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Klinikreform: NRW will Kurs halten

20.03.2023 Seite 12
RAE Ausgabe 4/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2023

Die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein haben sich dafür ausgesprochen, den eingeschlagenen Weg bei der Krankenhausreform in NRW fortzusetzen. Die Pläne seien durchaus kompatibel mit denen auf Bundesebene. Für Ärger hatte bei der Kammerversammlung am 11. März deshalb die Warnung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gesorgt, für die Reform in Nordrhein-Westfalen werde kein Geld fließen – eine Äußerung, die er inzwischen relativiert hat.

von Heike Korzilius

Die Wellen schlugen hoch im Vorfeld der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein. Am 7. März hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in Düsseldorf bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion im NRW Landtag, Thomas Kutschaty, gleichsam einen Stopp der Krankenhausreform im bevölkerungsreichsten Bundesland gefordert. Halte sich NRW nicht an die Bundesvorgaben und gehe stattdessen eigene Wege, fließe auch kein Geld, hatte Lauterbach sinngemäß erklärt und damit für große Empörung bei den Akteuren vor Ort gesorgt. Denn im Gegensatz zum Bund, wo eine Regierungskommission aus Wissenschaftlern und Experten die Pläne für eine Krankenhausreform erarbeitet hat, waren in NRW von Anfang an sämtliche an der Krankenhausversorgung Beteiligten in den Reformprozess einbezogen.

Entsprechend eindeutig positionierten sich die Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Krankenkassen bei der Kammerversammlung am 11. März im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft zu diesem „obrigkeitsstaatlichen Verständnis von Krankenhausplanung“, wie der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, kritisiert hatte, und sprachen sich für eine Fortsetzung des in NRW eingeschlagenen Kurses aus. „Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat alle vor den Kopf gestoßen“, erklärte die Vorsitzende der Krankenhauskommission der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Anja Mitrenga-Theusinger. Dabei sei die Aufgabenteilung eigentlich klar. Die Krankenhausplanung sei grundgesetzlich den Ländern zugeordnet, während die Krankenhausfinanzierung Sache des Bundes sei. „Diese Aufteilung ist absolut sinnvoll“, sagte Mitrenga-Theusinger. Eine Planung von Strukturen könne am besten in Kenntnis der lokalen Besonderheiten gelingen. Die Vorsitzende der Krankenhauskommission forderte zugleich, bei der Reform der Krankenhausplanung die ärztliche Weiterbildung „von Anfang an mitzudenken“. Wenn ein relevanter Teil kleiner Krankenhäuser, wie auf Bundesebene vorgesehen, in Gesundheitszentren, sogenannte Level Ii Einrichtungen, umgewandelt werde, fielen diese als Weiterbildungsstätten faktisch weg. Dazu komme die vorgesehene Spezialisierung vieler anderer Krankenhäuser. Das führe dazu, dass Ärztinnen und Ärzte dort nicht mehr alle Facharztkompetenzen erwerben könnten. „Ich glaube nicht, dass dies die adäquate Antwort auf den verbreiteten Personalmangel ist“, sagte Mitrenga-Theusinger. 

Die Versorgungs- und Personalprobleme der Zukunft ließen sich nur im Schulterschluss lösen, bekräftigte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Krankenhäuser und Praxen seien auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Dazu müssten Finanzierungsstrukturen und Vorhaltekosten auf beiden Seiten bedacht und hinlänglich ausgestattet werden. Zudem müsse die ambulante Versorgung durch eine echte Entbudgetierung gestärkt werden. Krankenhäuser nur aufgrund politischen Drucks zu erhalten, könne nicht das Ziel einer Planungsreform sein. Eine solche müsse sich an der Versorgungssicherheit orientieren. „Wir müssen unsere Patientinnen und Patienten auch weiterhin an geeignete Einrichtungen überweisen können“, sagte Bergmann.

Kassen wollen aktive Landesplanung

Auch für die Krankenkassen steht die Versorgungssicherheit an oberster Stelle einer Krankenhausreform. Dr. Simon Loeser, Unternehmensbereichsleiter Stationäre Versorgung bei der AOK Rheinland/Hamburg, erklärte, das Laissez faire der Vergangenheit sei keine Option mehr. Die fehlenden Steuerungsmöglichkeiten der Länder bei der Krankenhausplanung hätten zu einem „Hyperwettbewerb“ der Krankenhäuser geführt, der drohe, in einen kalten Strukturwandel mit Insolvenzen und unkontrollierten Klinikschließungen zu münden. „Wenn wir nichts tun, läuft es so weiter“, warnte Loeser und sprach sich zugleich dagegen aus, die aktive Krankenhausplanung der Bundesebene zu überlassen. „In Mecklenburg-Vorpommern sind die Bedingungen andere als in Nordrhein-Westfalen“, so der AOK-Manager. Eine Bundesschablone führe letztlich zu einem Wettrüsten auf Qualitätsebene, aber nicht zu einer bedarfsgerechten Versorgung. „Wir wollen eine aktive Landesplanung“, bekräftigte Loeser. Diese sei zwar in Teilen konfliktär und schwer durchzusetzen. „Aber das ist unsere letzte Chance“, sagte er. Was in NRW erarbeitet wurde, sei eine gute Grundlage für den „sanften Einstieg“ in einen echten Strukturwandel.

Der Bundesrat muss zustimmen

Der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft NRW, Matthias Blum, erinnerte noch einmal daran, dass Bund und Länder im Januar vereinbart hätten, über eine Krankenhausreform auf Bundesebene gemeinsam zu entscheiden und ein im Bundesrat zustimmungspflichtiges Gesetz vorzulegen. Er betonte zugleich, dass die Reformpläne in NRW auf den regionalen Bedarf abgestimmt seien. Würden die Bundespläne eins zu eins umgesetzt, drohe hierzulande ein Kahlschlag in der Versorgung. 
Die Kammerversammlung sprach sich ebenfalls für eine Fortsetzung des Kurses in NRW aus. Sie forderte Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf, die Krankenhausplanung „als Grundlage für eine qualitätsorientierte Fortentwicklung der Krankenhauslandschaft in ganz Deutschland zu nutzen, statt sie in der Öffentlichkeit schlechtzureden“ (siehe Entschließungen). Die Planung in NRW ermögliche es, eine flächendeckende Grundversorgung zu erhalten, eine Spezialisierung bei komplexen Leistungen zu fördern und zugleich für ausreichend Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte zu sorgen.

„Wir in NRW haben etwas Richtiges geschaffen und weisen bundesweit den Weg“, betonte Dr. Sven Dreyer, Düsseldorf. Bei der anstehenden Reform müsse es auch darum gehen, Krankenhäuser und Praxen besser zu verzahnen und durch intelligente Triagierungssysteme dafür zu sorgen, dass die Patientinnen und Patienten an der richtigen Stelle versorgt würden, mahnte Dr. Oliver Funken, Rheinbach, an. Auch Eleonore Zergiebel, Düren, lobte den Reformprozess in NRW: „Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat sich dem Dialog und der Kritik gestellt. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Prozess hier fortführen.“

An dieser Absicht ließ Minister Laumann selbst keinen Zweifel. „Wir werden in NRW weitermachen. Alle Akteure stehen dahinter“, erklärte er beim Krankenhausgipfel, der zwei Tage nach der Kammerversammlung, am 13. März in Berlin stattfand. Die nordrhein-westfälische Landesregierung habe die geplante Krankenhausstrukturreform mit 2,5 Milliarden Euro hinterlegt. „Auch das spricht für eine breite Akzeptanz“, so Laumann. Gemeinsam mit Bayern und Schleswig-Holstein hat das Land zudem angekündigt, die Krankenhaus-Reformpläne des Bundes auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Mit Blick auf die umstrittene Pressekonferenz von Bundesgesundheitsminister Lauterbach in Düsseldorf sagte er: „Wir haben beide Interesse an einer guten Krankenhausreform. Die wird nicht an persönlichen Eitelkeiten scheitern.“

Lauterbach selbst war beim Krankenhausgipfel um Ausgleich bemüht. Er stelle die Planungshoheit der Länder nicht infrage, betonte er. Die Reformen in Niedersachsen und NRW seien wichtige Bausteine, auf denen man aufbauen wolle.

Akademie stellt sich dem Wettbewerb

Nachdem sich die Kursangebote der Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein infolge der Coronapandemie fast halbiert hatten, ist diese inzwischen auf Konsolidierungskurs. „Es ist uns gelungen, 2022 das Angebot mit neuen Lernformaten nahezu auf Vorkrisenniveau zu stabilisieren“, berichtete der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses Professor Dr. Gisbert Knichwitz bei der Kammerversammlung am 11. März. Mit einer Mischung aus Webinaren, eLearning und Präsenzveranstaltungen biete die Akademie den Ärztinnen und Ärzten in Nordrhein ein attraktives Fortbildungsprogramm. „Auf dem Markt herrscht ein enormer Wettbewerb, dem wir uns gerne stellen“, so Knichwitz. Vom 9. bis 14. Oktober 2023 organisiert die Akademie in Bonn eine Fortbildungswoche in Präsenz. Schwerpunkttage finden zu den Themen „Klimawandel und Gesundheit“, „Telemedizin-E-Health“ sowie „Moderne Führung“ statt. Informationen: www.akademie-nordrhein.de 
 

Zukunftsthema Fachkräftemangel

Bei der Kammerversammlung war neben der Krankenhausreform der Fachkräftemangel ein weiteres Schwerpunktthema. In seinem Bericht zur Lage zitierte Kammerpräsident Rudolf Henke eine Studie der Unternehmensberatung PwC, wonach im Jahr 2035 im deutschen Gesundheitswesen fast 1,8 Millionen offene Stellen wegen des Mangels an qualifiziertem Personal voraussichtlich nicht mehr besetzt werden können. Das entspreche einem Stellenengpass von 35 Prozent, so Henke. Zum Vergleich beziffere PwC den aktuellen Engpass mit 6,8 Prozent. Es gehöre nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, welche Folgen das für die Patientenversorgung in einer Gesellschaft des langen Lebens mit immer mehr älteren und multimorbiden Menschen haben werde.

Zumal der demografische Wandel auch an den Angehörigen der Gesundheitsberufe nicht vorbeigehe. Dazu komme der anhaltende Trend zur Teilzeitbeschäftigung – auch im ambulanten Bereich. „Ganz klar ist, dass der Fachkräftemangel das Problem der Zukunft sein wird, denn er trifft nicht nur Deutschland, sondern er trifft fast ganz Europa und zwar in nahezu allen Branchen“, sagte Henke. Darauf müsse sich die Gesundheitspolitik einstellen und die Arbeitsbedingungen endlich so gestalten, dass es Gesundheitsfachkräften möglich sei, motiviert bis zur Rente und in Vollzeit in ihrem Beruf zu arbeiten.

Bessere Personalplanung in Kliniken

Einen Lösungsansatz biete hier ein von der Bundesärztekammer neu entwickeltes Kalkulationssystem, das als Grundlage für eine bessere Personalplanung in den Krankenhäusern dienen könne. „Dabei geht es explizit nicht um Mindestvorgaben, sondern um eine valide Berechnung für eine patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung“, betonte Henke. Nur mit einer angemessenen Personaldecke könnten die Krankenhäuser bei zunehmendem Fachkräftemangel mit den anderen Arbeitsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte konkurrieren. Kritisch äußerte sich der Kammerpräsident zur Abwerbung qualifizierten Personals aus dem Ausland, um dem Personalmangel zu begegnen. Das wirke sich oft negativ auf die medizinische Versorgung in den Herkunftsländern aus. „Wir müssen alles dafür tun, unseren Nachwuchs selbst und vor allem gut auszubilden“, sagte Henke. „Wir brauchen daher bundesweit mehr Studienplätze und endlich Finanzierungslösungen dafür, wie wir die Neuregelung der ärztlichen Ausbildung auf den Platz bringen.“ Das Bundesgesundheitsministerium habe für das Frühjahr 2023 eine neue Approbationsordnung angekündigt. Man dürfe gespannt sein, was dann von dem ursprünglichen Masterplan Medizinstudium 2020 übrigbleiben werde.

Angesichts des Fachkräftemangels müssen nach Ansicht von Henke die Gesundheitsberufe neue Kooperationen eingehen und neue Formen der Arbeitsteilung finden. Er sehe hier vor allem Potenzial bei den Medizinischen Fachangestellten und den Physician Assistants, sagte der Kammerpräsident. Richtig eingesetzt könnten auch digitale Technologien einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Personals leisten und die Versorgungsqualität verbessern. „Bislang mussten wir leider feststellen, dass digitale Technologien ganz überwiegend zur Administration eingesetzt wurden, aber keinen wirklichen Benefit für die Patientenversorgung gebracht haben“, kritisierte Henke. Mit Blick auf die für Ende 2024 angekündigte flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte mahnte die Kammerversammlung in einem Beschluss an, dass in jedem Fall die Datensicherheit und die informationelle Selbstbestimmung der Patienten gewährleistet sein müssten.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der geplanten Reformen der Krankenhausplanung und -finanzierung nahm die Kammerversammlung auch die Notfallversorgung in den Blick. Man unterstütze die Regierungskommission für die Krankenhausreform in ihrem Anliegen, die stationäre und ambulante Notfallversorgung sowie den Rettungsdienst besser aufeinander abzustimmen und möglichst integrierte Strukturen zu schaffen, heißt es in einem Beschluss. Die Delegierten stellten jedoch zugleich klar, dass der vertragsärztliche Not- und Bereitschaftsdienst kein Ersatz für die Versorgung in den Vertragsarztpraxen sei und die Notdienstpraxen nicht, wie auf Bundesebene diskutiert, auch zu normalen Sprechzeiten geöffnet werden sollten. „Das ist vor dem Hintergrund knapper personeller Ressourcen nicht nachvollziehbar“, sagte Kammerpräsident Henke. Die Notfallversorgung sollte denen vorbehalten sein, die außerhalb der Sprechzeiten den dringendsten akuten Behandlungsbedarf hätten. „Ein ,allzeit verfügbar‘ und Sprechstundenzeiten rund um die Uhr kann es jedenfalls unter den zukünftigen Personalbedingungen nicht geben“, betonte Henke. Hans-Peter Meuser, Langenfeld, kritisierte in diesem Zusammenhang das wachsende Anspruchsdenken der Patientinnen und Patienten. Das Problem sei, dass diese nicht finanziell an der Inanspruchnahme der Notfallversorgung beteiligt seien. „Kostenvermeidung wäre ein guter Anreiz, die eigene Gesundheitskompetenz zu verbessern“, warb Meuser für einen Selbstbehalt.

Eine gewisse Resignation zeigte sich bei den Delegierten der Kammerversammlung beim Thema GOÄ-Reform. Über die längst überfällige Reform gebe es leider nicht viel Neues zu berichten, sagte Kammerpräsident Henke. Eine neue Fassung der ärztlichen Gebührenordnung mit den Preisen, die die Bundesärztekammer kalkuliert habe, liege seit Anfang des Jahres bei Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Allerdings sei diese Fassung noch nicht mit den Privaten Krankenversicherern konsentiert und die Vorstellungen lägen noch auseinander. Greife Lauterbach die Forderungen der Ärzteschaft weiterhin nicht auf, bleibe den Ärztinnen und Ärzten nichts anderes übrig, als sich mit weiteren analogen Bewertungen, höheren Steigerungssätzen und abweichenden Vergütungsvereinbarungen zumindest teilweise zu helfen, erklärte Henke.

Johannes-Weyer-Medaille für Dr. Michael G. Willems

Dr. Michael G. Willems ist bei der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 11. März mit der Johannes-Weyer-Medaille ausgezeichnet worden. Sie wird gemeinsam von der Kammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein für besondere Verdienste um die medizinische Wissenschaft oder besondere Leistungen für die ärztliche Selbstverwaltung vergeben. Willems, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie und Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Praxis in Hürth, habe sich in besonderer Weise um die ärztliche Weiterbildung verdient gemacht und vielen jungen Ärztinnen und Ärzten beim Start in die berufliche Selbstständigkeit geholfen, erklärte Kammerpräsident Rudolf Henke in seiner Laudatio. Seit mehr als 20 Jahren ist Willems ehrenamtlich als Beisitzer in der Weiterbildungskommission der Kammer aktiv. Seit 1995 ist er als Prüfer bei den Facharztprüfungen, seit 2014 als deren Vorsitzender tätig. Seit 2018 ist Willems zudem regelmäßig als Prüfer bei den Fachsprachprüfungen im Einsatz. „Seine Zuverlässigkeit und seine Flexibilität werden zwischen herausragend und sensationell bewertet“, sagte Henke. Eigenschaften, die auch Willems Engagement in der humanitären Hilfe auszeichnen. Für die Partnerstadt in der Westukraine hat er jüngst selbst die LKW mit Hilfsgütern gefahren.