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Gesundheits- und Sozialpolitik

Hausarzt-Facharzt-Vermittlung: „Von Ersatz kann keine Rede sein“

20.03.2023 Seite 24
RAE Ausgabe 4/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2023

Seite 24

Effiziente Strukturen schaffen: Für den KVNO-Vorstandsvorsitzenden, Dr. Frank Bergmann, kann die Hausarzt-Facharzt-Vermittlung nur ein kleiner Baustein in einem übergreifenden Konzept zur Steuerung medizinischer Leistungen sein. Er plädiert für die zunehmende Einbindung digitaler Lösungen. © Malinka/KVNO
Nach dem Aus der Neupatientenregelung wurde auf Drängen des Gesetzgebers die Hausarzt-Facharzt-Vermittlung (HAFA) zum Jahreswechsel angepasst. Trotz erhöhter Zuschläge für Praxen steht die neue Regelung in der Kritik. Was die HAFA leistet und wie sich die ambulante Versorgung künftig aufstellen muss, erklärt Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), im Interview. 

RhÄ: Trotz nachweislich positiver Effekte auf die ambulante Versorgung hat der Gesetzgeber die Neupatientenregelung nach nur zwei Jahren wieder kassiert. Um eine schnellere Terminvergabe im fachärztlichen Bereich durch finanzielle Anreize anzukurbeln, gilt seit Anfang des Jahres die sogenannte HAFA – ein tragfähiger Ersatz? 
Dr. Frank Bergmann: Nein, definitiv nicht. Für die Praxen geht die neue Regelung in erster Linie mit einem bürokratischen Mehraufwand einher – vor allem für diejenigen, die eine Überweisung ausstellen. Das beginnt bei der Arbeit an der Rezeption und erstreckt sich bis zum neuen E-Terminservice, den wir seit kurzer Zeit im KVNO-Portal anbieten. Dieser ist sicherlich eine gute Alternative, in seiner jetzigen Form aber noch nicht an die Praxisverwaltungssysteme (PVS) angeschlossen, sodass Patientendaten händisch nachgetragen werden müssen. Das wiederum kostet Zeit. Gemessen am Aufwand kann von Ersatz mithin keine Rede sein. 
Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass auch die Neupatientenregelung in ihren Anfängen wenig Euphorie bei der Ärzteschaft ausgelöst hat. Im Raum stand unter anderem die Befürchtung, dass sich eine Bevorzugung von Neupatientinnen und -patienten negativ auf die Behandlung chronisch Kranker auswirken könne. Ganz unberechtigt war die damalige Skepsis nicht, auch wenn sich die Neupatientenregelung schließlich bewährt hat. 
Tatsache ist, dass wir mehr Steuerung in der Patientenversorgung benötigen. Das betrifft nicht nur den Transfer von der haus- in die fachärztliche Ebene, sondern auch den ambulanten Notdienst. Die Ressource „Arzt beziehungsweise Ärztin“ ist heute ein knappes Gut geworden und wird in Zukunft wohl noch weiter abnehmen. Das macht effiziente Strukturen nur umso dringlicher, um Patientinnen und Patienten mit akuten Beschwerden, aber auch chronisch Kranken weiter die Möglichkeit zu geben, auf qualitativ hohem Niveau ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen zu können.

RhÄ: Nun wurde die HAFA angepasst und ist Teil der neuen Versorgungsrealität. Es gilt also, das Beste aus der Situation zu machen… 
Bergmann: Eine komplette Absage oder Verweigerung wäre weder im Sinne der Patientinnen und Patienten noch der niedergelassenen Ärzteschaft. Auch die mitunter anzutreffende Meinung, dass nur mehr HAFA-Patientinnen und -Patienten an einen Facharzttermin kommen sollten, ist nicht zielführend. Grundsätzlich kann ich den Ärger vieler Kolleginnen und Kollegen sehr gut nachvollziehen: Der Wegfall der Neupatientenregelung ist unbestreitbar ein herber Einschnitt. Gleichwohl sollten wir uns vor Augen halten, dass die eigentliche Problematik nicht bei einzelnen extrabudgetären Vergütungselementen liegt, sondern der Tatsache geschuldet ist, dass es überhaupt eine Budgetierung gibt und es an den nötigen Mitteln mangelt, um ein System wie den EBM zu finanzieren.   

RhÄ: Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die neue HAFA mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Wo wurden Chancen verspielt?
Bergmann: Die HAFA kann nur ein kleiner Baustein in einem übergreifenden Konzept zur Steuerung medizinischer Leistungen sein. Weitere Komponenten sind die Terminservicestellen und auch die Arztrufzentrale, wenn wir an den ambulanten Notdienst denken; nicht zuletzt wird auch eine Steuerung ins Krankenhaus gebraucht. In diesem Zusammenhang erleben wir derzeit ja schon den Aufbau vielversprechender Angebote wie des virtuellen Krankenhauses. Fest steht: Hier wie dort können digitale Anwendungen wesentlich zur Lösung beitragen. Als konkretes Beispiel sei die Videosprechstunde im pädiatrischen Notdienst erwähnt, die wir mit Unterstützung des NRW-Gesundheitsministeriums über die Weihnachtsfeiertage bis Ende Januar erfolgreich durchgeführt haben. Dabei hat sich gezeigt: Von knapp 2.500 durchgeführten Konsultationen musste weniger als die Hälfte der Patientinnen und Patienten anschließend an eine Notdienstpraxis verwiesen werden. Dies ist ein Beleg dafür, dass gute Angebote auch eine Filterfunktion übernehmen, um Patientinnen und Patienten in die richtige Behandlungsschiene zu lenken. Unsere Aufgabe liegt nun darin, die Angebote zu vernetzen und in ein gestuftes Gesamtsystem zu überführen. 


Das Interview führte Sven Ludwig.
 
Die vollständige Fassung des Gesprächs mit Dr. Frank Bergmann findet sich unter www.kvno.de/hafa-video