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Eine Stadt im Dunkeln

25.06.2021 Seite 25
RAE Ausgabe 7/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2021

Seite 25

Münsterland 2005: Extreme Schneefälle ließen Strommasten umknicken. © THW
Was tun bei einem großflächigen und lang andauernden Stromausfall? Ein Online-Workshop an der Bergischen Universität Wuppertal beschäftigte sich mit den Folgen für Krankenhäuser und Arztpraxen.

von Sylvia Bach und Johannes Vesper

Wuppertal. Die Krankenhäuser laufen im Normalbetrieb, die Operationssäle sind ausgelastet, die Intensivstationen gut belegt, Monitore piepen, Beatmungsgeräte rauschen rhythmisch. In den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten geht ebenfalls alles seinen routinierten Gang: Gesundheitskarten werden eingelesen, Termine am Telefon gemacht, Sonografien und EKGs geschrieben. Dann fällt der Strom aus.

Im Jahr 2019 meldeten die Netzbetreiber der Bundesnetzagentur fast 160.000 Stromausfälle, von denen die meisten allerdings nur wenige Menschen betrafen. 94,5 Prozent der Stromausfälle dauerten weniger als drei Stunden, nur 0,2 Prozent der Ausfälle bestanden länger als 24 Stunden fort. Einige spektakuläre Fälle schafften es in die Medien: 2005 kippten wegen extremen Schneefalls die Strommasten im Münsterland um. 2007 blies Sturmtief Kyrill in Deutschland viele Lichter aus. 2019 wurde bei Bauarbeiten in Berlin-Köpenick eine 110-Kilovolt-Stromleitung beschädigt, mehr als 30.000 Haushalte waren 30 Stunden ohne Strom. Zuletzt kam es im März dieses Jahres wegen eines Brandes in einem Umspannwerk zu einem neunstündigen Stromausfall in Schwerte.

Über die möglichen Folgen eines Stromausfalls für die kritische Infrastruktur einer Kommune wie Polizei und Feuerwehr, Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen diskutierten im Frühjahr Expertinnen und Experten online am Beispiel von Wuppertal. Ein ernüchterndes Fazit vorab: Vorhersagen darüber, wie die Bevölkerung auf einen Stromausfall reagiert, werden umso unsicherer, je länger dieser dauert. Geht der Ausfall über 72 Stunden hinaus, ist offen, ob Chaos und Plünderungen das Bild beherrschen oder Verantwortung und gegenseitige Hilfe. Die direkten Folgen sind dagegen vorhersehbar: Das Licht geht aus, Kühlschrank, Tiefkühltruhe und Elektroherd funktionieren nicht mehr, ebenso wenig Telefon, Handy, Radio oder Fernsehen.
 
Krankenhäuser verfügen nach dem Gesetz über Gefahrenabwehr über eine Notstromversorgung, die für 24 Stunden in Kernbereichen den Betrieb essenzieller Systeme aufrechterhält. Dazu zählen der Not-OP-Betrieb, lebenserhaltende Systeme der Intensivstation wie Beatmungsgeräte, die Kühlung von Blutkonserven und Organen, Heizungs- und Wasserpumpen, eine Notbeleuchtung, die Belüftung sensibler Bereiche oder auch Aufzüge zum Patiententransport. Weitere Anforderungen an die Vorsorge im Katastrophenfall sind im Krankenhausrecht der Bundesländer formuliert.
 
Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen verfügen dagegen normalerweise nicht über eine Notstromversorgung. In allgemeinmedizinischen Praxen kann der Betrieb in der Regel auch ohne Strom für eine gewisse Zeit rudimentär aufrechterhalten werden, da viele Diagnosen ohne stromabhängige Apparate gestellt werden können. Einige Tage werde man in der Hausarztpraxis auf das Einlesen der Gesundheitskarte verzichten können, erklärten Experten beim Workshop. Man werde sich auf die körperliche Untersuchung ohne weitere Diagnostik wie EKG oder Sonografie verlassen, die Ergebnisse auf Papier dokumentieren und Rezepte per Hand schreiben müssen.

Demgegenüber seien viele Facharztpraxen auf spezialisierte Technik angewiesen und deshalb ohne Strom kaum arbeitsfähig. Der Wuppertaler Nephrologe Dr. Ulrich Saueressig schilderte die Folgen am Beispiel eines Dialysezentrums. Immerhin seien in Wuppertal rund 400 Patienten mehrfach wöchentlich auf funktionierende Dialyseeinheiten angewiesen.
 
Ein großflächiger, länger andauernder Stromausfall wirkt sich auch auf die Wasserversorgung aus. Denn das Wasser wird in der Regel mit elektrischen Pumpen in die Haushalte transportiert. Hier sei die Versorgungssicherheit regional sehr unterschiedlich, erklärten die Experten. In Wuppertal könne ein großer Teil des Stadtgebiets für 24 Stunden stromlos versorgt werden.
 
Um den Ausfall der stromabhängigen Telekommunikation zu kompensieren, verfügen in Wuppertal Polizei, Feuerwehr, einige Krankenhäuser und der städtische Netzbetreiber über Satellitentelefone, deren Bedienung jedoch regelmäßig geübt werden müsse, wie die Katastrophenschützer betonten.
 
Ein Gas-/Dampf- und ein Müllheizkraftwerk können als Schwarzstartkraftwerke mechanisch (ohne Fremdstrom) hochgefahren werden und mit einem begrenzten Kontingent in der Stadt im Bedarfsfall die Stromversorgung für bestimmte Abnehmer sichern. Deren Priorisierung übernimmt das Ressort Bevölkerungs- und Katastrophenschutz der Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Betreiber.

Im Rahmen des Seminars kündigten Teilnehmer an, ihre Notfallpläne bei Stromausfall zu revidieren oder neu zu erstellen, darunter Arztpraxen und Apotheken. Für alle Bürgerinnen und Bürger gibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe regelmäßig Empfehlungen zur Vorbereitung auf einen größeren Blackout heraus. Es rät beispielsweise, Wasser und Lebensmittel sowie nützliche Hilfsmittel wie Campingkocher vorzuhalten. Außerdem sollten Haushalte mindestens ein batteriebetriebenes Radio, eine Taschenlampe samt Batterien sowie Kerzen, Streichhölzer und einen Vorrat an Bargeld und Medikamenten vorhalten.  

Dr. Sylvia Bach, Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit der Bergischen Universität Wuppertal
Dr. Johannes Vesper, Internist in Wuppertal und ehemaliges Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein