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Medizinstudium: Zähe Reformen

26.01.2023 Seite 12
RAE Ausgabe 2/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2023

Es war still geworden um die grundlegende Reform der ärztlichen Ausbildung. Jetzt will das Bundesgesundheitsministerium einen neuen Anlauf nehmen und im Frühjahr einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen. In Berlin geht man aber nicht mehr davon aus, dass die ersten Studierenden – wie ursprünglich vorgesehen – bereits ab Oktober 2025 nach neuem Curriculum Medizin studieren können. Derweil will das NRW-Gesundheitsministerium im Kampf gegen den Ärztemangel die Zahl der Medizinstudienplätze um rund 450 erhöhen. 

von Heike Korzilius

„Eine Reform der ärztlichen Ausbildung ist dringlich und überfällig“, sagt Dr. Bernhard Steinweg. Der Pädiater und Medizindidaktiker ist Geschäftsführer des Studiendekanats der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn und über verschiedene Arbeitsgruppen auf Bundesebene in den seit rund fünf Jahren laufenden Reformprozess eingebunden. Den Aufschlag machten Bund und Länder Ende März 2017 mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“, im November 2020 legte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf dessen Grundlage einen Referentenentwurf zur Neuregelung der ärztlichen Ausbildung vor (siehe Kasten auf Seite 14). Anfang 2021 folgte eine Anhörung der Verbände und im Mai 2021 machten die Länder mit einer Bundesratsentschließung deutlich, dass sie weitere Gespräche zu den Inhalten und zur Finanzierung der Reform für erforderlich hielten. Danach wurde es still um das Thema – bis das BMG Ende 2022 ankündigte, „im Frühjahr 2023“ einen überarbeiteten Gesetzentwurf für eine neue Approbationsordnung vorzulegen. 


„Wir sind froh, dass es jetzt weiterzugehen scheint“, sagt Steinweg dazu. Zwar lieferten der Masterplan und der Referentenentwurf wichtige Anhaltspunkte, welche Neuerungen in Zukunft auf die Fakultäten zukommen. „Wir haben am Standort Bonn schon einige der inhaltlichen Neuerungen im Rahmen von Projekten pilotiert, die dort beschrieben sind“, erklärt er. Denn das Ziel, die Ausbildung praxisorientierter und kompetenzbasiert zu gestalten sowie unter anderem die Allgemeinmedizin und die ambulante Versorgung im Studium stärker abzubilden, sei im Großen und Ganzen unumstritten. Die Fakultäten könnten hier schon einmal Weichen stellen, eine verbindliche Rechtsgrundlage fehle aber, solange die Approbationsordnung nicht angepasst worden sei. 

Ringen um die Finanzierung

Dass der Reformprozess derart ins Stocken geraten ist, liegt nach Ansicht von Steinweg weniger an den spezifischen Inhalten der Reform als an deren Finanzierung. Denn um beispielsweise die ambulante Medizin im Studium angemessen abzubilden, muss ein umfangreiches Netz von Lehrpraxen geschaffen werden, die für ihre Lehrtätigkeit angemessen honoriert werden. Kosten entstehen auch durch die Schaffung neuer Prüfungsformate, für die zusätzliche Prüferinnen und Prüfer rekrutiert werden müssen, oder durch neue Unterrichtsformate in Form von interprofessionellen Lehrveranstaltungen sowie flächendeckenden Ausbildungsstationen. Der Medizinische Fakultätentag geht davon aus, dass die Kosten pro Studienplatz um bis zu 20 Prozent steigen könnten, wenn sämtliche bisher geplanten Änderungen umgesetzt würden. Das entspräche rund 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr, wobei der Bund bereits klargestellt hat, dass er sich nicht an den durch die Reform entstehenden Mehrkosten beteiligen wird. Das hatte die parlamentarische Staatssekretärin im BMG, Sabine Dittmar, in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zum Fortgang der Studienreform am 9. November 2022 mitgeteilt. Dittmar kündigte darin auch die Fortführung des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung der Approbationsordnung für dieses Frühjahr an. In konstruktiven Gesprächen von Bund und Ländern sei es gelungen, „durch eine teilweise modifizierte Umsetzung der Maßnahmen des Masterplans Medizinstudium 2020 die Kostenfolgen deutlich zu verringern und zugleich die Substanz der Reform ganz überwiegend zu erhalten“. Präziser äußert sich das BMG nicht. Inhaltliche Anpassungen und die abschließende Ermittlung der durch die Reform entstehenden Mehrkosten liefen derzeit, heißt es dazu nur. Das Ministerium räumt allerdings dem Rheinischen Ärzteblatt (RÄ) gegenüber ein, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform am 1. Oktober 2025 wohl nicht mehr zu halten ist. „Aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs erscheint nunmehr ein späteres Inkrafttreten sinnvoll“, erklärt eine Sprecherin schriftlich. Die Fakultäten benötigten ausreichend zeitlichen Vorlauf, um die zur Umsetzung der Reform erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können. 
 

Die Versorgungsrealität abbilden

„Die neue Approbationsordnung muss jetzt bald kommen, sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit und die Reformbereitschaft an den Fakultäten nimmt ab“, sagt Medizindidaktiker Steinweg. Verfechtern der „alten Ordnung“, die auf die qualitativ hochwertige Medizinerausbildung an deutschen Hochschulen verweisen, hält er entgegen, es gehe bei der Reform nicht in erster Linie darum, bessere, sondern andere Ärztinnen und Ärzte hervorzubringen. Neben einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung müsse das Medizinstudium stärker die Versorgungsrealität abbilden, in der Ärztinnen und Ärzte heutzutage arbeiteten. Für unverzichtbar hält es Steinweg deshalb, dass in der geplanten Novelle der Approbationsordnung die Orientierung des Studiums an Kompetenzen und an einem definierten Absolventenprofil erhalten bleibt. „Das darf nicht verwässert werden“, sagt er mit Blick auf den angekündigten überarbeiteten Gesetzentwurf. 
Das Absolventenprofil des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) und des Gegenstandskatalogs für das Staatsexamen, auf das sich Steinweg bezieht, definiert, was von den ärztlichen Berufsanfängern nach Abschluss ihres Studiums sicher erwartet werden kann. Es beschreibt Ausbildungsziele, auf die während des gesamten Studiums hingearbeitet wird sowie Fertigkeiten und Fähigkeiten, die im Praktischen Jahr (PJ) mit zunehmender Selbstständigkeit in der Patientenversorgung angewendet werden. Das heiße, so Steinweg, dass die Studierenden schon im Studium und dann intensiviert im PJ schrittweise Verantwortung übernehmen müssten. „Wir müssen in der Ausbildung immer aufs Ende gucken. Wir müssen festlegen, welche Kompetenzen die Studierenden am Ende ihres Studiums erworben haben sollen und welches Wissen, welche Fertigkeiten und Haltungen sie dafür benötigen“, betont Steinweg. Das bedeute zum einen, dass man ein integriertes Curriculum mit einer Vernetzung zwischen den medizinischen Inhalten erreichen müsse und nicht mehr in Inseln denken könne, sprich Wissen in verschiedenen Fächern erwerbe und dieses lediglich durch entsprechende Leistungsnachweise dokumentiere. Zum anderen könne man mit diesem Ansatz die zurzeit oft noch große Lücke schließen zwischen dem, was in der Ausbildung vermittelt wurde, und dem, was die ärztlichen Berufsanfänger im Alltag auf der Station erwarte. Mit dem NKLM gebe es ein gutes Rahmenwerk, um diese Ausbildungsziele zu erreichen. Er sei allerdings noch zu umfangreich, so Steinweg. 


Ein wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Ärzteausbildung ist für ihn die Befähigung zur interprofessionellen Zusammenarbeit bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten. „Das ist auch einer meiner Arbeitsschwerpunkte hier in Bonn“, sagt Steinweg. 2019 hat er gemeinsam mit einem interprofessionellen Projektteam an der Universitätsklinik auf einer kinderkardiologischen Normalstation eine erste Ausbildungsstation implementiert, an der PJ-Studierende im Wahlfach Kinderheilkunde mit Pflegeschülerinnen und -schülern im letzten Ausbildungsjahr – begleitet von ärztlichen und pflegerischen Lehrenden – eigenverantwortlich ihre kleinen Patienten versorgen. Durch eine spezielle Förderung der medizinischen Fakultät seien inzwischen neun weitere interprofessionelle Lehrprojekte und Ausbildungsstationen am Standort entstanden, eine weitere befinde sich in Implementierung. 

Mehr interprofessionelle Ausbildung

Warum ihm die Interprofessionalität so wichtig ist? „Patientinnen und Patienten werden ja auch in der Realität im Team versorgt“, sagt Steinweg. Für die Qualität der Versorgung sei es entscheidend, dass diese Teams gut zusammenarbeiteten und das gelinge besser, wenn die Teammitglieder auch in ihrer Ausbildung eine Zeit lang gemeinsam gelernt hätten, sich ihrer spezifischen Rollen bewusst seien, ihre Kommunikation untereinander abstimmten und das Team als Ressource begriffen. „Nur wenn die Arbeit Hand in Hand greift, kann daraus eine gute Patientenbehandlung resultieren“, so Steinweg. Dieser Ansatz schaffe im Übrigen nicht nur ein hohes Maß an Zufriedenheit bei den Lernenden sowie den pflegerischen und ärztlichen Praxisanleitern, sondern auch bei den Patienten und deren Angehörigen. 


Da ein großer Teil der Patientinnen und Patienten ambulant versorgt wird, hält Steinweg es für sinnvoll, dass die ambulante Medizin im Studium einen größeren Stellenwert erhält. An der Universität Bonn gebe es bereits seit vielen Jahren ein Institut für Hausarztmedizin, das verantwortlich sei für die Rekrutierung von Lehrpraxen und die Qualifizierung der Lehrenden. Der vorhandene Pool an akademischen Lehrpraxen werde aber nicht ausreichen, wenn wie vorgesehen, im PJ ein Pflichtquartal in der ambulanten Versorgung eingeführt werde. Außerdem müssten neben den Hausärztinnen und Hausärzten auch Angehörige anderer Fachgebiete in die Ausbildung einbezogen werden. Zu klären sei auch die Frage der Honorierung. Ganz abgesehen von dem ohnehin schon enormen Arbeitspensum in den Praxen seien die Anforderungen, die der Referentenentwurf an die Ausstattung der Ausbildungsplätze stelle – unter anderem Zugang zu einem Behandlungszimmer mit Bildschirmarbeitsplatz – hoch, ebenso wie die an die Lehre. Da reichten die derzeitigen Tagessätze für die Vergütung der Lehrpraxen nicht aus. Zusätzlich stellt sich für Steinweg die Frage, wie man die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte verbindlich in die Staatsprüfung integrieren und für ausreichend ambulante Patienten in den Prüfungen sorgen kann. „Das ist im Referentenentwurf noch nicht ausreichend dargestellt“, meint er. 


Um in Zukunft Kompetenzen mit Wissen, Fertigkeiten und Haltungen der Studierenden zu prüfen, bedarf es nach Ansicht des Medizindidaktikers auch anderer Prüfungsformate wie Parcours-Prüfungen mit (Simulations-)Patienten.  Die seien zwar aufwendig, aber für diesen Zweck sehr geeignet, meint Steinweg. An mehreren aufeinander folgenden Stationen könne zum Beispiel geprüft werden, wie Studierende Patienten körperlich untersuchen oder ein Anamnese- oder Aufklärungsgespräch führen. Man könne eine Röntgenaufnahme befunden lassen oder anhand eines Patientenfalls eine strukturierte mündliche Prüfung über das diagnostische und therapeutische Vorgehen im Sinne der klinischen Entscheidungsfindung abnehmen. „Wenn man diese Prüfungen gut gestaltet, sind sie eine sehr sinnvolle Ergänzung zu den klassischen Klausuren und mündlichen Prüfungen“, sagt Steinweg. 
 

Mehr Praxisnähe und Patientenorientierung

Die Neuregelung der ärztlichen Ausbildung, wie sie der Referentenentwurf aus dem November 2020 vorsieht, basiert auf dem „Masterplan Medizinstudium 2020“. Diesen hatten die Gesundheits- und Wissenschaftsminister von Bund und Ländern bereits im März 2017 beschlossen, dessen Umsetzung allerdings unter „Haushaltsvorbehalt“ gestellt. 
Ziel des Gesetzgebers ist es, die Ausbildung der Medizinstudierenden mehr an deren künftigen ärztlichen Aufgaben und den dafür notwendigen Kompetenzen zu orientieren. Die Ausbildung soll es den Studierenden ermöglichen, neben Wissen auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen zu erwerben. Das Studium soll sich von Beginn an an der Versorgung und den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientieren. Dazu wird der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) verbindlich in der Approbationsordnung verankert. Zudem soll die Ausbildung den wachsenden Stellenwert der ambulanten Versorgung besser berücksichtigen und insgesamt praxisnäher gestaltet werden. Die bisherige Trennung von vorklinischem und klinischem Abschnitt soll aufgehoben, die Ausbildung in Lehrpraxen ausgeweitet und die Allgemeinmedizin weiter gestärkt werden. Diese wird deshalb künftig Prüfungsfach im Staatsexamen. Es ist zudem vorgesehen, das Praktische Jahr nicht mehr in Tertiale, sondern in Quartale zu unterteilen. Neben den Pflichtquartalen Innere Medizin und Chirurgie wird es in Zukunft zwei Wahlquartale in anderen klinisch-praktischen Fächern geben, von denen eines im ambulanten vertragsärztlichen Bereich absolviert werden muss. Auch in den Prüfungen sollen die Studierenden durch neue Formate wie Parcours-Prüfungen mit Simulationspatienten vermehrt praktische Fähigkeiten unter Beweis stellen. Außerdem soll die digitale Lehre fest im Studium verankert werden. Die gemeinsame Ausbildung mit Angehörigen anderer Gesundheitsberufe wie der Pflege soll auf die Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereiten. Um der wissenschaftlichen Arbeit ein größeres Gewicht zu geben, sollen die angehenden Ärztinnen und Ärzte während des Studiums eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen.
 

Hohe Anforderungen an die Lehre

Er teilt die Sicht des BMG, dass der Zeitplan für das Inkrafttreten der neuen Approbationsordnung nicht mehr zu halten ist, selbst wenn das Gesetzgebungsverfahren jetzt zügig abgeschlossen würde. „Man muss zunächst die Infrastruktur schaffen, das Curriculum überarbeiten und zusätzliches Lehr- und administratives Personal rekrutieren“, erklärt Steinweg. „Und dann darf man nicht vergessen, dass zentrale Elemente der Reform einen Kulturwandel darstellen.“ Neben der gemeinsamen Ausbildung von Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe zählt er dazu auch die klinisch-praktische Ausbildung unter Supervision, verbunden mit einer schrittweisen Übertragung von Verantwortung an die Lernenden. Das stelle hohe Anforderungen an die Lehre, die bei der derzeitigen Arbeitsverdichtung in Kliniken und Praxen kaum darstellbar seien. „Wir müssen hier klare Anreize setzen, dass sich das Ausbilden lohnt – sei es durch entsprechende Karriereperspektiven oder eine angemessene finanzielle Förderung“, fordert Steinweg. Mit geschätzten 240.000 Euro gehöre das Medizinstudium zwar ohnehin schon zu den teuersten Studiengängen. „Aber eine gute Ausbildung kostet nun mal Geld“, sagt Steinweg. 


Zu den Befürwortern einer zügigen Umsetzung der geplanten Studienreform gehört auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd). „Das ist eine Chance für die Anpassung des Medizinstudiums von gestern an die Medizin von morgen“, hatte ein Vertreter im November 2021 vor der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein erklärt. Positiv bewerten die Studierenden insbesondere die Stärkung der Allgemeinmedizin, die Interprofessionalität in gemeinsamen Lehrveranstaltungen mit anderen Gesundheitsberufen sowie die Stärkung digitaler Kompetenzen und digitaler Lernformate, wie Sprecherin Emily Troche jetzt gegenüber dem RÄ hervorhebt. Die stärkere Praxis- und Kompetenzorientierung in der Lehre werde die Studierenden besser auf die Arbeitswelt der Zukunft und die sich rapide erweiternden medizinischen Möglichkeiten vorbereiten. Zu unpräzise seien allerdings bislang die Vorgaben im Referentenentwurf, wie die Inhalte des NKLM und des Gegenstandskatalogs aufeinander abgestimmt werden sollten. Nur wenn das gelinge, könne eine transparente Grundlage für Lehre und Prüfung geschaffen werden. Enttäuscht zeigte sich Troche zudem darüber, dass die langjährige Forderung der Studierenden nach einer Aufwandsentschädigung im PJ bislang von der Politik nicht aufgegriffen wurde. 

Mehr Studienplätze – aber wie und wo?

Nicht nur die Reform des Medizinstudiums ist eine Frage der Ressourcen. Auch die von der Ärzteschaft bereits vor Jahren erhobene Forderung, die Zahl der Medizinstudienplätze bundesweit um 6.000 zu erhöhen, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken, ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dennoch haben sich Politikerinnen und Politiker über Parteigrenzen hinweg inzwischen diese Forderung zu eigen gemacht. Zuletzt sprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach davon, dass bundesweit zusätzlich 5.000 Studienplätze benötigt würden. In NRW hat die schwarz-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Zahl der Studienplätze im Land um rund 450 zu erhöhen, ein Plus von 20 Prozent. „Die Frage ist, wie wir das umsetzen können“, meint Fakultätsvertreter Steinweg. Man könne nicht von jetzt auf gleich eine signifikante Zahl an zusätzlichen Studienplätzen bereitstellen. „Wir verfügen nur über begrenzte Räumlichkeiten und eine begrenzte Zahl von Dozierenden, sowohl im vorklinischen als auch im klinischen Abschnitt“, so Steinweg. „Eigentlich müssten wir mit der Erhöhung der Zahl der Studienplätze auch unser Curriculum verändern und uns fragen, ob wir vielleicht anders ausbilden können, zum Beispiel mit dem Ausbau der digitalen Lehre oder mit standortübergreifenden Lehrformaten.“ Es gehe ihm nicht darum, den Plan der Landesregierung nicht zu unterstützen, versichert Steinweg. Man benötige jedoch neben verbindlichen Zusagen eine gute Strategie für die Umsetzung. „Eigentlich brauchen wir schon dafür eine kleine Reform. Dann haben wir die große aber immer noch vor uns“, so der Medizindidaktiker.


Das NRW-Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage mit, dass man dort zurzeit zusammen mit dem Wissenschaftsministerium ein Umsetzungskonzept erarbeitet. Es würden Gespräche geführt über die mögliche regionale Verteilung der zusätzlichen Studienplätze, zu den finanziellen Auswirkungen und zum Zeitplan. Das Ministerium betont zugleich, was man im Kampf gegen den Ärztemangel bereits erreicht habe. Mit der Neugründung der medizinischen Fakultät OWL an der Universität Bielefeld seien zum Wintersemester 2021/2022 60 Studienplätze für Medizin neu geschaffen worden. An der privaten Universität Witten/Herdecke seien mit finanzieller Unterstützung des Landes die Studierendenzahlen im Bereich Humanmedizin auf 168 verdoppelt worden. Als erstes Bundesland habe NRW zudem 2018 die Landarztquote eingeführt: Im Gegenzug für einen Studienplatz verpflichten sich Bewerberinnen und Bewerber, zehn Jahre lang in einer unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Region hausärztlich tätig zu werden. Die ersten Studierenden werden dem Ministerium zufolge im Sommersemester 2027 ihr Medizinstudium abschließen und dann ihre Weiterbildung beginnen. 7,8 Prozent der Studienplätze würden im Rahmen der Landarztquote vergeben, insgesamt seien das 180 Medizinstudienplätze jährlich. Aktuell studierten in NRW 634 junge Männer und Frauen im Rahmen der Landarztquote Medizin.  


Die Medizinstudierenden sehen hingegen die Pläne zum Ausbau der Studienplätze skeptisch. „Der bvmd positioniert sich seit Jahren gegen eine unüberlegte Erhöhung der Zahl der Studienplätze“, erklärt Sprecherin Troche. Derzeit bildeten weder die Infrastruktur noch die Kapazitäten des ärztlichen und universitären Personals den damit verbundenen Mehraufwand ab. Die gute Qualität der ärztlichen Ausbildung müsse hier stets Priorität haben.


Nordrheins Ärzte fordern Nachbesserungen

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein hat sich zuletzt im März 2021 für Nachbesserungen am Entwurf einer neuen Approbationsordnung ausgesprochen. Zwar unterstütze sie das Ziel der Reform, es dürfe aber durch die Ausweitung des patientennahen Unterrichts nicht zu einer inhaltlichen Überfrachtung der Ausbildung kommen. Auch dürften die Studierenden bei den Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Wahlquartale im Praktischen Jahr (PJ) nicht eingeschränkt werden. Außerdem forderten die Delegierten eine solide Finanzierung der Reform und eine angemessene Aufwandsentschädigung der Studierenden im PJ.
Gut aufgestellt für eine Umsetzung der Reform seien in der Regel die Universitäten, die bereits Modellstudiengänge implementiert hätten, sagte Professor Dr. Michael Koldehoff, Vorsitzender des Ad-hoc-Ausschusses Ausbildung zum Arzt/Hochschulen und medizinische Fakultäten der Ärztekammer Nordrhein dem . Auf die Regelstudiengänge komme dagegen noch viel Arbeit zu. Ein Inkrafttreten der Reform – wie ursprünglich geplant – im Oktober 2025 sieht auch Koldehoff deshalb skeptisch.