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Das Patient-Arzt-Verhältnis: „Nukleus der Medizin“


Bei der siebten Begrüßungsveranstaltung der Ärztekammer Nordrhein für ihre neuen Mitglieder beleuchtete der Medizinhistoriker Professor Dr. Klaus Bergdolt in seinem Festvortrag im Oktober die Geschichte eines „ungleichen Duos“.

von Horst Schumacher

Kammer-Vizepräsident Bernd Zimmer erläuterte den neuen Mitgliedern Aufgaben und Funktion ihrer Kammer. Als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft nimmt die Ärztekammer Nordrhein nach dem Heilberufsgesetz des Landes die beruflichen Belange aller rund 56.000 Ärztinnen und Ärzte im Landesteil wahr, etwa durch Kontakte mit der Landesregierung, dem Landtag und den Medien.

Die Ärztekammer ist jedoch keine rein ärztliche Interessenvertretung wie die ärztlichen Verbände, sondern gesetzlich auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verpflichtet. Zunehmend versteht sie sich auch als Service-Institution, die ihre Mitglieder in allen Belangen rund um die ärztliche Berufsausübung informiert, berät und unterstützt. „Die Kammer ist eine Einrichtung mit zwei Gesichtern: neben der Dienstleistung steht die Aufsicht“, sagte Bernd Zimmer.

Ihre Aufgaben erledigt die Kammer ganz überwiegend in Selbstverwaltung. In kleinerem Umfang erfüllt sie, dann weisungsgebunden, auch staatliche Aufgaben. Wesentliche Selbstverwaltungsaufgaben sind beispielsweise die ärztliche Weiterbildung, die ärztliche Fortbildung und die ärztliche Qualitätssicherung. Zu den Kernaufgaben der Selbstverwaltung gehört auch die Berufsaufsicht. Die Kammer definiert in der Berufsordnung die ethischen Anforderungen an das ärztliche Handeln und sanktioniert Verstöße gegen das Berufsrecht. „Das ist der unangenehme Teil“, sagte Zimmer, „jeder Arzt und jede Ärztin ist im Laufe seines Berufslebens im Durchschnitt drei- bis viermal mit Vorwürfen konfrontiert, die kränken können.“

Bei Behandlungsfehler-Vorwürfen schlichtet die bei der Kammer eingerichtete unabhängige Gutachterkommission. Auch bei Streitigkeiten über privatärztliche Honorarforderungen bietet die Ärztekammer eine Schlichtung an. Die Patientenberatung und die Kooperationsstelle für Selbsthilfegruppen und Ärzte stehen mit Auskünften zur Verfügung. Zur Alterssicherung ihrer Ärztinnen und Ärzte hat die Kammer die Nordrheinische Ärzteversorgung eingerichtet.

Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer ist verbunden mit - nach Einkommen gestaffelten - Pflichtbeiträgen. Die Mitglieder ihrerseits können die Entscheidungen der Kammer auf demokratischem Wege mitgestalten, etwa mit ihrer Stimme bei den alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen zur Kammerversammlung. Dieses ist das höchste Organ der Kammer, dem 121 Mitglieder angehören. Sie haben beispielsweise bei der Weiterbildungsordnung oder der Berufsordnung das letzte Wort.

Die Kammerversammlung wählt den ehrenamtlich tätigen 18-köpfigen Vorstand, der die Geschäfte der Kammer führt, und den Präsidenten, der ebenfalls ein gesetzliches Organ ist, sowie den Vizepräsidenten als dessen Vertreter. Auch die 27 Kreisstellenvorstände und die acht Bezirksstellenausschüsse werden alle fünf Jahre gewählt. Darüber hinaus gestalten die Mitglieder in zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen die Arbeit ihrer Kammer mit.

Mit Blick auf die ab Mitte Mai 2014 anstehenden Kammerwahlen sagte Bernd Zimmer: „Das Schlimmste, was sie tun können, ist nicht zu wählen – denn das schwächt die Legitimation der Handelnden.“ Der Vizepräsident ermunterte seine jungen Kolleginnen und Kollegen, sich früh in der Kammer berufspolitisch zu engagieren und auch Kritik zu üben. Zimmer: „Nur so können wir besser werden. Es ist unsere Kammer.“

Empathie und Menschlichkeit

Über die Wandlungen des Patient-Arzt-Verhältnisses im Laufe der Jahrhunderte sprach der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uniklinik Köln, Professor Dr. Klaus Bergdolt, in seinem Festvortrag. Das „ungleiche Duo“ Patient und Arzt hat nach seinen Worten in allen Kulturen und zu allen Zeiten eine besondere Rolle gespielt. So ist es auch heute in Deutschland, wo der Arztberuf der angesehenste aller Berufe ist. Ärztinnen und Ärzte werden als ideale Schwiegersöhne und Schwiegertöchter geschätzt, wie der Medizinhistoriker zur Erheiterung seiner jungen Kolleginnen und Kollegen sagte.

Der gute Ruf wurzelt letztlich im Verhältnis von Patient und Arzt, deren Begegnung nach Bergdolts Worten als „Nukleus der Medizin überhaupt“ gilt. Im Mittelpunkt der Heilkunde stehen demnach nicht das naturwissenschaftliche Labor oder die Medizinischen Fakultäten, wie manche Ärzte und Physiologen im 19. Jahrhundert meinten, nicht das Krankenhaus und schon gar nicht die Gesundheitsbürokratie oder die Gesundheitsökonomie. Kern ist der Kampf gegen konkrete Krankheiten, „in welchem – ungeachtet der zunehmenden Technisierung und Anonymisierung der Medizin – zunächst einmal zwei Menschen stehen.“

Schon in der Antike wünschte man sich einen menschlichen Arzt, der empathisch und des Mitleids fähig war, wie Bergdolt sagte. Auch heute werde vom Arzt – über das Messende, Vergleichende, Einordnende hinaus, das im Medizinstudium gelehrt wird – Sensibilität und Einfühlsamkeit erwartet, „das heißt eine Doppelbegabung, die alles andere als selbstverständlich ist.“ Dass andererseits der ärztliche Alltag von hohen Erwartungen und Anforderungen, von Überforderung und Stress geprägt werde, sei spätestens seit dem 19. Und frühen 20. Jahrhundert vorprogrammiert gewesen.

Der Arzt soll heute, so umschrieb Bergdolt den Anspruch der Öffentlichkeit, stets auf dem neuesten Stand von Naturwissenschaft und Technik sein. Er soll zugleich ökonomischen und bürokratischen Vorschriften Rechnung tragen. Er muss überdies – zum Beispiel als Chirurg – manuell begabt sein. Und es reicht nicht mehr,  menschlich zu handeln, sondern vom guten Arzt wird soziologische und psychologische Kompetenz im durchaus wissenschaftlichen Sinne erwartet. Bergdolt: „Ironisch könnte man sagen: Er verfügt über eine Universalbegabung, welche die Natur außerhalb seines Standes nicht geschaffen hat.“

Trotz zum Teil unrealistischer Erwartungen sieht der Medizinhistoriker auch heute gute Möglichkeiten, ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt herzustellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Gespräch. Nach dem Psychiater Viktor von Gebsattel (1883 -1976) lässt sich die klassische Begegnung von Arzt und Patient in drei Phasen unterteilen: Zunächst das empathische, menschliche Gespräch, das Vertrauen schafft. Dann die kühle, distanzierte medizinische Analyse des Arztes, auf die ein weiteres einfühlsames Beratungsgespräch folgt, das auf den Ausgangsdialog Bezug nimmt.

Solche Ansätze lassen sich als Gegenmodell zum rein naturwissenschaftlich geprägten medizinischen Positivismus verstehen, dessen Vertreter im 19. Jahrhundert – im Überschwang der Forschungserfolge zum Beispiel in der Bakteriologie – das Vertrauensverhältnis zum Patienten aus dem Blick verloren. So widersprach laut Bergdolt niemand aus der Wissenschaftselite dem Bild des französischen Physiologen Claude Bernard (1813 - 1878) vom „Tempel der medizinischen Wissenschaft“, dessen „Vorhalle“ der Patient, dessen „Allerheiligstes“ das Labor darstelle. Krankenhäuser wie die Berliner Charité standen in dem Ruf, die Patienten als „Versuchskaninchen“ zu betrachten. Bergdolt: „Man argwöhnte, dass die Medizinprofessoren ihre Studien vor das Wohl der Kranken setzten.“