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Praxis – Arzt und Recht – Folge 115

Keine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bei Fernbehandlungen

23.01.2020 Seite 22
RAE Ausgabe 2/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2020

Seite 22

Das Landgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 20. August 2019 der Krankschreibung im Rahmen der Fernbehandlung eine Absage erteilt.

von Dirk Schulenburg und Katharina Eibl

Vom 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt wurde eine Neufassung des § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) beschlossen und damit der berufsrechtliche Weg für die ausschließliche Fernbehandlung von Patientinnen und Patienten geebnet. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein hat im Anschluss die Regelungen zur ausschließlichen Fernbehandlung nach § 7 Abs. 4 der Berufsordnungfür die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (BO) novelliert. Danach soll nunmehr eine Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien auch ohne persönlichen Erstkontakt „im Einzelfall“ via Telekonsultation erlaubt sein, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“, so der Wortlaut der Neuregelung. Diese wurde zwischenzeitlich von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, genehmigt.

Die Änderung der Berufsordnung hat viele neue Fragen aufgeworfen. Grenzen werden den neuen Möglichkeiten insbesondere auch durch die übrigen Regelungen der Berufsordnung gesetzt. Eine dieser Fragen scheint nunmehr gerichtlich geklärt.

Keine Tele-AU-Meldung

Das Landgericht Hamburg hatte am 20. August 2019 (Az.: 406 HKO 56/19) im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung über die Zulässigkeit des Ausstellens von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Rahmen einer Fernbehandlung zu entscheiden. Nach Auffassung des Gerichts widerspricht dies unabhängig vom geänderten § 7 BO grundsätzlich den Vorgaben der Berufsordnung, die u.a. auch in § 25 BO umgesetzt werden. Hier heißt es, bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse haben die Ärztinnen und Ärzte mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Entsprechendes gilt in Hamburg.

Schon in den Handreichungen der Bundesärztekammer (Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä– Behandlung und persönlicher Kontakt und Fernbehandlung) wurde die Frage aufgeworfen, wie das Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen überhaupt mit dieser Vorschrift in Übereinstimmung zu bringen sein könnte. Im Zweifelsfall sei ein Arzt nicht dazu in der Lage, die für diese Vorschrift notwendige Überzeugung ohne die im persönlichen Kontakt zur Verfügung stehenden Untersuchungsmittel zu gewinnen.

Diese Auffassung vertritt nunmehr auch das Landgericht Hamburg.

Behutsame Liberalisierung

Die nach § 25 BO notwendige Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Atteste erfordere grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patienten, sei es, dass der Patient die Sprechstunde des Arztes aufsuche oder dass der Arzt einen Hausbesuch beim Patienten mache. Nur dann könne sich der Arzt einen unmittelbaren Eindruck von dem Gesundheitszustand des Patienten verschaffen, ohne den der Arzt nicht mit der gebotenen Sorgfalt feststellen könne, ob der Patient tatsächlich an der von ihm vermuteten oder behaupteten Erkrankung leide. Auf diesen unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dem Patienten könne auch bei leichteren Erkrankungen nicht verzichtet werden, da die Krankschreibung ebenso die Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei. Eine Verifizierung der Angaben des Patienten zu seiner Person und zu seiner angeblichen Erkrankung sei selbst dann nicht möglich, wenn der Arzt Rücksprache mit dem Patienten per Telefon oder Video-Check halte. Diese ermögliche weder zuverlässige Feststellungen zu der Person des Gesprächspartners noch zu seinem Gesundheitszustand.

An diesen Aussagen ändere auch das Vorbringen nichts, dass auch nach persönlichem Kontakt zum Patienten in zahlreichen Fällen die Krankschreibungen nicht der ärztlichen Sorgfalt entsprechen würden, da es insofern keine Gleichheit im Unrecht gäbe.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg zeigt, dass auch nach der Liberalisierung der Vorgaben zur Fernbehandlung weiterhin Grenzen durch die Berufsordnung gesetzt sind. Darüber hinaus sind allerdings immer auch die Beschränkungen durch die übrigen Vorschriften sowohl vertragsärztlicher Regelungen und auch der Regelungen im Arzneimittelgesetz Grenzen gesetzt, die es zu beachten gilt.

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.