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Zertifizierte Kasuistik "Kurzsichtiger Patient sieht Lichtblitze, Punkte und einen peripheren Schatten"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Kurzsichtiger Patient sieht Lichtblitze, Punkte und einen peripheren Schatten"

 

von David G. Kupitz, Tim U. Krohne und Frank G. Holz

Inhaltsübersicht

Allgemein

Epidemiologie / Ätiologie

Symptomatik

Differentialdiagnostik und Therapie

Literatur


Allgemein

Die beschriebenen Symptome des in der vorliegenden Kasuistik beschriebenen Patienten mit Wahrnehmung von Lichtblitzen und Punkten sind typisch für ein akutes Netzhautforamen. Im funduskopischen Bild (siehe Abb.) des rechten Auges des Patienten zeigt die Weitwinkelaufnahme im Bereich der Pfeilspitzen die Grenze zwischen abgelöster (oben) und noch anliegender Netzhaut (unten). Der Pfeil weist auf eine kleine Netzhautblutung und einen angrenzenden Netzhautdefekt hin. Es handelt sich somit um eine rhegmatogene (= rissbedingte) Netzhautablösung.

 

Augenhintergrund

Abbildung: Funduskopisches Bild des in der Kasuistik beschriebenen Patienten. In der Weitwinkelaufnahme des Augenhintergrundes des rechten Auges ist in der oberen Peripherie eine scharf begrenzte, halbkreisförmige Veränderung des Netzhaut (Pfeilspitzen) mit einer darin befindlichen, kleinen, punktförmigen Läsion (Pfeil) zu erkennen. Die übrige Netzhaut ist unauffällig. (M, Macula lutea, gelber Fleck; P, Papilla nervi optici, Sehnervenkopf). Quelle: Universitäts-Augenklinik Bonn

Epidemiologie / Ätiologie

Hohe Kurzsichtigkeit (über -6 Dioptrien) ist mit einem mehr als zwanzigfach erhöhtem Erkrankungsrisiko im Vergleich zu normalsichtigen Menschen verbunden. Ein Trauma ist in etwa 10 Prozent der Fälle für eine Netzhautablösung verantwortlich und bei Kindern und Jugendlichen die häufigste Ursache. Auch eine Katarakt-Operation erhöht das Risiko des operierten Auges. Bei Erkrankung eines Auges erhöht sich das Lebenszeitrisiko des Partnerauges auf etwa 10 Prozent.

Ein vollständig von der Netzhaut abgehobener Glaskörper erhöht nicht das Risiko einer Netzhautablösung, sondern verringert aufgrund des Fehlens von Netzhauttraktionen dieses Risiko.

Rhegmatogene Netzhautablösungen entstehen durch Flüssigkeit, die durch Netzhautdefekte unter die Netzhaut gelangt und diese vom darunter liegenden retinalen Pigmentepithel abhebt. Ursächlich für die Netzhautdefekte ist häufig die altersbedingte Glaskörperverflüssigung mit resultierendem lokalem Glaskörperzug. Eine seltenere alternative Ursache sind Traumen. Aufgrund der nun fehlenden Ernährung durch die Aderhaut nimmt die abgelöste Netzhaut schnell irreversibel Schaden. Neben dem typischerweise progressiven Verlauf kann die Erkrankung selten auch selbstlimitierend sein. Daher schreitet nicht jede Netzhautablösung unbehandelt zur Erblindung voran.

Symptomatik

Typische Symptome eines Netzhautforamens oder einer rhegmatogenen Netzhautablösung sind:

  • Blitzesehen – bedingt durch mechanische Reizung der Photorezeptoren aufgrund von Glaskörperzug.
  • Sehen von „Spinnenweben“, „Mouches volantes“ („fliegende Mücken/Fliegen“) oder eines „Rußregens“ – bedingt durch Blutungen aus rupturierten Kapillaren des Netzhautforamens.
  • Wahrnehmung eines zunehmenden Vorhangs oder Schattens, beginnend im peripheren Gesichtsfeld sowie reduzierte Sehschärfe, sobald auch die zentrale Netzhaut betroffen ist.

Die Netzhautablösung ist aufgrund fehlender Schmerzrezeptoren schmerzlos.

Differentialdiagnostik und Therapie

Differentialdiagnostisch ist bei der in der Kasuistik beschriebenen Erkrankung am wenigsten wahrscheinlich die Retinopathia pigmentosa, da bei dieser im Gegensatz zu den anderen genannten Erkrankungen die Sehkraftminderung chronisch progressiv verläuft und im Regelfall beide Augen betrifft.

Bei entsprechenden Symptomen, die auf eine Netzhautablösung oder Foramina hindeuten, sollte eine augenärztliche Abklärung am selben Tag angestrebt werden. Eine notfallmäßige Einweisung mittels Rettungswagen ist jedoch im Regelfall nicht notwendig. Manifeste Netzhautablösungen müssen in der Regel chirurgisch therapiert werden. Das Ziel ist eine Wiederanlage der Netzhaut und ein Verschluss des Netzhautdefektes, um eine erneute Netzhautabhebung zu verhindern. Dabei sind netzhauteindellende Operationen mit extern aufgenähten Plomben oder mit einer Cerclage (bandförmige Eindellung des Bulbus) oder die Pars-Plana-Vitrektomie, also die chirurgische Entfernung des Glaskörpers mit anschließender Endotamponade durch Gas oder Silikonöl, die Therapie der Wahl.

Netzhautablösungen mit Beteiligung der Makula durch Pars-Plana-Vitrektomie können somit effektiv behandelt werden.

CAVE:
Da Gas in großer Höhe intraokulär expandiert, dürfen die Patienten in der postoperativen Zeit bis zur Resorption des Gases keine Flugreisen unternehmen.

Bei dem in der Kasuistik vorgestellten Patienten wurde noch am Vorstellungstag eine netzhauteindellende Operation mit Kryokoagulation der Netzhautdefekte und externer Aufnähung einer Silikonschaumplombe durchgeführt. In der postoperativen Verlaufskontrolle betrug die Sehschärfe des Patienten unverändert 1,0. Der Patient war nun beschwerdefrei. Funduskopisch zeigte sich die Netzhaut nun wieder allseits anliegend mit gut dellender Plombe im Bereich des Netzhautdefektes. Der Patient wurde zur weiteren regelmäßigen Kontrolle an den betreuenden niedergelassenen Augenarzt entlassen.

Bei peripherer Amotio ohne Makulabeteiligung ist die Visusprognose in der Regel sehr gut. Es sollten allerdings regelmäßige augenärztliche Kontrollen erfolgen, um Frühzeichen von Rezidiven zu erkennen, da das Risiko dauerhaft erhöht bleibt. Das Risiko eines Rezidivs nach fünf Jahren ist gegenüber der Normalbevölkerung erhöht. Eine sofortige Kontrolle bei erneuter Symptomatik ist ebenfalls notwendig.

Präventive Therapiemöglichkeiten
Es bedürfen nicht alle asymptomatischen Netzhautdefekte einer präventiven Behandlung. Präventiv sollten hingegen alle symptomatischen Netzhautdefekte und asymptomatischen Hufeisenforamina behandelt werden. Dies kann mit Laserkoagulation oder Kryokoagulation erfolgen, wobei letztere insbesondere bei weit peripher gelegenen und mit Laser schlecht erreichbaren Foramina eingesetzt wird. Das Ziel der präventiven Behandlung ist eine feste Verbindung zwischen Netzhaut und darunter gelegenem Gewebe (retinales Pigmentepithel und Aderhaut), um ein Eindringen von Flüssigkeit unter die Netzhaut zu verhindern. Dieser feste Halt entsteht durch Vernarbung aber erst etwa zwei Wochen nach dem Eingriff, weswegen bis dahin engmaschigere Kontrollen erfolgen sollten und der Patient zur erhöhten Wachsamkeit gegenüber Symptomen einer Netzhautablösung angehalten werden sollte.

Literatur

  • Kirchhof B, Oh KT, Hartnett ME, Landers MB III. Pathogenetic Mechanisms of Retinal Detachment. In: Ryan SJ: Retina. Fifth Edition, Volume III (2013):1616-21.
  • Burton TC. The influence of refractive error and lattice degeneration on the incidence of retinal detachment. Trans Am Ophthalmol Soc 1989;87:143-55.
  • Kanski JJ. Klinische Ophthalmologie – Lehrbuch und Atlas. 6. Auflage (2008). Kapitel 19: Netzhautablösung:726.
  • Merin S, Feiler V, Hyams S, Ivry M, Krakowski D, Landau L, Maythar B, Michaelson IC, Scharf J, Schul A, Ser I. The fate of the fellow eye in retinal detachment. Am J Ophthalmol. 1971 Feb;71(2):477-81.