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Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Adipositas und Kopfschmerz"


Folge 61 der Reihe Zertifizierte Kasuistik

 von René Trabold

Allgemein

Das Vorliegen eines nahezu beständigen holocephalen Kopfschmerzes über Monate mit vegetativen Begleiterscheinungen wie z. Bsp. Erbrechen sollte in jedem Falle und unbedingt Anlass für eine breite Differentialdiagnostik sein. Ein unauffälliger neurologischer Untersuchungsbefund schließt eine symptomatische Ursache der Cephalgien nicht aus.

Wegweisend für gewisse Verdachstdiagnosen sind hier - zumindest klinisch - der Aspekt und Habitus der Patientin. Es scheint aufgrund des Wachstums, des Körpergewichtes und der verstärkten männlichen Behaarungsstigmata ein hormonelles Problem vorzuliegen.

Nicht selten ist hier das Syndrom polyzystischer Ovarien zu nennen, welches in der Folge zu einer  intrakraniellen Hypertension führen kann.  Diese lag bei unserer Patientin vor.

Definition

Die idiopathische intrakranielle Hypertension beschreibt eine intrakranielle Liquordrucksteigerung ohne Nachweis einer zugrundliegenden strukturellen Pathologie (wie Raumforderung, Verlegung der venösen Leiter etc). Bei manifestem Nachweis einer Störung der Liquorleitung oder des Umsatzes oder bei bestehendem V. a. eine medikamenten Wirkung soll von einer „sekundären intrakraniellen Hypertension“ gesprochen werden. Es existiert daneben der Begriff des „Pseudotumor cerebri“.

Die Ätiologie ist nicht einheitlich zu klären, es wird die pathologisch / -pathophysiologische Endstrecke  diverser Erkrankungen, welche zu o. g. Definition führen, angenommen.

Als Risikofaktoren gelten in erster Linie das Geschlecht (F > M; 8:1), Übergewicht und Fertilität.

Ursachen einer sekundären intrakraniellen Hypertension können sein eine veränderte Liquorzusammensetzung,-Produktion oder Abfluss, strukturelle Abflusshindernisse (Sinusthrombosen, kraniozervikale Übergangsanomalien), Änderung systemischer Druckverhältnisse (z. Bsp. gestörte rechtsventrikuläre Funktionen), Änderungen der Liquoreiweisszusammensetzung (z.B. Guillain- Barré- Syndrom) wie auch Medikamente. Solche, die die Entstehung einer sekundären intrakraniellen Hypertension begünstigen, sind zum Beispiel:

  • Tetrazykline,
  • Vitamin A-Präparate,
  • Retinoide.

Einzelfallberichte liegen für Hormonpräparate wie auch Psychopharmaka vor.

 

Klassifikation

Unter der intrakraniellen Hypertension versteht man einen Symptomkomplex aus Kopfschmerz (nahezu täglich, holocephal) mit teils vegetativer Begleitsymptomatik, Sehstörungen (sämtliche visuelle Phänomene, auch Störungen der Okulomotorik durch Abducensparese, beidseitig möglich) und Papillenödem (meist beidseits Stauungspapille) bei erhöhtem Liquordruck, der nicht durch offensichtlich nachweisbares strukturell pathologisches Korrelat entstanden ist.

Anamnese

Die Anamnese soll - neben der Abfrage der oben genannten Symptome - besonderen Wert auf Gewichtsveränderungen, hormonelle Auffälligkeiten und Medikamenteneinnahme legen.

Diagnostik

Die Diagnostik wird zunächst angeführt von dem Ausschluss sekundärer Ursachen. Diagnostische Kriterien für die idiopathische intrakranielle Hypertension sind entsprechend klinische Symptome erhöhten Hirndrucks (siehe Symptomkomplex), eine unauffällige zerebrale Bildgebung (ausser gegebenenfalls typischem Bild einer „empty sella“) inklusive der Darstellung venöser Leiter, ein erhöhter Liquordruck im Liegen (>25 cm H20, Graubereich 20-25 cm H20, bei Normalgewichtigen bereits ab >20 cm H20) (zusammenfassend aus Friedman u. Jacobsen 2002, Wall 2010).

Ergänzende Diagnostik

Neben der ophthalmologischen Fundoskopie mit der Frage nach Stauungs- / Drusenpapille Optikusdarstellung erfolgt heute regelmäßig die B-Bild-Sonographie des Bulbus oculi mit Darstellung der Papille wie auch des Durchmessers der Optikusscheide (cut off 5,8 mm). Eine optische Kohärenztomographie kann zusätzlich zur Papillenbefundung herangezogen werden.

Therapie

Die therapeutischen Maßnahmen orientieren sich an einem Stufenschema (1-3) gemessen an dem Ausmaß einer Stauungspapille beziehungsweise dem Visusverlust.

Medikamentös wird Azetazolamid, (alternativ: Furosemid) oder Topiramat verordnet.

Grundsätzlich sollte zumindest initial eine Liquordruckmessung erfolgen; eine Liquordrucksenkung durch wiederholte Liquorentlastungspunktionen kann beziehungsweise sollte dann individualisiert erfolgen (bis jeden 2. Tag in Extremfällen!).

Ab Stufe 3 sind invasiv-operative Maßnahmen wie Shunt-Versorgung, Optikusscheidenfensterung oder auch Stentversorgungen der Sinus angezeigt. Zur Wahl der verschiedenen Optionen wird auf die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften verwiesen.

Eine Gewichtsreduktion, sofern Adipositas bestehend, ist konsequent umzusetzen.  Sinclair et al (2010) werden in den gültigen DGN-Leitlinien zitiert mit einer definierten Diät (425 kcal/ Tag) über drei Monate. In letzter Möglichkeit ist auch zur Adipositaschirurgie zu raten.

Die Behandlung der sekundären Formen folgt entsprechend der der Grunderkrankung. Sollte dies nicht oder nicht schnell genug möglich sein, so gelten die Therapierichtlinien gemäß der der idiopathischen Verlaufsform.