Erwachsenen negative Auswirkungen auf die Psyche. Der nun nahezu freie Konsum wird die ambulanten Versorgungsstrukturen in den kommenden Jahren vor erhebliche Herausforderungen stellen,“ sagte Bergmann.

Endbudgetierung aller Fachgruppen 

Weitere Herausforderungen ergeben sich dem KVNO-Chef zufolge auch aus der aktuellen gesundheitspolitischen Gemengelage, die Bergmann mit „viele Ankündigungen, bisher leider kein zählbarer Ertrag“ zusammenfasste. Den jüngsten Willensbekundungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zum Trotz seien bis zuletzt weder beim Bürokratieabbau oder der Abschaffung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen noch bei der angekündigten Entbudgetierung der Hausärzte konkrete Taten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gefolgt, so der KVNO-Chef. Dabei dränge insbesondere bei der ambulanten Finanzlage mehr denn je die Zeit: Wie Bergmann der VV berichtete, betrug die Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung in Nordrhein alleine in den ersten drei Quartalen 2023 insgesamt rund 385 Millionen Euro. „Und diese Mittel sind keine Extra-Zuwendung, sondern stehen den Kolleginnen und Kollegen als Honorar für ihre geleistete Arbeit zu, so wie andere Berufsgruppen auch vollständig für ihre Arbeit bezahlt werden“, betonte der KVNO-Vorsitzende. Er kündigte an, dass die KVNO sich auf Bundesebene weiterhin intensiv für eine vollständige Entbudgetierung aller Fachgruppen einsetzen werde. Entsprechende Schritte seien unter anderem im Rahmen der letzten VV der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bereits auf den Weg gebracht worden.

„Cannabis hat gerade bei jungen Erwachsenen negative Auswirkungen auf die Psyche. Der nun nahezu freie Konsum wird die ambulanten Versorgungsstrukturen in den kommenden Jahren vor erhebliche Herausforderungen stellen.“
    Dr. Frank Bergmann
 

Ihren eigenen Gestaltungsspielraum für eine Verbesserung der ambulanten Rahmenbedingungen hat die KVNO laut Bergmann zuletzt immer wieder positiv genutzt: So konnten etwa in der neuen Prüfvereinbarung mit den nordrheinischen Kassen die Regressbelastungen signifikant reduziert werden. Ebenso wurde mit den Kassen „als erster gemeinsamer Schritt“ eine Erhöhung des Finanzierungsvolumens für die Notdienststrukturen im Landesteil vereinbart. „Die Notdienst-Finanzierung muss aber insgesamt und zeitnah im Bund auf eine neue Basis gestellt werden“, so Bergmann. Dies betreffe insbesondere den Aspekt einer Vorhaltefinanzierung analog zum Krankenhausbereich – etwa für die wachsenden Betriebskosten der Portalpraxen oder zur Deckung steigender MFA-Gehälter. Hierzu stehe man „dem Gesetzgeber hartnäckig auf den Füßen“.

Neustart der ePA 2025: Testphase gefordert 

Ebenso deutlich Position im Sinne der Praxen bezog der KVNO-Vorstand auch beim Thema elektronische Patientenakte (ePA) für alle. Der für Januar 2025 vom Gesetzgeber angekündigte Neustart der Anwendung müsse unbedingt aufwandsarm in den PVS-Systemen der Praxen funktionieren. Hierzu bedarf es laut Bergmann vorab einer intensiven Testphase und ebenso Klarheit und Transparenz zu den Rechten und Pflichten der Niedergelassenen. Auch gelte es, die Krankenkassen in die Verantwortung zur Förderung der Digitalkompetenz der Versicherten beziehungsweise zur Aufklärung der Patientinnen und Patienten im Umgang mit der ePA in die Pflicht zu nehmen. „Die ePA ist eine ‚Patientenakte‘ und muss dementsprechend auch von diesen gehandhabt werden. Hier sind das BMG und vor allem die Kassen am Zug, die Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig zu informieren.“ Dass sich notwendige Aufklärungsarbeit – wie zu Jahresbeginn beim E-Rezept geschehen – auch 2025 wieder in die Praxen verlagere, ist nach Ansicht von Bergmann nicht erneut hinnehmbar. 

Gute Nachrichten konnte der KVNO-Vorstand zu einigen jüngeren Projekten im Rheinland verkünden: Die Übernahme der 116 117-Hotline in Eigenregie der KVNO sei die richtige Entscheidung gewesen. Erreichbarkeit und Serviceleistung der Rufnummer hätten sich in Nordrhein seit März 2023 erheblich verbessert. Auch die über die 116 117 zwischen Dezember und Januar vermittelte kinderärztliche Videosprechstunde der KVNO habe den pädiatrischen Notdienst im Landesteil erneut wesentlich entlasten können. 90 Prozent der Anrufer seien mit der medizinischen Beratung zufrieden gewesen. Während der Osterferien vom 23. März bis zum 7. April hat die KVNO diesen Service erneut angeboten.

Neues QS-Verfahren in Psychotherapie

Der KVNO-Vize, Dr. Carsten König, informierte die VV über das 2025 startende Modellprojekt des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur datengestützten Qualitätssicherung (QS) im Bereich der ambulanten Psychotherapie. Dieses solle auf G-BA-Beschluss für sechs Jahre in NRW erprobt werden und gelte für alle Patientinnen und Patienten ab 18 Jahre, die ihre Psychotherapie regulär beendet haben. Praxen müssen im Rahmen des Projektes bestimmte Angaben dokumentieren und an die KV übermitteln. Ebenso sollen Daten aus einer Patientenbefragung in das QS-Verfahren einfließen. „NRW wurde als Modellregion vom G-BA ausgewählt. Zusammen mit der KV Westfalen-Lippe werden wir uns für eine möglichst bürokratiearme Umsetzung stark machen. Ebenso ist klar, dass der gestiegene Zeit- und Technikaufwand für die Praxen kostendeckend gestaltet sein muss“, sagte König. Einem gleichlautenden Antrag einiger psychotherapeutischer VV-Mitglieder folgte das Plenum mit großer Mehrheit. Ebenso sollen die gesammelten Daten nach Abschluss des Projektes an ein unabhängiges Institut übergeben werden, heißt es in dem Beschluss. König sieht in der sechsjährigen Erprobungsphase aber auch die Chance, dass sich nordrheinische Praxen gestaltend und aktiv in das Modell einbringen können. „Durch die geplanten regelmäßigen Feedbacks können wir die Dinge ein Stück weit selbst in die Hand nehmen“, sagte König. Im Vergleich zu anderen derzeitigen Digitalisierungsvorhaben, wie der ePA oder dem E-Rezept, sei dies in Summe eine gute Nachricht für die Kolleginnen und Kollegen. 

Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der KV Nordrhein.