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Meinung

Kultur der Zuwendung

25.11.2020 Seite 3
RAE Ausgabe 12/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2020

Seite 3

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein © Jochen Rolfes
Die Beihilfe zum Suizid gehört auch in Zukunft ganz grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.

Über die gewaltigen Herausforderungen, vor die uns die Coronakrise gerade stellt, sollten wir grundlegende Fragen unseres Berufes nicht vernachlässigen. Es gibt eine neue Debatte über das Verbot des assistierten Suizids in unserer Berufsordnung. Anlass ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar. Das Gericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, wie es seit dem Jahr 2015 in Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs steht, für verfassungswidrig erklärt. Was bedeutet das für uns?

Zunächst einmal eine Enttäuschung, denn die rheinische Ärzteschaft und auch die Bundesärztekammer haben sich seinerzeit vehement für das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung eingesetzt. Wir wollten erreichen, dass der Staat dem Treiben fragwürdiger Sterbehilfevereine wie dem des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch nicht länger tatenlos zusehen muss. Eine organisierte Ermutigung zum Suizid, das ist die große Gefahr, kann zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen, in dem sich schwerkranke, pflegebedürftige oder behinderte Menschen zur Selbsttötung gedrängt fühlen. 
Aus ärztlicher Sicht haben Menschen mit existenziellen Leiden Anspruch auf eine Kultur der Zuwendung und des Gesprächs und auf bestmögliche Medizin, auch und gerade in scheinbar aussichtslosen Situationen. Der Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden ist ein Gradmesser für die Humanität unserer Gesellschaft, dieser Satz muss für uns handlungsleitend bleiben. Deshalb machen wir uns mit unserer Kammer seit vielen Jahren für eine gute palliativmedizinische Versorgung, für Suizidprävention und für psychosoziale Begleitung stark. 

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Selbstbestimmungsrecht hohe Bedeutung beigemessen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Selbsttötung und die Suizidassistenz zur gesellschaftlichen Normalität werden dürfen. Dass der Suizid, wenn auch vielleicht nur unausgesprochen, als eine Art moderner Königsweg im Raume steht für Menschen, die einfach nur verzweifelt sind, oder solche, die glauben, eine Last für ihre Angehörigen zu sein. 

Es bleibt dabei: Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, Leben zu retten, Krankheit zu heilen, Gesundheit zu erhalten, Leiden zu lindern, Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen und bei alldem die persönliche Freiheit und menschliche Würde zu wahren. Die Beihilfe zum Suizid gehört damit auch in Zukunft ganz grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.

Keine Ärztin und kein Arzt kann zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden, auch das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt. Ob das Verfassungsgerichtsurteil Auswirkungen auf das Verbot ärztlicher Mitwirkung am assistierten Suizid in § 16 unserer Berufsordnung haben muss, ist in den kommenden Monaten gründlich und ergebnisoffen zu diskutieren. Das wird auch davon beeinflusst sein, wie der Gesetzgeber der neuen Situation begegnet.

Rudolf Henke
Präsident der Ärztekammer Nordrhein