Düsseldorf, 27.1.2022. Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote, Priorisierung und Behandlungsabbruch – nicht selten müssen medizinische Behandlungsteams ethisch heikle Entscheidungen treffen, die sie selbst psychisch belasten. Die Coronapandemie wirkt hier wie ein Katalysator. Darüber, was klinische Ethik-Komitees mit ihren individuellen Fallberatungen in medizinischen Grenzsituationen leisten können, diskutierten Expertinnen und Experten am 26. Januar beim Kammersymposium „Update Ethik – (Rück-)Blick auf die Pandemie“. 750 Ärztinnen und Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Ethiker aus ganz Deutschland hatten sich zu der Online-Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer Nordrhein angemeldet.
Die klinische Ethikberatung etabliert sich zunehmend in den Krankenhäusern und fasst auch in der ambulanten Versorgung allmählich Fuß. Darin waren sich die Experten einig. Als eine der zentralen Aufgaben Klinischer Ethik-Komitees beschrieb Univ.-Professor Dr. Dominik Groß die Fallberatung am Krankenbett in schwierigen Entscheidungssituationen. Das Ethik-Komitee treffe jedoch keine Entscheidungen, schon gar nicht über Leben und Tod, stellte der Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen klar. Die Entscheidung bleibe beim Behandlungsteam, den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen. Ziel sei, eine Lösung zu finden, die jede und jeder mittragen kann.
Wie wichtig und entlastend die klinische Ethikberatung sein kann, erläuterte Dr. Sonja Vonderhagen, Leitende Oberärztin der unfallchirurgischen Intensivstation der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Essen, anhand dreier Fallbeispiele. Betroffen waren jeweils Patientinnen und Patienten im Alter von Mitte 50 auf der Intensivstation, die so schwer an COVID-19 erkrankt waren, dass das Behandlungsteam keine Indikation zur weiteren Therapie mehr erkennen konnte. Die Entscheidung für einen Behandlungsabbruch löste jedoch zum Teil heftigen Widerstand bei den Angehörigen aus. Erschwert wurden die Konflikte dadurch, dass in keinem Fall der Patientenwille dokumentiert war. Nicht immer habe das Ethik-Komitee die Fälle im guten Konsens lösen können, räumte Vonderhagen ein. Doch es habe sich gezeigt, wie wichtig es sei, dass die Komitees multiprofessionell besetzt sind und kultursensibel agieren, um unterschiedliche Perspektiven zur Problemlösung einbringen zu können.
Professor Dr. Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin des Universitätsklinikums Bonn, und Dr. Maria del Pilar Andrino, Leitung des Gesundheitszentrums Franz Sales Haus in Essen, wiesen auf die prekäre Lage von Sterbenden und Menschen mit Behinderung in der Pandemie hin. Insbesondere diese Patientengruppen seien durch Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote, aber auch durch Priorisierungsentscheidungen benachteiligt worden. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber jüngst aufgefordert habe klarzustellen, dass im Fall einer unumgänglichen Triage Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden dürften, erklärte Andrino.
Ärztinnen und Ärzte müssten im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens ihre Position zum Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts einbringen können, hatte zuvor schon der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, gefordert. Bei einer Veranstaltung der Kammer am 9. März erhielten die Kolleginnen und Kollegen, die potenziell in Triage-Entscheidungen eingebunden seien, Gelegenheit, ihre Probleme und Forderungen zu diskutieren, kündigte Henke an.
HK