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Gesundheit als globale Aufgabe

20.11.2019 Seite 14
RAE Ausgabe 12/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2019

Seite 14

  • Am 28. September 2018 erschüttert ein Erdbeben der Stärke 7.4 die indonesische Insel Sulawesi. Das Erdbeben löst einen Tsunami aus, der mit über drei Metern Höhe auf Land trifft. 4.140 Menschen sterben, mehr als 4.400 werden verletzt. © Australisches Rotes Kreuz/IFRK
  • Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke (l.), begrüßte den Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), Elhadj As Sy, im Haus der Ärzteschaft. © Jochen Rolfes
In einer Welt, in der die Reise ans andere Ende der Welt nahezu Normalität geworden ist und Waren aus allen Teilen der Welt vor die Haustür geliefert werden, muss eines klar sein: Auch Gesundheitsgefahren kennen keine Grenzen mehr. Die Frage, welche Herausforderungen eine globale Gesundheit mit sich bringt, stellte die siebte Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung in Düsseldorf.

von Jocelyne Naujoks und Sabine Schindler-Marlow 

Wer am 5. November dieses Jahres die Nachrichten verfolgt, dem entgeht diese Meldung nicht: Mehr als 11.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt warnen vor einem drohenden Klima-Notfall. Der Menschheit stehe „noch nie dagewesenes Leid“ bevor, so die Experten. Obwohl man seit Jahrzehnten um die Bedrohung durch den Klimawandel wisse, habe man so weiter gemacht wie bisher, heißt es.

Es scheint, als bildete diese Warnung die Vorhut für die nunmehr siebte Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung, die nur wenige Tage später unter dem Titel „Globale Gesundheit – Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute?“ im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf stattfindet. „Der Klimawandel stellt eine existenzielle Bedrohung für Menschen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt dar“, sagt Elhadj As Sy, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Der Klimawandel sei kein Problem der Zukunft mehr, so As Sy vor den rund 200 Gästen.

Die Vorlesungsreihe wurde 2013 zu Ehren des verstorbenen Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein und der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, ins Leben gerufen. Hoppe stand zeitlebens für eine feste ethische Fundierung des Arztberufes ein und maß das ärztliche Handeln stets am Wohle des Patienten. Hoppe habe die Ärzteschaft, die Politik und die Gesellschaft immer wieder mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert und damit entscheidende Debatten angestoßen, sagte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Mit der Vorlesungsreihe wolle die Ärztekammer Nordrhein das Wirken Hoppes ehren und auf diese Weise fortführen.

Nicht nur die offensichtlichen körperlichen und psychischen Verletzungen sondern auch die Zerstörung medizinischer Einrichtungen, der Zusammenbruch von Gesundheitssystemen und die Abschottung von Gemeinden von lebensrettender medizinischer Versorgung sowie das erhöhte Krankheitsrisiko zum Beispiel durch verseuchtes Wasser mache jede Klimakatastrophe zu einem schweren Gesundheitsnotfall, sagte As Sy. Der Ausbau von Frühwarnsystemen, die Antizipation von Katastrophen und deren Auswirkungen sowie die Verringerung von langfristiger Exposition und Vulnerabilität seien effizienter und kostengünstiger als blinder Aktionismus im Notfall, so As Sy. Gemeinschaften müssen sich seiner Meinung nach besser auf klimabedingte Krankheiten und Krankheiten vorbereiten, die über das Wasser oder durch Vektoren übertragen werden.  

Den Kreislauf der Panik durchbrechen

Neben dem Klimawandel bergen laut As Sy die unzureichende Epidemie- und Pandemie-Vorsorge und die psychische Gesundheit die größten globalen Gefahren für die Gesundheit einzelner Menschen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt. „Der Kreislauf der Panik und der Nachlässigkeit“ müsse durchbrochen werden, so der Generalsekretär. Nationen, Hilfsorganisationen und Gesundheitssysteme müssten enger zusammenarbeiten und finanzielle Mittel bereitstellen – und zwar vor dem Katastrophenfall, so As Sy. Kliniken bräuchten ausgebildetes Krankenpflegepersonal, Medikamente und medizinische Geräte, um Krankheitserreger zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Es brauche starke, widerstandsfähige und integrierte Gesundheitssysteme, die die Menschen und Organisationen vor Ort einbeziehen und für den Krisenfall vorbereiten. Nur so könnten Gesundheitssysteme angemessen auf Pandemien und Epidemien reagieren und sich vor den Auswirkungen schützen. Denn auch im Krisenfall müsse die allgemeine medizinische Versorgung gewährleistet sein.

Die Katastrophenvorsorge der Länder und Regierungen ist As Sy zufolge noch immer unzureichend. Dabei habe „Vorsorge eines der besten Preis-Leistungs-Verhältnisse“, so As Sy, denn „bescheidene Investitionen bringen hohe Renditen“. Es müsse mehr in die Forschung und Entwicklung investiert werden sowie in Vorsorgepläne und -maßnahmen. Insbesondere für die ärmsten und am stärksten gefährdeten Länder müssten die finanziellen Mittel erhöht werden, um sicherzustellen, dass die Vorsorgepläne ausreichend finanziert sind, sagte As Sy. „Länder mit chronisch schwachen und überforderten Gesundheitssystemen brauchen mehr Kliniken, medizinische Geräte, Medikamente, Krankenpflegepersonal und Ärztinnen und Ärzte, die durch Schulungen zusätzlich gestärkt werden.“ Denn, so der IFCR-Generalsekretär: „Die Welt ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“ 

Geflüchtete psychisch enorm belastet

„Psychische Gesundheit ist eine humanitäre Herausforderung“, sagte As Sy. Es sei nötig, die psychischen Folgen humanitärer Krisen anzuerkennen und entsprechend mehr Hilfsdienste im psychischen und psychosozialen Bereich bereit zu stellen. 70 Millionen Menschen seien derzeit auf der Flucht. Durchschnittlich 18 Jahre lang dauere die Flucht für den Großteil dieser Menschen. Die Fluchterfahrungen belasteten die psychische Gesundheit und das psychosoziale Wohlbefinden der Geflüchteten enorm. Doch gerade in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen, die am häufigsten von humanitären Krisen betroffen sind, sei der Zugang zu psychologischen und psychosozialen Hilfsdiensten begrenzt, so As Sy. Lokale Organisationen müssten finanziell unterstützt und vor Ort Maßnahmen ergriffen werden, damit den Betroffenen in den ersten Tagen und Wochen nach einem Notfall geholfen werden kann, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen hätten humanitäre Helferinnen und Helfer, berichtet As Sy. Auch sie brauchten Zugang zu Gesundheitsdiensten im psychosozialen und psychischen Bereich, um das Erlebte zu bewältigen und weiterhin Menschen in Not helfen zu können.

As Sy sieht viele Parallelen in der Arbeit der Ärztekammer und des IFRC: Beide brächten Menschen zusammen und setzten deren Engagement und Wissen zum Wohle der Menschen ein. So sei auch Hoppes Wirken stets von dem Wunsch getragen gewesen, weltweit zu einer bestmöglichen medizinischen Versorgung aller Menschen beizutragen.