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Erfahrungsbericht der Mobbing-Beraterinnen der Ärztekammer Nordrhein


von Martina Levartz und Brigitte Hefer

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Inhaltsübersicht

Allgemein

Auswirkungen

Mobbing-Beratung bei der Ärztekammer Nordrhein

Problemfelder

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Mobbing – dieses Wort ist heute fast in aller Munde und aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Von Mobbing (von "to mob" = anpöbeln, attackieren, belästigen) spricht man, wenn der Psychoterror zur Routine wird, wenn die Angriffe auf eine Person systematisch und über einen langen Zeitraum hinweg erfolgen.

 

Definition nach Professor Dr. Heinz Leymann:

"Mobbing ist dann gegeben, wenn ein Betroffener mindestens einmal in der Woche mindestens ein halbes Jahr lang attackiert wird – von einer oder von mehreren Personen."

Fließende Grenze zu Alltagskonflikten

Einzelne Konflikte und Spannungen sind im Arbeitsleben nicht zu vermeiden, die Grenzen zwischen alltäglichen Konflikten, Aggressionen am Arbeitsplatz und Mobbing sind fließend. Für die Betroffenen ist es daher anfangs oft schwer zu unterscheiden, ob es sich bei den einzelnen Vorkommnissen um Zufälle handelt oder um eine gezielte Mobbing-Kampagne.

Beispiele zeigen, dass jede Kollegin und jeder Kollege von Mobbing betroffen sein kann. Für Außenstehende klingen die einzelnen Aktionen dabei manchmal nahezu lächerlich oder höchst unglaubwürdig. Kollegen berichten beispielsweise, dass sie auf dem Krankenhausflur oder in der Cafeteria vom Vorgesetzten nie gegrüßt und wie Luft behandelt werden.

Andere schildern überdurchschnittlich häufige Einteilung zu Diensten oder absichtlich ungleiche Aufteilung der Arbeit auf Kosten einer bestimmten Person. Eine Kollegin berichtete, dass sie bei Visiten ständig gegen den Verbandswagen geschubst oder ihr der Weg ins Krankenzimmer versperrt wurde. Ein Oberarzt klagte darüber, dass er Arztbriefe selber in den PC tippen und die Aktenablage durchführen müsse, was eine Unzahl weiterer unbezahlter Überstunden für ihn bedeutete.

Berufsrechtliches Fehlverhalten

Viele Kollegen/innen sind auch ungerechtfertigter Kritik ausgesetzt; ihre medizinische Kompetenz wird vor Kollegen, Mitarbeitern, Patienten oder Angehörigen angezweifelt. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein "Mobbinginstrument", sondern um berufsrechtliches Fehlverhalten des Mobbers.

Oft ist das Mobbingopfer zunächst Sündenbock für unverarbeitete Konflikte am Arbeitsplatz. Später kommt es zu gezieltem Terror durch Ausgrenzung, Kränkungen und Rechtsübergriffe.

Leymann definiert fünf Formen des Mobbings:

  1. Angriffe auf Möglichkeiten, sich mitzuteilen

  2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen

  3. Auswirkung auf das soziale Ansehen

  4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation

  5. Angriffe auf die Gesundheit

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Die Folgen reichen bis zum Suizid

Die von solchen Angriffen Betroffenen geraten unter extremen sozialen Stress. Die Folgen äußern sich in psychischen und physischen Symptomen. So kommt es zu Konzentrationsstörungen, Selbstzweifel, Angstzuständen oder Depressionen bis hin zum Suizid. Als psychosomatische Folgen treten zum Beispiel Herz-Kreislauf-Störungen, Atembeklemmungen, Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Hautkrankheiten, Schlafstörungen oder Magen-Darmkrankheiten auf. Der Psychoterror am Arbeitsplatz führt häufig zur völligen seelischen und körperlichen Erschöpfung.

Für die Betroffenen bleibt am Ende oft nur die Flucht. Es kommt zunächst zur Zunahme der Fehlzeiten, dann oft zur Versetzung, Kündigung oder sogar Frühverrentung. Häufig werden Betroffene auch wegen schlechter Arbeitsleistung vom Arbeitgeber gekündigt. Weitere Folgen des erlittenen Mobbings können tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen, Verlust des Selbstwertgefühls oder sogar Trennungen und Scheidungen sein. Fachleute schätzen, dass viele Selbstmordfälle in Deutschland jedes Jahr durch Mobbing am Arbeitsplatz ausgelöst werden.

Der wachsende ökonomische Druck im Gesundheitswesen führt zu zunehmender Arbeitsbelastung und Stress, Mangel an Arbeitsplätzen und befristeten Verträgen sowie zur Verschlechterung des Betriebsklimas. Hierdurch wird Mobbing gefördert oder begünstigt.

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Mobbing-Beratung bei der Ärztekammer Nordrhein

Ratsuchende Ärztinnen und Ärzte nehmen in der Regel zunächst telefonisch Kontakt mit den Mobbing-Ansprechpartnerinnen auf. Der überwiegende Teil der Kolleginnen und Kollegen möchte zunächst ausschließlich die telefonische Beratung in Anspruch nehmen. Rund ein Viertel wünscht einen persönlichen Beratungstermin in der Ärztekammer Nordrhein. In letzterem Fall wird nach telefonischer Kurzschilderung des Problems ein Termin in der Kammer vereinbart, zu dem je nach Problem juristischer Sachverstand hinzugezogen wird.

Alle Telefonate und persönlichen Gespräche werden von der Ärztekammer streng vertraulich behandelt. Es erfolgt keinerlei Kontaktaufnahme oder Intervention. Wünscht jedoch eine Kollegin oder ein Kollege das Einschreiten der Ärztekammer (zum Beispiel berufsrechtliche Überprüfung oder Schlichtungsverfahren), muss dies der Ärztekammer Nordrhein schriftlich mitgeteilt werden.

Die Mobbing-Beratung bei der Ärztekammer Nordrhein erfolgt unter Berücksichtigung folgender Aspekte:

  • Herausarbeiten des Problems; ist Mobbing das primäre Problem, oder stehen Organisationsmängel, arbeits- oder berufsrechtliche Probleme im Vordergrund?

  • Abklärung berufsrechtlicher und arbeitsrechtlicher Aspekte.

  • Gemeinsame Überlegung, durch welche Maßnahmen (zum Beispiel organisatorische Maßnahmen in der Arbeitsplanung der Abteilung/des Hauses; Gesprächsführung) eine Verbesserung erreicht werden könnte.

  • Beratung bezüglich der weiteren Vorgehensweise (zum Beispiel Empfehlung eines persönlichen Gespräches oder schriftliche Äußerung gegenüber "Mobber" und/oder an die Klinikleitung oder dem Betriebsrat durch den "Gemobbten").

  • Berufsrechtliche Überprüfung und gegebenenfalls Einleitung berufsrechtlicher Maßnahmen durch die Ärztekammer (nur auf der Grundlage eines schriftlichen Antrags).

  • Einleitung eines Schlichtungsgespräches zwischen den Beteiligten ("Mobber"/"Gemobbter") und Ärztekammer (nur auf der Grundlage eines schriftlichen Antrags).

Hinweisen möchten wir darauf, dass die Ärztekammer Nordrhein nur in berufsrechtlichen Fragen rechtlichen Rat geben kann. Alle weiteren rechtlichen Fragen insbesondere auch Fragen des Arbeitsrechtes dürfen von der Ärztekammer unter anderem aus haftungsrechtlichen Gründen nicht bearbeitet werden. Hier empfiehlt es sich, frühzeitig einen Fachanwalt zu konsultieren. (Zu berufsrechtlichen Aspekten siehe auch die Angebote der Gewerkschaften in der Linkliste).

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Problemfelder

  • Es zeigte sich, dass Ärzte der unterschiedlichsten Fachgebiete betroffen sind, vorwiegend Klinikärzte, aber auch in Praxen oder anderen Institutionen des Gesundheitswesens tätige Kolleginnen und Kollegen.

  • Erschreckend ist, dass in vielen Fällen das Opfer keine Unterstützung durch den Vorgesetzten erfuhr und dass das Mobbing sogar vom Vorgesetzten ausging.

  • In der Regel handelt es sich um hierarchische Arbeitsverhältnisse mit Abhängigkeit des "Gemobbten". Ein Arbeitsplatzwechsel wird auf Grund der Arbeitsmarktsituation als schwierig beschrieben.

  • Die Schwelle, eine Mobbing-Beratung anzunehmen, liegt relativ hoch. In 90 Prozent der Fälle betrug die Zeitspanne zwischen Beginn des Mobbings und Kontaktaufnahme mit den Mobbing-Ansprechpartnerinnen mehr als ein Jahr. Das bedeutet, dass die Situation häufig festgefahren ist und bereits zu erheblichen psychischen Belastungen (in fast der Hälfte unserer Fälle auch zu teilweise langfristigen Krankschreibungen) geführt hat.

  • Einige der telefonisch avisierten Mobbing-Gespräche wurden abgesagt, da ein Arbeitsplatzwechsel vorgenommen wurde. Wenn möglich, scheinen sich die "Gemobbten" durch Arbeitsplatzwechsel der Situation zu entziehen.

  • Es wird häufig die Sorge geäußert, dass der "Mobber" von der Kontaktaufnahme mit der Ärztekammer erfährt und sich die Situation des "Gemobbten" dadurch noch verschärft.

  • Daher werden auch die häufig bestehenden arbeits- und berufsrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens nicht ausgeschöpft. Aus dem Arbeitsrecht ergibt sich zum Beispiel eine allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. (In den USA sind bereits Urteile rechtskräftig, die den Arbeitgeber zu Schmerzensgeldzahlungen wegen Krankheit durch Mobbing verpflichten, da der Arbeitgeber trotz entsprechender Hinweise durch das Mobbing-Opfer keine Änderung der Arbeitssituation herbeigeführt hat.) Nähere Regelungen finden sich im Arbeitssicherheitsgesetz, Arbeitszeitgesetz etc.

  • Verstöße gegen das Berufsrecht können von der Ärztekammer Nordrhein mit Sanktionen belegt werden (z. B.: Mahnung, Rüge, Geldbuße, Einleitung eines Berufsgerichtsverfahrens oder Überprüfung der Weiterbildungsbefugnis).