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Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: Unklare zervikale/thorakale Beschwerden bei einem 38-jährigen Mann


Folge 62 der Reihe Zertifizierte Kasuistik

von Christian W. Schaaf

Weiterer klinischer Verlauf

Nach der Übernahme von der Abteilung für Neurologie erfolgte zur Abklärung der Thoraxschmerzen eine initial routinemäßige kardiologische Diagnostik. Aufgrund des Befundes in der Echokardiographie und der Infektvorgeschichte kam rasch der Verdacht auf eine Perimyokarditis auf, so dass die Durchführung eines Kardio-MRTs einer Herzkatheteruntersuchung vorgezogen wurde.  Der MRT-Befund mit Perikarderguss und Veränderungen im Late Enhancement im mittleren linksventrikulären Drittel des Myokards inferolateral bestätigten und spezifizierten die Perimyokarditis. Es erfolgte eine Infektbehandlung mit parenteraler Flüssigkeitssubstitution und Gabe von Paracetamol zur Fiebersenkung bei Temperaturen über 38 ° C sowie eine antiphlogistische Therapie mit Aspirin 1000 mg alle acht Stunden über ein bis zwei Wochen mit Magenschutz und der Empfehlung einer Dosisreduktion alle ein bis zwei Wochen. Da der Patient initial tachykard war, wurde ein Betablocker und im Verlauf zusätzlich ein ACE-Hemmer verabreicht. Es wurde für die ersten drei Tage eine Monitorüberwachung durchgeführt. Hierbei konnten keine Herzrhythmusstörungen aufgezeichnet werden.

Der Patient wurde bei Entlassung darauf hingewiesen, jegliche sportliche bzw. körperlich anstrengende Tätigkeit für mindestens zwei Monate zu unterlassen. Entsprechende Kontrolluntersuchungstermine mit Echokardiographie und Langzeit-EKG in zwei Monaten wurden vereinbart. Bezüglich nebenbefundlich aufgefallener Gallenblasenpolypen wurden ebenfalls sonographische sowie laborchemische Kontrollen bei begleitend erhöhten Cholestaseparametern empfohlen.

 

Definition

Die Myokarditis ist eine entzündliche Herzmuskelerkrankung, die sich auf die Herzmuskelzellen, das Interstitium und die Herzgefäße beziehen kann, an einigen Stellen im Myokard lokalisiert ist oder generalisiert das ganze Myokard betrifft. Ist zusätzlich das Perikard in den entzündlichen Prozess involviert, spricht man von einer Perimyokarditis.  Meist liegt dann begleitend ein Perikarderguss vor.

Ätiologie und Pathogenese

Ursache sind meist virale Infektionen des Myokards, welche typischerweise in der Folge viraler Infektionserkrankungen des oberen Respirationstraktes auftreten. Es besteht eine relativ hohe Dunkelziffer, da die Mehrzahl der Fälle asymptomatisch bzw. nur gering symptomatisch ist [3].

Beteiligte Viren sind unter anderem

  • Parvovirus B19,
  • Coxsackie,
  • Herpesviren,
  • EBV,
  • Influenza-,
  • Adeno- sowie
  • Echoviren.

Seltener sind bakterielle Myokarditiden, u.a. im Zusammenhang mit septischen Erkrankungen oder bakteriellen Endokarditiden (Staphylokokken und Enterokokken), Angina tonsillaris, Scharlach oder Erysipel (beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A) sowie der Lyme-Borreliose (Borrelia burgdorferi) und Diphtherie. Noch seltener wird eine Myokarditis durch Pilze bei Immunsuppression oder Protozoen wie zum Beispiel im Rahmen der Toxoplasmose oder Chagas-Krankheit insbesondere in Südamerika hervorgerufen. Nicht-infektiöse Myokarditiden treten im Kontext mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises oder nach Bestrahlung des Mediastinums auf [3].

 

Histologie

Virusmyokarditiden können durch eine Kreuzreaktivität von viralen und myokardialen Strukturen zu Immunphänomenen führen. Bei akuter Myokarditis finden sich deshalb in rund 70 Prozent antimyolemmale Antikörper (AMLA) vom Typ IgM sowie antisarkolemmale Antikörper (ASA) vom Typ IgM in der Myokardbiopsie und zirkulierend im peripheren Blut, es kommt zur entzündlichen Infiltration des Myokards mit Myozytolyse. Histologisch wird die Myokarditis klassifiziert nach Dallas (akut I bis chronisch V). Hilfreich hierbei sind immunhistochemische Zusatzuntersuchungen zur Darstellung von Lymphozyten und Makrophasen. Mit Spezialfärbungen wie der Kongo-Färbung kann eine Amyloidose polarisationsoptisch erfasst werden. Zusätzlich kann ein molekularpathologischer Nachweis viraler RNA oder DNA erfolgen.  [1,3,7].

 

Klinik und Diagnostik bei Myokarditis

Die klinischen Verläufe sind äußerst variabel. Häufig kommt es einige Tage bis Wochen nach einem Infekt zu Müdigkeit mit Leistungsknick, Brustschmerzen, Herzstolpern oder Herzrasen sowie eventuell klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz. Die Auskultation ist meist uncharakteristisch, eventuell ist ein 3. Herzton bei Herzinsuffizienz zu hören, gelegentlich auch ein Perikardreiben bei der fibrinösen Perikarditis, meistens verbunden mit Schmerzen. Laborchemisch kommt es regelmäßig, aber nicht grundsätzlich zu einer Erhöhung der Herzenzyme sowie der Entzündungsparameter. Bei einer manifesten Herzinsuffizienz ist auch das BNP entsprechend erhöht [2,3] .

Im EKG finden sich häufig eine Sinustachykardie, Rhythmusstörungen,  Extrasystolen, ST-Senkungen und T-Negativierungen, ST-Hebungen (häufig konkavbögig) sowie insbesondere bei der Lyme-Perimyokarditis Erregungsleitungsstörungen in Form eines AV-Blocks [1]. Es kann außerdem eine Niedervoltage vorliegen, insbesondere bei einem begleitenden Perikarderguss [3].

Echokardiographisch zeigt sich neben einem möglichen Perikarderguss ggf. auch eine reduzierte systolische linksventrikuläre Pumpfunktion. In hoher Zahl liegen jedoch Normalbefunde vor (vgl. Kasuistik).
Zum sicheren Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung/ eines akuten Koronarsyndroms bei erhöhten Herzenzymen, ggf. Dyspnoe und thorakalen Beschwerden sollte eine Linksherzkatheter-untersuchung durchgeführt werden [1].

Im MRT kommt es als Zeichen der Entzündung im Myokard zu einem myokardialen bis epikardialen fleckförmigen diffusen sog. „late gadolinium enhancement“ (späte Kontrastmittelanreicherung) sowie Signalanhebung in den T2-gewichteten Sequenzen als Ausdruck eines entzündlichen Ödems. Für eine weiterführende Diagnostik insbesondere bei fulminant eingeschränkter Pumpfunktion ist eine Myokardbiopsie mittels Linksherzkatheter aus den betroffenen Arealen zu erwägen. Dieser Eingriff sollte jedoch wegen der hohen Komplexität und des Risikos einer Perforation sowie Arrhythmie an Zentren durchgeführt werden [1,2,3,7].

Therapie

Im Vordergrund steht die symptomatische Therapie mit körperlicher Schonung, NSAR- und Magenschutzgabe, Thromboembolieprophylaxe sowie Behandlung von Komplikationen (Herzinsuffizienztherapie). Bei einer rheumatischen Karditis ist eine entsprechende antibiotische Therapie z.B. mit Penicillin, bei speziellen viralen Formen und Verläufen auch der Versuch einer antiviralen Therapie möglich [3]. Immunsuppressive Therapien sind umstritten, allerdings bei Sonderformen wie der Riesenzellmyokarditis oder der eosinophilen Myokarditis wegen der hohen Letalität angezeigt. Zur Überbrückung von Akutphasen kommen Herzunterstützungssysteme (sog. kardiale Assist-Devices) in Betracht. Ultima ratio bleibt die Herztransplantation [4,5].

 

Prognose

Die Prognose ist in der Mehrzahl der Fälle gut, meistens kann von einer Ausheilung ausgegangen werden (ca. 70 bis 80 %), mit eventueller Persistenz harmloser Rhythmusstörungen z.B. in Form von vermehrten Extrasystolen. In rund 15  bis 30 Prozent der Fälle werden chronische Verläufe mit der Entwicklung einer dilatativen Kardiomyopathie und konsekutiver Herzinsuffizienz beobachtet [1,2,3,6]. Relativ selten ist der Ausgang letal.

 

Literatur

  1. Römer C, Metreveli I, Klingel K, Berger A Akutes Koronarsyndrom bei einem 18-jährigen sportlichen Mann Der Kardiologe 2019; 13: 92-97
  2. Baenkler HW, Goldschmid H, Hahn JM, Hinterseer M, Knez A, Lafrenz M, Möhlig M, Pfeiffer AFG, Schmidt HHJ, Schmidt M, Spranger J, Witzens-Harig M, Zidek W Myokarditis Kurzlehrbuch Innere Medizin 2015; 3. Auflage, Kap. 1.8.1: 83
  3. Herold G et al Perimyokarditis, Innere Medizin 2019: 234-235
  4. Winter MP, Sulzgruber P, Koller L, Bartko P, Goliasch G, Niessner A Immunomodulatory treatment for lymphocytic myocarditis—a systematic review and meta-analysis Heart Fail Rev 23(4):573–581
  5. Cooper LT Jr., Berry GJ, Shabetai R Idiopathic giant-cell myocarditis—natural history and treatment. Multicenter Giant Cell Myocarditis Study Group Investigators N Engl J Med 336(26):1860–1866
  6. Ukena C, Mahfoud F, Kindermann I, Kandolf R, Kindermann M, Bohm M Prognostic electrocardiographic parameters in patients with suspected myocarditis Eur J Heart Fail 13(4):398–405
  7. Klingel K, Sechtem U, Kindermann I Myokardbiopsie Der Kardiologe 2017 11(3):227–246