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Zertifizierte Kasuistik "Patient mit unklarem Pleuraerguss

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patient mit unklarem Pleuraerguss "

 

von Walburga Engel-Riedel und Alexander Prickartz unter Mitarbeit von Franz H. Müsch

 

Inhalt

Diagnostik und Staging

Therapie

Verlauf

Berufskrankheitenrechtliche Erläuterung

Literaturverzeichnis


Das maligne Pleuramesotheliom (MPM) ist eine insgesamt seltene Erkrankung mit aktuell jedoch steigender Inzidenz. Es gehört zu den aggressivsten soliden Tumoren. Der Zusammenhang zwischen einer stattgehabten Asbeststaubexposition und dem Auftreten der Erkrankung ist gut belegt. Die Latenzzeit bis zum Auftreten einer Tumormanifestation beträgt nicht selten mehr als 20 Jahre. Es besteht zwar ein Zusammenhang zwischen Dauer und Dosis der Asbestexposition und der Wahrscheinlichkeit des Auftretens des MPM, jedoch ist keine konkrete Dosis bekannt, unterhalb derer das MPM-Erkrankungsrisiko nicht erhöht wäre. In unserem klinischen Fall war der ungewöhnlich junge Patient als Baggerfahrer lediglich für wenige Monate einer Exposition ausgesetzt, als er asbestbelasteten Bauschutt auf einer Deponie bewegte.

Obwohl die Asbestverarbeitung in Europa (EU) bereits seit 2005 verboten ist (in Deutschland sogar seit 1993), ist die Inzidenz des MPM weiter ansteigend und wird ihren Höhepunkt voraussichtlich in den nächsten 10 Jahren erreichen. In Europa liegt die Inzidenz zur Zeit bei etwa 20 pro Million Einwohner. Berücksichtigung finden sollte auch die Tatsache, dass in Ländern wie Russland, China, Kasachstan, Brasilien, Kanada sowie in vielen Schwellenländern Asbest weiterhin in großen Mengen produziert wird.

Diagnostik und Staging

Die klinischen Symptome des MPM sind sehr variabel und oft unspezifisch. Zu den typischen Symptomen gehören Dyspnoe, thorakale Schmerzen und Hustenreiz.

Klinisches Korrelat der Erkrankung ist zunächst meist nur ein einseitiger Pleuraerguss. Durch serologische und zytologische Analysen ist eine eindeutige Klärung der Dignität der Ergüsse oft nicht möglich. Erfahrungsgemäß wird an ein MPM oft erst gedacht, wenn andere Ursachen nicht nachgewiesen werden konnten und der Erguss  rezidiviert bzw. persistiert.

Differentialdiagnostisch sind besonders das Bronchialkarzinom und Metastasen extrathorakaler Tumoren hervorzuheben. Anders als beim Bronchialkarzinom treten Fernmetastasen beim MPM in der Regel erst sehr spät auf.

Die Diagnose des MPM ist nicht nur auf Grund der langen zeitlichen Latenz und der unspezifischen Symptome schwierig; oft ist auch die histologische Differenzierung von anderen benignen und malignen Pleuraerkrankungen, insbesondere der Pleurametastasierung durch ein Adenokarzinom, nicht sicher möglich.

Wichtige Voraussetzungen für eine korrekte Diagnose sind daher neben einer ausreichenden Menge an Tumorgewebe auch immunhistochemische Zusatzuntersuchungen.

Bei unserem Patienten zeigten die Tumorzellen charakteristischerweise in der ergänzenden immunhistochemischen Diagnostik eine kräftige Panzytokeratin-KL1- und Calretinin-Expression bei Negativität für TTF1, CD15 und HEA.

Es existieren zur Zeit keine ausreichend sicheren Verfahren zur Früherkennung der Erkrankung. Spezifische Biomarker wie das SMRP (soluble mesothelin related peptide) können auf Grund ihrer niedrigen Spezifität als Screeningmethode nicht empfohlen werden.

Auch die Thorax-Computertomographie konnte sich nicht als effektives Screeninginstrument durchsetzen. In einer prospektiven Untersuchung mit 1.045 asbestexponierten Arbeitern konnte kein einziger Fall eines MPM aufgedeckt werden.

Die Thorax-CT alleine ist zwar für die Sicherung des MPM ungeeignet, jedoch können umschriebene oder diffuse Pleuraverdickungen auf die Erkrankung hinweisen und Anlass für eine weitere Diagnostik geben.

Die Thorakoskopie mit der Möglichkeit der makroskopischen Inspektion der Pleura und der gezielten Entnahme einer ausreichenden Menge von Probenmaterial wird in den aktuellen Leitlinien empfohlen. Die korrekte Diagnosestellung ist damit in mehr als 90 Prozent der Fälle möglich (Evidenzgrad 1A). Die alleinige zytologische Untersuchung des Pleuraergusses birgt große diagnostische Unsicherheiten und wird daher nicht empfohlen (Evidenzgrad 1B). Die Entnahme von Feinnadelbiopsien für die Primärdiagnose wird wegen der nicht ausreichenden Sensitivität ebenfalls nicht empfohlen.

Die Stadieneinteilung des MPM orientiert sich an der aktuellen TNM-Klassifikation.

Die Leitlinie der ERS/ESTS Task Force empfiehlt ein dreistufiges Vorgehen bei den prätherapeutischen Staginguntersuchungen:

  1. Alle Patienten sollten eine ausführliche Anamnese inklusive Erfassung der Asbeststaubexposition, eine körperliche Untersuchung, ein Routinelabor sowie eine Thorax-Röntgenaufnahme erhalten.
  2. Patienten, die auf Grund ihres Performancestatus grundsätzlich für eine Therapie in Frage kommen, sollten zusätzlich
    1. einer adäquaten Biopsieentnahme (in der Regel thorakoskopisch) für eine histologische Diagnosesicherung,
    2. einer Computertomographie von Thorax und Oberbauch,
    3. einer Lungenfunktionsdiagnostik
    4. einer weiterführenden radiologischen Diagnostik (Knochenszintigraphie, Schädel-MRT) bei klinischem Verdacht auf eine Fernmetastasierung zugeführt werden.
  3. Vor einer chirurgischen oder multimodalen Therapie werden ergänzend empfohlen:
    1. FDG-PET/CT und/oder Laparoskopie zum Ausschluss extrathorakaler, möglicherweise okkulter Fernmetastasen
    2. Ausschluss einer mediastinalen Lymphknotenbeteiligung durch Mediastinoskopie, VATS (videoassistierte Thorakoskopie) oder E(B)US-Feinnadelbiopsie

European Guidelines for the Management of Malignant Pleural Mesothelioma(July 2009)

Therapie

Die Behandlungsmöglichkeiten des MPM bestehen aus den Bausteinen

  • Chirurgie,
  • Bestrahlung und
  • Chemotherapie.

Bei Patienten mit gutem Performancestatus zum Zeitpunkt der Diagnosestellung wird in der Regel ein multimodales, abgestuftes Therapiekonzept favorisiert. Unabhängig davon sollte jeder Patient eine wirksame symptomorientierte Therapie im Sinne einer best supportive care erhalten (Evidenzgrad 1A).

Chemotherapie

Patienten in gutem Allgemeinzustand (ECOG <3 bzw. Karnofsky >60 %) sollten eine Erstlinien-Chemotherapie mit Cisplatin und Pemetrexed erhalten (Evidenzgrad 1B). Die Behandlungsdauer umfasst in der Regel 4-6 Therapiezyklen. Im Falle eines Tumorprogresses oder schwerer Toxizitäten (CTC Grad 3-4) sollte die Therapie abgebrochen werden.

Bei gutem Ansprechen auf die Erstlinientherapie kann im Falle eines Rezidivs eine Zweitlinienbehandlung mit denselben Substanzen in Erwägung gezogen werden (Evidenzgrad 2C). Vorteile einer Zweitlinientherapie hinsichtlich Überlebenszeit oder Lebensqualität im Falle eines Versagens der Erstlinientherapie konnte durch keine kontrollierte Studie belegt werden.

Chirurgie

Die chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten bestehen in der Dekortikation/Pleurektomie und der radikalen, extrapleuralen Pneumonektomie (EPP) mit en-bloc Resektion von Pleura, Lunge, Perikard, Diaphragma sowie systematischer Lymphadenektomie.

Die Dekortikation und Pleurektomie muss als signifikante, aber inkomplette Tumorresektion betrachtet werden und dient vor allem der Symptomkontrolle insbesondere bei Patienten mit gefesselter Lunge.

Die radikale Operation (EPP) hat den Anspruch einer kompletten Tumorelimination aus dem betroffenen Hemithorax und ist in der Regel Teil eines multimodalen Behandlungskonzeptes. Die Evidenz hinsichtlich der Effektivität der Maßnahme ist allerdings gering. In kontrollierten Studien betrug die mediane Überlebenszeit 20-24 Monate.

Bestrahlung

Eine lokale Radiotherapie zur Schmerzreduktion kann im Falle einer Thoraxwandinfiltration sinnvoll sein (Evidenzgrad 2C). Für die prophylaktische Bestrahlung im Bereich von Drainage- oder operativen Zugangswegen wird derzeit keine Empfehlung ausgesprochen.

Für die Effektivität der lokalen adjuvanten Bestrahlung gibt es bislang nur retrospektive und zudem diskrepante Daten. Bei der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT) wird innerhalb des Bestrahlungfeldes mit unterschiedlicher Intensität bestrahlt, so dass die „Risikoorgane“ Herz und Leber im Gegensatz zu besonders rezidivgefährdeten Bezirken einer verminderten Strahlendosis ausgesetzt sind.

Die Anwendung der Strahlentherapie als Teil des trimodalen Behandlungskonzeptes sollte spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben (Expertenmeinung).

Verlauf

Unser Patient erhielt nach histologischer Sicherung der Diagnose zunächst 4 Zyklen einer neoadjuvanten Chemotherapie mit Cisplatin und Pemetrexed; hierunter war eine gute partielle Remission zu verzeichnen. 4 Monate nach Diagnosestellung erfolgte in unserer Klinik eine viszerale und parietale Pleurektomie mit Perikard- und Zwerchfellresektion, wiederum 3 Monate später eine adjuvante intensitätsmodulierte Radiotherapie des Hemithorax mit 50,4 Gy.

16 Monate nach Erstdiagnose kam es zu einem Lokalrezidiv im Bereich des Interlobärspalts, welches durch eine stereotaktische helikale intensitätsmodulierte Einzeit-Radiotherapie mit 26 Gy behandelt wurde.

Weitere 11 Monate später wurde ein Lokalrezidiv im Sinne einer subkutanen Implantationsmetastase im Bereich des Trokarkanals exzidiert. Aktuell erfolgt eine lokale, konventionelle Radiatio.

Berufskrankheitenrechtliche Erläuterung

Das Mesotheliom gilt als Signaltumor für das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK), weil sein Auftreten am häufigsten auf eine berufliche Asbestexposition zurückzuführen ist. Offiziell ist das Krankheitsbild in der sogenannten BK - Liste (Untergruppe „Erkrankungen durch anorganische Stäube) der entsprechenden Verordnung (BKV) enumerativ aufgeführt:

Krankheiten - Nr. 41 05: Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards

Da es sich somit um einen der „Anzeigepflicht von Ärzten“ unterliegenden Versicherungsfall der „Gesetzlichen Unfallversicherung“ handelt, liefert das amtliche Merkblatt der Ärzteschaft dazu folgende Entscheidungshilfe:

„Der Verdacht auf eine Berufskrankheit der Nr. 41 05 ist bereits bei jedem Mesotheliom begründet.

Zusätzliche Hinweise sind:

  • Verdacht auf berufliche Asbestexposition [Berufsanamnese! / d. Verf.],
  • röntgenologische Hinweise auf eine Lungenasbestose,
  • Pleuraplaques,
  • vermehrt Asbestkörperchen oder Asbestfasern im Lungengewebe.“

Während klinisch eine histologische Diagnosesicherung angestrebt wird, erfolgt nach vorgeschriebener BK – Anzeige die Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen durch die zuständigen Unfallversicherungsträger (z. B. Berufsgenossenschaften). Ergänzend zur Arbeitsanamnese liefern diese von Amts wegen eine Expertise über mögliche berufliche Asbestexpositionsdaten (z. B. Be- und Verarbeitung von Eternit, Isoliermaterialien etc.). Letztlich entscheidet ein arbeitsmedizinisches Zusammenhangsgutachten über das Vorliegen einer BK – vorbehaltlich der Erfüllung weiterer formal-juristischer Voraussetzungen.

Hinweise zu Latenzzeiten beim Mesotheliom in dem BK-Merkblatt werden heutzutage von der Realität eingeholt: Während diese mit „…mehr als 10 bis 15 Jahre und bis zu 60 Jahre…“ angegeben wurden, sind die jährlichen Mesotheliom- Todesfälle von 2007 (N = 747†) auf 2008 (N = 801 †) deutlich angestiegen (amtliche BK – Statistik). Trotz des umgesetzten „Asbestverbotes“ in der Arbeitswelt scheint bei der Todesfallstatistik das Häufigkeitsmaximum immer noch nicht erreicht zu sein! Das heißt es sterben in Deutschland weiterhin täglich zwei Mesotheliom-Patienten an einer anerkannten BK – Nr. 41 05 (BKV). Bei Zugrundelegung einer vermuteten Dunkelzifferproblematik soll an die Ärzteschaft appelliert werden, ihrer BK-Anzeigepflicht nachzukommen, damit wenigstens die besonderen Versicherungsleistungen (z. B. Witwen- und Weisenrenten) zum Tragen kommen.

Im Falle der vorgestellten Kasuistik ist das BK-Verfahren bei der zuständigen Berufsgenossenschaft angeblich mit einer Anerkennung abgeschlossen worden – ein offizieller Bescheid liegt uns bisher noch nicht vor. Zur Unterstreichung der Besonderheit des Falles sei abschließend noch einmal aus dem amtlichen Merkblatt zitiert:

“Mesotheliomerkrankungen können schon nach wenigen Wochen entsprechender Exposition auftreten.“ („Pleurotropie“)

Merkblatt zur BK Nr. 4105: Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards

Merkblatt zur BK Nr. 4103: Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura

Literaturverzeichnis

  • Fasola G, Belvedere O, Aita M et al. Low dose computed tomography screening for lung cancer and pleural mesothelioma in an asbestos-exposed population: baseline results of a prospective, nonrandomized feasibility trial – an Alpe-dria Thoracic Oncology Multidisciplinary Group Study (ATOM 2002). Oncologist 2007; 12: 1215-1224
  • Müsch, F. H.: Berufskrankheiten – Ein medizinisch – juristisches Nachschlagewerk Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2006
  • Robinson BW, Musk AW, Lake RA. Malignant mesothelioma. Lancet 2005; 366: 397-408.
  • Robinson BW, Lake RA. Advances in malignant mesothelioma. N Engl J Med 2005; 353: 1591-1603
  • Scherpereel A, Astoul P, Baas P et al.: ERS/ESTS Task Force. Guidelines of the European Resopiratory Society and the European Society of Thoracic Surgeons for the management oft malignant pleural mesothelioma. Eur Respir J; 35: 479-495