Vorlesen
Wissenschaft und Fortbildung – Folge 134 aus der Reihe "Aus der Arbeit der Gutachterkommission"

Verkennen eines Magenkarzinoms

25.10.2022 Seite 28
RAE Ausgabe 11/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2022

Seite 28

Bei einem Magenkarzinom handelt es sich um eine multifaktorielle Erkrankung, bei der die Infektion mit Helicobacter pylori den wichtigsten Risikofaktor darstellt. Die Empfehlungen zum serologischen Screening auf Helicobacter pylori beziehen sich auf symptomatische Patientinnen und Patienten [1, 2]. Eine Eradikation von nachgewiesenen Helicobacter pylori ist grundsätzlich geeignet, die Entstehung eines Magenkarzinoms zu verhindern. Entscheidend hierfür ist der Zeitpunkt der Behandlung. Ein erstmaliger Nachweis von Helicobacter pylori Antigen im Stuhltest bedarf einer endoskopischen und histologischen Beurteilung der Schleimhaut des Magens und des Duodenums zur Primärdiagnostik im Hinblick auf ein möglicherweise bereits vorliegendes Magenkarzinom.

von Peter Kaup, Werner Jörgenshaus, Paul-Heinz Gröne und Beate Weber

Das Magenkarzinom gehört zu den häufigen malignen Erkrankungen. Gemäß der Leitlinie Diagnostik und Therapie der Adenokarzinome des Magens und des ösophagogastralen Übergangs werden in Deutschland derzeit jährlich etwa 9.000 Neuerkrankungsfälle bei Männern und gut 5.000 Neuerkrankungsfälle bei Frauen diagnostiziert, wobei in den Industrienationen seit Jahrzehnten in allen Altersgruppen ein stetiger Rückgang zu beobachten ist [1]. Dieser Umstand wird vor allem auf veränderte Nahrungsgewohnheiten, zum Beispiel den verringerten Verzehr von gepökelten und geräucherten Lebensmitteln, Alkohol- und Nikotinkonsum, aber auch auf die Eradikation von Helicobacter pylori aus der Magenschleimhaut als wesentlichem Risikofaktor zurückgeführt. Die Diagnose eines Magenkarzinoms wird oft erst im fortgeschrittenen Stadium gestellt, was vor allem daran liegt, dass Patientinnen und Patienten in einem langen Intervall asymptomatisch sind. Verwandte ersten Grades von Erkrankten haben ein zwei- bis dreifach höheres Risiko als die Allgemeinbevölkerung. Als Alarmsymptome, die zu einer frühzeitigen Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) mit Entnahme von Biopsien führen sollten, gelten Dysphagie, rezidivierendes Erbrechen, Inappetenz, unklarer Gewichtsverlust, gastrointestinale Blutung und unklare Eisenmangelanämie [1].

Die Gutachterkommission hatte sich in den letzten drei Abschlussjahren von 2018 bis 2020 sechsmal mit dem Vorwurf der Verkennung eines Magenkarzinoms auseinanderzusetzen und stellte in fünf Fällen Behandlungsfehler fest. Fünf Kasuistiken werden in der Tabelle 1 kurz skizziert, ein weiterer kürzlich von der Gutachterkommission entschiedener Fall soll nachfolgend ausführlicher dargestellt werden.

Kasuistik 6: Vorwurf

Eine Mitte 50-jährige Patientin wirft ihrem sie langjährig betreuenden Hausarzt vor, dass er trotz über drei Jahre bestehender Oberbauchbeschwerden ein ursächliches Magenkarzinom nicht erkannt habe. Anfang Februar 2014 seien die seit Januar stark zunehmenden Magenschmerzen nur mit Pantoprazol 40 unter der Diagnose einer Gastritis behandelt worden. Im April 2014 sei sie zwar zu einer Abdomen-CT und im Mai 2015 zu einer Koloskopie wegen des bei ihr bestehenden familiären Risikos von Kolonkarzinomen überwiesen worden, aber die dabei anempfohlene Gastroskopie sei nicht veranlasst worden. Im Juli 2016 habe der Arzt eine Besiedelung mit Helicobacter pylori festgestellt und eine Eradikation veranlasst, die zunehmenden Magenschmerzen aber als „stressbedingt“ bezeichnet und ihr weiterhin Pantoprazol verordnet. Erst auf ihr Drängen hin sei im September 2016 eine Überweisung zur Gastroskopie ausgestellt worden, die aber erst Anfang Januar 2017 habe stattfinden können und das Magenkarzinom aufdeckte.

Stellungnahme

Der belastete Allgemeinmediziner bestreitet die Vorwürfe der Patientin. Er habe im Mai 2014 eine fachärztliche Untersuchung bei seit sechs Wochen bestehenden rechtsseitigen Oberbauchbeschwerden veranlasst, die zu einer Abdomen-Sonografie und zu einer Koloskopie geführt hätten. Eine Gastroskopie sei vom Gastroenterologen nur bei „Persistieren der Beschwerden“ empfohlen worden, die aber bei den nachfolgenden Konsultationen wegen verschiedener anderer Beschwerden nicht geklagt worden seien. Erst im Juli 2016 habe sich die Patientin wegen Oberbauchbeschwerden wieder vorgestellt. Er habe ihr daraufhin Pantoprazol 40 mg verordnet und unter anderem eine Stuhlprobe auf pathogene Keime untersuchen lassen. Aufgrund des Helicobacter pylori-Nachweises in der Stuhlprobe habe er sofort eine Eradikation veranlasst, woraufhin die nachfolgende Kontrolle negativ ausgefallen sei. Eine Überweisung zum Gastroenterologen habe er jeweils im dritten und vierten Quartal 2016 veranlasst, dann erneut im Januar 2017. Diese Untersuchung habe dann das Magenkarzinom aufgezeigt. Eine Therapieverzögerung sei ihm nicht anzulasten.

Sachverhalt

Den Krankenunterlagen des belasteten Allgemeinmediziners ist zu entnehmen, dass im September 2011 eine Koloskopie bei familiärem Krebsrisiko (später notiert „Mutter, Tante und Großmutter mütterlicherseits mit Kolonkarzinom“) empfohlen, aber keine Überweisung ausgestellt wurde. Im August 2013 wurde unter der Diagnose „Gastroenteritis“ eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen Tag ausgestellt. Bei unklarer Transaminasenerhöhung wurde im April 2014 eine Hepatitis-Serologie durchgeführt und ein Abdomen-CT mit Nachweis einer „Steatosis hepatis I. Grades“ veranlasst. Der Radiologe notierte in seinem Befundbericht zur Indikation des Abdomen-CT „rechtsbetonte Oberbauchschmerzen unabhängig von (der) Nahrungsaufnahme“. Weiterhin „miterfasster gastroösophagealer Übergang ohne relevante Pathologien, Magen, Duodenum, übriger Dünndarm ohne Regelwidrigkeiten“. Zu diesem Zeitpunkt Mitte April 2014 wurde vom belasteten Arzt die Empfehlung zur Koloskopie erneuert und hinzugefügt „Patientin fährt erst in Urlaub. Dann Koloskopie!“. 

Unter der Diagnose einer Gastroenteritis wurde die Patientin vom belasteten Arzt den ganzen Monat Oktober 2014 krankgeschrieben. Im Befundbericht des Gastroenterologen vom Mai 2015 anlässlich der mit unauffälligem Befund durchgeführten Koloskopie wurde eine Kontrolle nach fünf Jahren empfohlen. Zusätzlich empfahl der Gastroenterologe eine jährliche Abdomen-Sonografie und eine Gastroskopie „bei Persistieren der Beschwerden im rechten Oberbauch“. Zwischenzeitlich erfolgten mehrere Konsultationen wegen Infekten der oberen Atemwege und zur regelmäßigen Schilddrüsendiagnostik bei größenkonstantem Knoten. Im Juli 2016 erfolgte eine erneute Vorstellung wegen einer „Gastritis“. Der Arzt verschrieb Pantoprazol 40 mg und beauftragte eine Stuhldiagnostik auf pathogene Keime, die den positiven Befund von Helicobactor pylori-Antigen ergab. Die Patientin wurde daraufhin schriftlich aufgefordert, sich in der Praxis vorzustellen. Es wurde eine Eradikation mit Zacpac® (Pantoprazol 40 mg, Amoxicillin 1000 mg, Clarithromycin 500 mg) für sieben Tage eingeleitet. Die nachfolgende Stuhlkontrolle wies Ende September 2016 keine Helicobacter Antigene mehr nach. Der Arzt stellte eine fachärztliche Überweisung bei „unklarer Leberwerterhöhung, rezidivierenden Oberbauchbeschwerden rechtsseitig, endoskopische Abklärung erbeten“ aus. Eine weitere Überweisung Mitte Januar 2017 wegen „rezidivierender Oberbauchschmerzen rechtsseitig“ führte wenige Tage später zu einer Ösophago-Gastro-Duodenoskopie. 

Zur Anamnese wurde im fachärztlichen Befundbericht des Gastroenterologen ausgeführt: „seit sechs Monaten gürtelförmige Oberbauchbeschwerden, initial Besserung nach den Mahlzeiten, aktuell kein Bezug zu den Mahlzeiten. Eine Therapie mit Pantoprazol 40 mg 1-0-0 hilft. Vor drei Monaten Eradikationstherapie nach positivem Stuhltest auf Helicobacter“. Er entnahm Schleimhautproben aus einem aufgedeckten drei Zentimeter großen Ulkus mit Randwall an der großen Kurvatur im Antrum, die eine „floride chronische Ulceration eines wenig differenzierten, teilweise diffusen Adenokarzinom des Magens vom Siegelring-Typ“ ergaben. Die Patientin erhielt vom Gastroenterologen eine Einweisung mit Terminierung für zwei Tage später. Endosonografisch wurde ein uT4a, n+, cM0-Stadium dargestellt. Die interdisziplinäre Tumorkonferenz empfahl eine neoadjuvante Therapie. Nach laparoskopischem Ausschluss einer peritonealen Metastasierung wurde eine kurative Therapie mit vier Zyklen 5-Fluoruracil, Folinsäure, Oxaliplatin und Docetaxel mit anschließender 4/5 Gastrektomie durchgeführt. Etwa ein Jahr später trat ein Rezidiv auf, an dem die Patientin 3,5 Jahre nach Diagnosestellung verstarb.

Bewertung durch den Gutachter

Das allgemeinmedizinische Kommissionsmitglied hat in seinem Fachgutachten die Behandlung durch den belasteten Allgemeinmediziner als fehlerhaft bewertet. Spätestens mit Bekanntwerden der Helicobacter pylori-Antigene Mitte Juli 2016 hätte umgehend eine abklärende Diagnostik mittels einer Ösophago-Gastro-Duodenoskopie veranlasst werden müssen. Ohne Nachweis eines Lokalbefundes von Magen und Duodenum sei eine eindeutige Diagnose und Festlegung einer zielgerichteten Therapie nicht möglich. Behandlungsfehlerhaft sei die Überweisung erst zwei Monate später veranlasst, die Untersuchung dann aber aus nicht zu klärenden Umständen um weitere knapp vier Monate verzögert worden. Bereits im Juli 2016 hätte aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das später als exophytisch-ulzeriert wachsend beschriebene Magenkarzinom gastroskopisch aufgedeckt und somit fünf Monate früher als geschehen behandelt werden können.

Abschließendes Gutachten

Gegen das Gutachten hat der Ehemann als Rechtsnachfolger der zwischenzeitlich verstorbenen Patientin Einspruch eingelegt und um eine abschließende Begutachtung der Gutachterkommission gebeten. Als Begründung bekräftigte er erneut den Vorwurf, der belastete Arzt habe bereits die im Mai 2015 erteilte Empfehlung des Gastroenterologen „verharmlost und ignoriert“. Die Magenschmerzen seien als „psychosomatisch und stressbedingt“ bezeichnet worden. 
Auch der belastete Arzt beantragte ein abschließendes Gutachten, da er seiner Auffassung nach den Facharztstandard zu jeder Zeit eingehalten habe. Begründend führte er aus, nach der Eradikation werde es nach der S2k-Leitlinie Helicobacter pylori [3] mit starkem Konsens empfohlen, vier Wochen abzuwarten bevor man die Kontrolle durchführen solle. Mitte September habe er dann zeitgerecht die Überweisung zur Gastroskopie ausgestellt. Die Patientin habe aber auf den ihr bereits bekannten Gastroenterologen bestanden. Die Verzögerung um vier Monate beruhe daher auf ihrem eigenen Fehlverhalten. Zudem habe der Gutachter den Befundbericht des Gastroenterologen vom Januar 2017 zur Anamnese nicht ausreichend gewürdigt. Während die Patientin in ihrem Begutachtungsantrag bestehende Beschwerden über drei Jahre anführte, sei im besagten Arztbrief nur von sechsmonatigen Beschwerden die Rede, was sich mit der von ihm im Juni 2016 niedergelegten Diagnose einer „Gastritis“ decke.

Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt erneut einer vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen. Sie stützt ihre Entscheidung auf die ärztliche Dokumentation, das unstreitige Vorbringen der Beteiligten und auf die beigezogenen entscheidungsrelevanten Behandlungsunterlagen der mit- und nachbehandelnden Ärzte. 

Diskussion und Bewertung

Oberbauchbeschwerden gehören zu den 30 häufigsten Beratungsergebnissen im unausgelesenen Krankengut der Allgemeinmedizin. Bei uncharakteristischen Symptomen vergeht nicht selten viel Zeit, bis die Diagnose eines abwendbar gefährlichen Verlaufs (hier Magenkarzinom) gesichert wird. Bei uncharakteristischen Bauchschmerzen lässt sich bei etwa zehn Prozent aller über 50-jährigen Patientinnen und Patienten ein Karzinom als Ursache nachweisen [3]. Zur programmierten Diagnostik [4] bei „Oberbauchschmerzen“ gehört als objektive Untersuchungsmethode auch die Endoskopie (Gastroskopie und Koloskopie). Zusätzlich müssen aber auch differenzialdiagnostisch extraabdominelle Erkrankungen bedacht werden.

In der vorgelegten Patientenakte ist weder eine allgemeinmedizinische Anamnese noch ein körperlicher Untersuchungsbefund dokumentiert. Es erfolgte weder eine Abdomen-, noch eine Lungen- und Herzauskultation, auch keine rektale Untersuchung oder Abdomen-Sonografie. Bezüglich der extraabdominellen Erkrankungen wurde weder eine weitere Diagnostik durchgeführt, wie beispielsweise ein EKG, noch eine kardiologische Vorstellung veranlasst, was nicht dem Facharztstandard eines Allgemeinmediziners entspricht.

Zwar ist es richtig, wie der belastete Arzt anführt, dass ein Eradikationserfolg nach antibiotischer Therapie bei Helicobacter pylori positiver Gastritis nach sechs bis acht Wochen durch Gastroskopie kontrolliert werden soll. In dem hier vorliegenden Fall ist aber die primäre Diagnostik versäumt worden, die endoskopisch und histologisch-kontrolliert zu erfolgen hat. Ein Stuhltest allein ist als nicht ausreichend einzustufen. Außerdem stellt die Helicobacter pylori positive Gastritis nur eine Form der möglichen Schleimhauterkrankungen des Magens (A, B, C) dar, geht aber mit einem deutlich erhöhten Magenulkus- und Karzinomrisiko einher, was unterstreicht, wie wichtig die zeitnahe endoskopische Erstdiagnostik bei entsprechender Symptomatik ist.

In den internationalen Konsensus-Reports reicht bei Patientinnen und Patienten mit Dyspepsie in Abwesenheit von Alarmsymptomen eine alleinige nichtinvasive Testung zur Behandlungsentscheidung aus. Allerdings besteht universaler Konsens, dass ab einem Alter von 50 Jahren im Rahmen der Erstdiagnose eine akkurate Gastritis-Klassifikation mittels Endoskopie und Histologie anzustreben ist. Alle Leitlinien propagieren eine Risikostratifizierung auf dem Boden der Schwere der Atrophie der Magenschleimhaut und deren Ausdehnung beziehungsweise Lokalisation, um das Magenkarzinomrisiko einzuschätzen. Dies hat insofern eine praktische Konsequenz, als sich bei fortgeschrittener und multifokaler Atrophie auch nach einer Helicobacter pylori-Eradikation eine endoskopisch-bioptische Überwachung alle drei Jahre empfiehlt [2]. Der Stuhltest ist damit nur zur Primärdiagnostik bei symptomlosen Patientinnen und Patienten unter 50 Jahren und als Verlaufskontrolle (nach ÖGD und Eradikation) geeignet. Beides lag hier nicht vor.

Auch bei unspezifischen Beschwerden und sogenannten „banalen“ Beratungsanlässen muss stets geprüft werden, ob es sich um einen abwendbar gefährlichen Verlauf handeln könnte, was bei jedem Patientenkontakt neu überlegt werden sollte. Damit hätte bereits 2014 – immerhin war die Patientin den ganzen Oktober 2014 wegen einer „Gastroenteritis“ vom Arzt krankgeschrieben worden –, spätestens aber Mitte 2016 aufgrund der geklagten Beschwerden und dem positiven Stuhltest auf Helicobacter pylori eine Abklärung der geklagten Magenbeschwerden durch Gastroskopie erfolgen müssen. Auch dass nach Überweisung die endoskopische Untersuchung der Patientin nicht zeitnah erfolgte, konnte durch zwei weitere ausgestellte Überweisungen erkannt werden. Hier hätte es einer Notiz in der Patientenakte bedurft, wenn dies durch die Patientin verschuldet war, insbesondere mit dem Hinweis auf den Verdacht der eventuell lebensbedrohlichen Erkrankung durch ein Magenkarzinom. 

Allerdings kann aktuell nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob das Magenkarzinom im Anfangsstadium bereits 2014 vorgelegen hat und zu diesem Zeitpunkt bereits hätte erkannt werden können. Zwischenzeitlich waren keine Magenbeschwerden notiert worden und die Patientin beschrieb gegenüber dem Gastroenterologen im Januar 2017 Beschwerden seit etwa sechs Monaten, was sich mit der Dokumentation des Arztes deckt. Mit der Beurteilung im Erstgutachten geht auch die Gutachterkommission vom Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers für die Jahre 2014 und 2016 aus. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hätte sich bei der Durchführung einer Gastroskopie spätestens Ende Juli 2016 ein reaktionspflichtiger Befund gezeigt und es hätten sich lebensverlängernde Maßnahmen aufgedrängt.

Befunderhebungsfehler/Umkehr der Beweislast

Die Gutachterkommission hatte bei der vorliegenden Fallgestaltung in der unterbliebenen Erhebung der medizinischen Befunde, hier der Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, zwar keinen groben ärztlichen Fehler (schwerer Befunderhebungsfehler) gesehen, der für sich bereits zur Umkehr der Beweislast geführt hätte.

Aber auch dann, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 Prozent) ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und die gedachte Reaktion generell geeignet gewesen wäre, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden zu vermeiden, kann sich die Patientin auf die Beweiserleichterung der Umkehr der Beweislast berufen.

Eine Umkehr der Beweislast ist nur dann ausgeschlossen, wenn jeglicher Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist oder es dem belasteten Arzt gelingt zu beweisen, dass die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie im Jahr 2014 beziehungsweise im Jahre 2016 noch keine hinreichenden Befunde im Hinblick auf das Magenkarzinom erbracht hätten und, wenn sich insoweit Befunde gezeigt hätten, dass im Weiteren der Kausalzusammenhang zwischen der früheren Feststellung des Magenkarzinoms im Jahr 2014, jedenfalls aber im Jahr 2016 und seinem Behandlungsfehler – das Unterlassen einer Ösophago-Gastro-Duodenoskopie im Jahr 2014 und später im Jahr 2016 – nicht vorliegt. Dem Arzt wird es schwerlich gelingen, dies zu beweisen. 

Dr. Peter Kaup und Dr. Werner Jörgenshaus sind stellvertretende ärztliche Kommissionsmitglieder, Paul-Heinz Gröne ist stellvertretender Vorsitzender und Dr. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Gutachterkommission Nordrhein.


Literatur

[1]    Leitlinie Magenkarzinom. August 2019 AWMF-Registernummer: 032/009OL
[2]    Fischbach W, Malfertheiner P. Helicobacter-pylori-Infektion - Indikationen zu Eradikation, Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 429-36; DOI: 10.3238/arztebl.2018.0429 
[3]    De Dombal FT, Matharu SS, Staniland JR, Wilson DH, MacAdam W, Gunn AA, et al. Presentation of cancer to hospital as ‘acute abdominal pain’ Br J Surg. 1980;67: 413–6
[4]    Braun RN, Mader FH. Programmierte Diagnostik in der Allgemeinmedizin (2015): Kapitel 38
[5]    Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit. Februar 2016 (gültig bis Juli 2020 – in Überarbeitung). AWMF-Resgisternummer 021-001