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Zwischen Applaus und Repressalien

19.06.2020 Seite 22
RAE Ausgabe 7/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2020

Seite 22

Während der Corona-Pandemie nimmt Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte in allen Teilen der Welt zu. © picture alliance/ ZUMAPRESS/Shanda Gautam
Weltweit stehen und standen Ärztinnen und Ärzte in der Coronakrise an vorderster Linie, um die Pandemie einzudämmen und Leben zu retten. Dafür gab und gibt es in vielen Ländern für sie Applaus und Dankbarkeit. Doch Weltärztebund, Amnesty International und Internationales Komitee des Roten Kreuzes machen darauf aufmerksam, dass während der Corona-Pandemie auch Gewalttaten gegenüber Ärztinnen und Ärzten und weiteren Gesundheitsberufen zunehmen.

von Sabine Schindler-Marlow

Praxen, Abstrichzentren, Krankenhäuser, Unikliniken waren die Orte, an denen die erste Welle der Coronavirus-Pandemie bekämpft wurde und in vielen Ländern dieser Welt noch bekämpft wird. Ärztinnen und Ärzte standen und stehen an vorderster Linie, zum Teil ohne ausreichende Schutzausrüstung, um ihre Patientinnen und Patienten zu behandeln. Von Bergamo bis nach Madrid, von Wuhan bis nach Gangelt erhielten sie für ihren durchaus riskanten Einsatz von den meisten Bürgerinnen und Bürgern Applaus und Dankbarkeit.

„Wir haben zu Beginn der ersten Welle viel Zustimmung und Respekt für unsere Arbeit erhalten. Unternehmen haben uns am Anfang Schutzmaterialien vorbeigebracht und ein Supermarkt hat für mehrere Kliniken Sonderöffnungszeiten eingerichtet. Das haben wir als sehr positiv erlebt“, sagt Steffen Veen, Facharzt für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Essen und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein. Mehr als das „öffentliche Klatschen“ motiviere ihn aber, wenn genesene Patientinnen und Patienten vorbeikämen und sich individuell bedankten. „Aber eigentlich geht es uns allen in der Klinik nicht darum, Helden zu sein, sondern wir möchten gut ausgestattet und in Sicherheit unsere Arbeit machen dürfen“, resümiert Veen. 

Dass die Sicherheit und der Schutz von medizinischem Personal für den Umgang mit der Pandemie von größter Bedeutung sind, zeigen weltweit die Infekt- und Todeszahlen. Elf Prozent aller Infizierten in Deutschland arbeiten im Gesundheitswesen. Ähnliche oder höhere Infektionsraten bei medizinischem Personal werden auch aus anderen Ländern berichtet. Krankheit und Quarantäne durch fehlenden Schutz bringen vielerorts die Gesundheitssysteme ans Limit.

Stigmatisierung und Gewalt

Anlass zur Sorge geben zusätzlich die Darstellungen von Weltärztebund, Amnesty International und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, die seit Mitte Mai von Attacken gegen Ärztinnen und Ärzten und weiteres medizinisches Personal während der Corona-Pandemie berichten. 

In einer Pressemeldung vom 18. Mai 2020 warnte der Weltärztebund: „Over the last decade, we have seen a surge of violence against health personnel worldwide. Since the beginning of the covid-19 pandemic, this phenomenon has expanded dramatically. Every day, our medical associations report incidents: threats, insults, stigmatisation from communities and states.“ 

Am 26. Mai 2020 berichtete das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) in einem Artikel über mehr als 200 gewalttätige Übergriffe auf Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Verbindung mit der COVID-19-Pandemie seit März. 

Der Bericht zeigt beispielhaft auf, dass weltweit Ärzte und Pfleger als Virusträger stigmatisiert und an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden. Betroffene Ärzte berichten von Hassbriefen, Behinderungen auf ihrem Weg zur Arbeit, Übergriffe auf die eigene Person und Familienmitglieder oder der Zutrittsverweigerung zu ihren Wohnungen. 
Aus Bolivien berichtet Amnesty International, dass ein Bus, der Pfleger in die Stadt El Alto bringen sollte, von über 100 Personen mit Steinen beschmissen wurde, um deren Arbeit zu vereiteln. Die Corona-Krise droht, so ICRC, zu einer Schutzkrise zu werden.

Viele Behörden und Regierungen, so das ICRC, versäumen es, das medizinische Personal adäquat auszustatten. Die Folge: Tausende von Ärzten und Pflegern erkranken weltweit an COVID-19 bei der Ausübung ihres Berufes und müssen obendrein erleben, dass sie deswegen stigmatisiert oder sogar gewalttätig bedroht werden. 
Ärztinnen und Ärzte, die über ihre Arbeitsbedingungen und Missstände öffentlich berichten, müssen obendrein Repressalien von Behörden und/oder Arbeitgebern fürchten. In einigen Fällen wurden sogar Morddrohungen und körperliche Angriffe geschildert, dokumentierte Amnesty International in einem am 19. Mai 2020 auf der WHO-Jahrestagung vorgelegten Bericht.

In der Neufassung des Genfer Gelöbnisses von 2017 heißt es: „[…] Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin oder des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen […]“. Doch genau an der Ausübung dieses Grundsatzes werden derzeit Ärztinnen und Ärzte an vielen Orten der Welt auch durch ihre Regierungen gehindert. 

Gemeinsam mit anderen weltweit tätigen Hilfsorganisationen rufen ICRC und Weltärztebund in einer Erklärung (Declaration by the Health Care in Danger Community of Concern) Regierungen, Gemeinschaften und Waffenträger deswegen öffentlich dazu auf, die Angriffe auf medizinisches Personal zu beenden. Medizinisches Personal im Kampf gegen die Pandemie müsse jederzeit respektiert und geschützt werden. 

Literatur bei der Verfasserin