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Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: Patientin mit anhaltendem produktiven Husten und thorakalen Schmerzen


Folge 82 der Reihe Zertifizierte Kasuistik

von Markus Zettler, Oliver Witzke, Christiane Scheytt, Jan Kehrmann, Jan Dziobaka und Pia Mahadevan

 

Erläuterung zur Kasuistik

In der vorliegenden Kasuistik handelt es sich um das Krankheitsbild einer Lungentuberkulose. Die Lungentuberkulose ist eine Infektionserkrankung, die über erregerhaltige Tröpfchenkerne (Aerosole) von einer erkrankten Person auf eine gesunde Person übertragen werden kann. Auf globaler Ebene ist Mycobacterium tuberculosis nach SARS-CoV-2 der Infektionserreger, an dem weltweit die meisten Menschen versterben [1]. Krankheitserreger sind Bakterien, die dem Mycobacterium tuberculosis Komplex zuzuordnen sind. Hierzu gehören neben Mycobacterium tuberculosis auch Mycobacterium bovis, Mycobacterium africanum, Mycobacterium caprae, Mycobacterium microti und andere. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind im Jahr 2021 etwa 10,6 Mllionen Menschen an einer Tuberkulose erkrankt, was einer globalen Inzidenz von etwa 132 : 100.000 Einwohnern entspricht [2]. Deutschland gehört zu den Ländern mit niedriger Inzidenz. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden im Jahr 2023 in Deutschland 4.481 neue Fälle an Tuberkulose gemeldet, entsprechend einer Inzidenz von 5,3 : 100.000 Einwohnern. Hiervon waren 76,8 Prozent der erkrankten Patienten im Ausland geboren.

In dem Fallbericht wird eine 34-jährige Patientin vorgestellt, die beruflich im Gesundheitswesen in der Altenpflege tätig und nach durchgemachter Infektion mit SARS-CoV-2 mit persistierendem produktivem Husten und Nachtschweiß auffällig geworden ist. Der Thorax der Patientin ist unauffällig konfiguriert. Es besteht jedoch ein Druckschmerz der linken Thoraxwand. Die Atemexkursion ist regelrecht, der Klopf-schall sonor. Im Auskultationsbefund ließen sich trockene RGs im linken apikalen Lungenabschnitt vernehmen. Die restliche körperliche Untersuchung zeigte sich unauffällig. In der Computertomographie des Thorax (siehe Abbildung) stellte sich eine Kaverne im linken Lungenoberlappen dar, woraufhin der Verdacht einer Tuberkulose der Atmungsorgane geäußert wurde. 

Abhängig vom Tätigkeitsfeld können Mitarbeiter im Gesundheitswesen einem erhöhten Infektionsrisiko für Tuberkulose ausgesetzt sein [3, 4].  Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann das Risiko für eine Tuberkulose erhöhen, zudem können beide Erkrankungen sich in ihrem Verlauf gegenseitig ungünstig beeinflussen [5, 6].

Die Einleitung einer Diagnostik auf eine aktive Tuberkuloseerkrankung ergibt sich aus den Informationen aus Anamnese, körperlicher Untersuchung sowie gegebenenfalls bereits vorliegender radiologischer Befunde. Wenn der Verdacht auf eine ansteckungsfähige Lungentuberkulose gestellt wird, sollte unverzüglich eine mikrobiologische Untersuchung von Sputum auf Erreger des Mycobacterium tuberculosis Komplex veranlasst werden. Diese umfasst eine mikroskopische Untersuchung auf säurefeste Stäbchen (Licht- beziehungsweise Fluoreszenzmikroskopie; siehe Abbildung), deren Menge in semi-quantitativer Form (von negativ bis dreifach +) im Befund angegeben wird und ein Maß für Infektiosität darstellt. Molekularbiologische Techniken, zum Beispiel die Polymerasekettenreaktion (PCR), können Tuberkulose-Erreger von Umweltmykobakterien beziehungsweise atypischen Mykobakterien, welche in der Umwelt vorkommen, differenzieren. Hierzu gehören beispielsweise Mykobakterien des Mycobacterium-avium Komplexes, welche fakultativ pathogen sind. Die diagnostische Referenzmethode mit der höchsten Sensitivität ist noch immer die kulturelle Anzucht in Flüssig- beziehungsweise Festkulturen. Damit kann auch eine phänotypische Resistenzbestimmung zur Testung der Wirksamkeit von Antibiotika durchgeführt werden [7]. Aufgrund des langsamen Wachstums tuberkulöser Mykobakterien kann es jedoch mehrere Wochen dauern, bis die Kultur positiv wird [7]. Die Tuberkulose kann prinzipiell jedes Organ betreffen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts war im Jahr 2022 in Deutschland von allen Tuberkulosefällen die Lungentuberkulose die häufigste Manifestation (rund 75 % der Fälle). Außerhalb der Atemwegsorgane manifestiert sich die Tuberkulose vor allem in Lymphknoten als Lokalisation einer extrapulmonalen Tuberkulose [8].

Von der Tuberkuloseerkrankung unterscheidet man die symptomlose, latente Infektion mit Mycobacterium tuberculosis, welche auch als latente tuberkulöse Infektion (latente Tuberkulose) bezeichnet wird. Der Nachweis einer tuberkulösen Infektion wird über ein positives Ergebnis im Tuberkulin-Hauttest gestellt beziehungsweise in den heute üblicherweise zum Einsatz kommenden IGRA´s (Interferon-Gamma Release Assays).

Für die Diagnosestellung einer latenten Tuberkulose ist aber der Ausschluss einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose erforderlich, wofür zumindest eine konventionelle Röntgen-Thorax Aufnahme sowie das Fehlen typischer Symptome eines an Lungentuberkulose erkrankten Patienten wie zum Beispiel Abgeschlagenheit, Husten und B-Symptomatik, erforderlich sind. Bei der latenten tuberkulösen Infektion werden die Krankheitserreger durch das Immunsystem kontrolliert und eine Ausbreitung verhindert. Der Patient ist daher nicht infektiös. Der demographische Wandel führt zur Entwicklung einer Bevölkerungsstruktur mit wachsendem Anteil an Menschen in fortgeschrittenem Lebensalter. Zahlreiche Begleiterkrankungen sowie die natürliche Alterung des Immunsystems (Immunseneszenz) können den Übergang von einer latenten Infektion mit Mycobacterium tuberculosis hin zur aktiven Erkrankung begünstigen [9].

Die Infektiosität eines an Lungentuberkulose erkrankten Patienten ist abhängig von der Menge der ausgeschiedenen Erreger. Das Risiko für eine Ansteckung ist aber auch abhängig von der Art und Umfang des Kontaktes mit dem erkrankten Patienten. Patienten mit Nachweis von säurefesten Stäbchen in der Mikroskopie gelten als hochinfektiös. Für die Nachverfolgung von möglichen relevanten Kontaktpersonen ist die Ermittlung der kumulativen Expositionsdauer in Räumen mit dem Erkrankten wichtig. Bei mikroskopisch positiven Patienten wird eine Dauer von mindestens acht Stunden genannt, bei lediglich kulturell oder molekularbiologisch positiven Patienten von mindestens 40 Stunden. Allerdings kann auch ein kurzer, aber intensiver Kontakt mit einem schwer kranken und hustenden Patienten mit Lungentuberkulose zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko führen [10].

Weitere Risikofaktoren, bei Infektion an aktiver Lungentuberkulose zu erkranken, sind hinreichend bekannt. Hier sind vor allem Personen mit einer Immundefizienz (zum Beispiel HIV), Kinder unter fünf Jahre sowie der zunehmende Einsatz von Biologika, insbesondere TNF-α-Inhibitoren (zum Beispiel Infliximab), zu nennen [11]. Etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten, die sich mit M. tuberculosis infizieren, erkranken an der Tuberkulose. Das Risiko ist dabei innerhalb der ersten zwei Jahre nach Infektion am höchsten.

Die Standardtherapie der sensiblen Tuberkulose umfasst eine Dauer von sechs Monaten mit mehreren Medikamenten. Dabei werden die Antibiotika Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol in der Initialphase der Behandlung über zwei Monate verabreicht, in der darauffolgenden Kontinuitätsphase lediglich Rifampicin und Isoniazid für weitere vier Monate [7]. Voraussetzung für dieses Behandlungsregime ist allerdings, dass keine Resistenzen von Mycobacterium tuberculosis gegen Medikamente der Standardtherapie vorliegen dürfen. Mit diesem Behandlungsregime können weltweit etwa 85 Prozent der Patienten mit einer sensiblen Tuberkulose erfolgreich behandelt werden. Ein hohes Maß an Therapieadhärenz ist gerade bei dieser langdauernden Therapie erforderlich, da bereits die Einnahme von ≤ 90 Prozent der vorgesehenen Medikation zu einem ungünstigen Therapieergebnis führen kann [12]. Zur Prävention einer Tuberkulose ist lediglich der BCG (Mycobacterium bovis bacille Calmette-Guérin) Impfstoff zugelassen und verfügbar. Ergebnisse einer Meta-Analyse zeigen vorwiegend bei jüngeren Kindern einen protektiven Effekt [13].

Eine wichtige Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist die Erfassung relevanter Kontaktpersonen in der Umgebungsuntersuchung. Diese ist erforderlich, um eine Infektion beziehungsweise eine Erkrankung relevanter Kontakte frühzeitig erfassen und behandeln sowie einer weiteren Ausbreitung vorbeugen zu können. In diesem Fall wurden Haushaltskontakte, relevante private Kontakte sowie Mitarbeiter und Bewohner der Pflegeeinrichtung in die Umgebungsuntersuchung eingeschlossen. Das Vorgehen wird dabei an die Alterskategorie der Kontaktpersonen angepasst [10].

Eine Infektionsquelle war allerdings in diesem Fall nicht zu identifizieren.


Literatur

  1. Falzon, D., et al., The impact of the COVID-19 pandemic on the global tuberculosis epidemic. Front Immunol, 2023. 14: p. 1234785.
  2. Bagcchi, S., WHO's Global Tuberculosis Report 2022. Lancet Microbe, 2023. 4(1): p. e20.
  3. Schablon, A., et al., Occupational screening for tuberculosis and the use of a borderline zone for interpretation of the IGRA in German healthcare workers. PLoS One, 2014. 9(12): p. e115322.
  4. Diel, R., R. Loddenkemper, and A. Nienhaus, Predictive value of interferon-gamma release assays and tuberculin skin testing for progression from latent TB infection to disease state: a meta-analysis. Chest, 2012. 142(1): p. 63-75.
  5. Kumwichar, P. and V. Chongsuvivatwong, COVID-19 pneumonia and the subsequent risk of getting active pulmonary tuberculosis: a population-based dynamic cohort study using national insurance claims databases. EClinicalMedicine, 2023. 56: p. 101825.
  6. Visca, D., et al., Tuberculosis and COVID-19 interaction: A review of biological, clinical and public health effects. Pulmonology, 2021. 27(2): p. 151-165.
  7. Schaberg, T., et al., [Tuberculosis in adulthood - The Sk2-Guideline of the German Central Committee against Tuberculosis (DZK) and the German Respiratory Society (DGP) for the diagnosis and treatment of adult tuberculosis patients]. Pneumologie, 2022. 76(11): p. 727-819.
  8. Baykan, A.H., et al., Extrapulmonary tuberculosis: an old but resurgent problem. Insights Imaging, 2022. 13(1): p. 39.
  9. Khan, A., et al., Enduring Challenge of Latent Tuberculosis in Older Nursing Home Residents: A Brief Review. J Clin Med Res, 2019. 11(6): p. 385-390.
  10. Diel, R., et al., [Recommendations for contact tracing for tuberculosis - update 2023]. Pneumologie, 2023. 77(9): p. 607-631.
  11. Diel, R., et al., [Recommendations for tuberculosis screening before initiation of TNF-alpha-inhibitor treatment in rheumatic diseases]. Pneumologie, 2009. 63(6): p. 329-34.
  12. Imperial, M.Z., et al., A patient-level pooled analysis of treatment-shortening regimens for drug-susceptible pulmonary tuberculosis. Nat Med, 2018. 24(11): p. 1708-1715.
  13. Martinez, L., et al., Infant BCG vaccination and risk of pulmonary and extrapulmonary tuberculosis throughout the life course: a systematic review and individual participant data meta-analysis. Lancet Glob Health, 2022. 10(9): p. e1307-e1316.