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Onkologische Versorgung: Melder erhalten erstmals Qualitätsberichte

14.12.2022 Seite 23
RAE Ausgabe 1/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2023

Seite 23

Das Landeskrebsregister NRW hat als erstes Krebsregister in Deutschland Ende 2022 individuell für alle Kliniken, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen Qualitätsindikatoren ausgewertet, die auf S3-Leitlinien basieren. 

von Andreas Stang, Dominique Werner, Florian Oesterling, Andres Schützendübel

Als Folge des Nationalen Krebsplans von 2008 trat 2013 das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) in Kraft. Es verpflichtet alle Bundesländer zum Aufbau von klinischen Krebsregistern, die insbesondere Daten zur Diagnose, Therapie und zum Verlauf sammeln. 

Mit der Novelle des Landeskrebsregistergesetzes NRW wurde 2016 die rechtliche Basis des klinischen Krebsregisters in NRW geschaffen. An der Patientenversorgung beteiligte Ärztinnen und Ärzte inklusive der Pathologen sind gesetzlich verpflichtet, histologische und pathologische sowie klinische Diagnosen, Therapien, Verlaufsinformationen inklusive Progression, Rezidiv und Tod an das Landeskrebsregister (LKR) NRW zu melden (www.landeskrebsregister.nrw). Die Finanzierung erfolgt zu 90 Prozent durch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen und zu zehn Prozent durch das Land NRW. Die Krebsregister müssen Förderkriterien bezüglich der Qualität der Registratur erfüllen, die jährlich geprüft werden. Zu den Förderkriterien gehört unter anderem, dass pro ärztlichem Melder S3-leitlinienbasierte Qualitätsindikatoren (QIs) für die gemeldeten Krebsfälle berichtet werden. Das LKR NRW hat deshalb Ende 2022 erstmals jedem individuellen Melder QIs zu den von ihm versorgten Patientinnen und Patienten mitgeteilt.

Bei der medizinischen Versorgungsqualität kann zwischen drei Dimensionen unterschieden werden: 

  1. Strukturqualität (zum Beispiel das Vorhandensein von MRTs), 
  2. Prozessqualität (zum Beispiel Re-Resektion bei kurativ geplanter Operation) und 
  3. Ergebnisqualität (zum Beispiel Überlebenswahrscheinlichkeit)

Die Arbeitsgemeinschaft der sogenannten § 65c, SGB V Plattform hat mit Stand von Juni 2021 in Abstimmung mit der Deutschen Krebsgesellschaft insgesamt 172 S3-Leitlinien-basierte QIs ermittelt. Grundlage der Auswertung sind die Daten, die mithilfe des onkologischen Basisdatensatzes der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren und der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland berechnet werden können. Weil nicht alle Variablen zur Berechnung von QIs meldepflichtig sind, können derzeit nur 78 QIs ausgewertet werden. Insgesamt 73 (94 Prozent) sind QIs der Prozessqualität. Nur fünf (sechs Prozent) sind QIs der Ergebnisqualität, davon vier zur Überlebenswahrscheinlichkeit und einer zu postoperativen Komplikationen.

Problem: Datenqualität 

Bei der Interpretation von QIs gibt es zwei zentrale Probleme. Zum einen können QIs bei Melderinnen und Meldern ungünstig ausfallen, obwohl sie eine sehr gute Versorgungsqualität erreicht haben. Das kann daran liegen, dass die dem LKR NRW zur Verfügung stehenden Daten der Melder eine schlechte Qualität haben oder Daten erst gar nicht gemeldet werden. Beispielsweise wertet der QI7 bei Brustkrebs aus, in wieviel Prozent bei Patientinnen mit Brustkrebs und brusterhaltender Therapie eine Strahlentherapie der Brust erfolgt ist. Wenn der Strahlentherapeut die meldepflichtigen Strahlentherapien nicht vollzählig an das LKR NRW meldet, die er vorgenommen hat, so fällt der vom LKR NRW berechnete QI, der dem operierenden Gynäkologen mitgeteilt wird, schlecht aus, obwohl die Patientinnen leitlinienkorrekt behandelt wurden. Das heißt, es kann zu Verwechselungen zwischen schlechter Versorgungs- und schlechter Datenqualität kommen.

Zum anderen ist die Berechnung einiger QIs kompliziert. Am Beispiel des QI4, des kutanen malignen Melanoms (QI „Wächterlymphknoten-Biopsie“), aus der Leitlinienversion 3.3 von Juli 2020 sollen die Definition von Nenner und Zähler des QIs sowie die Fallstricke, die mit diesen Definitionen verbunden sind, illustriert werden: 

Nenner: Zunächst muss das LKR NRW alle kutanen malignen Melanome (ICD-10: C43) identifizieren. Hierzu zählen kutane und mukokutane maligne Melanome der Vulva, des Penis und des Scrotums (ICD-10 C51, C60 sowie C63.2). Anschließend muss die Fallmenge auf das entsprechende Stadium beschränkt werden, für die der QI zu berechnen ist.

Zähler: Unter den im Nenner befindlichen Melanomen müssen diejenigen identifiziert werden, bei denen

  • innerhalb von sechs Monaten nach Diagnosedatum Lymphknoten exzidiert wurden, oder
  • bei denen in der Meldung des Pathologen ein pN*(sn) dokumentiert wurde, oder
  • die Anzahl untersuchter Sentinel-Lymphknoten > 0 war, oder
  • die Anzahl befallener Sentinel-Lymphknoten > 0 war.

So kann es passieren, dass Melder zwar viele Melanome an das LKR NRW gemeldet haben, aber aufgrund unvollständiger Stadien-Angaben die Menge der Melanome, die in den Nenner des QIs eingehen, deutlich kleiner ist als die Menge aller gemeldeten Melanome. Ein weiteres Problem entsteht, wenn Informationen zum Status der Schildwächterlymphknoten nicht gemeldet werden. In solchen Fällen hat das LKR NRW keine Wahl und muss unterstellen, dass keine Schildwächterlymphknoten-Biopsie stattgefunden hat, im Sinne von: „Was nicht gemeldet wurde, wurde auch nicht gemacht“.

Die QIs werden nicht ausschließlich auf Grundlage der Daten berechnet, die einzelne Melder an das LKR NRW gemeldet haben, sondern basieren auf Daten aller vorliegenden Meldungen – also auch auf Meldungen von anderen Ärztinnen und Ärzten, die in den Behandlungsverlauf einer Patientin oder eines Patienten involviert waren.

Professor Dr. Andreas Stang, MPH, ist Direktor des Instituts für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie am Universitätsklinikum Essen und Ärztlicher Leiter des Landeskrebsregisters NRW, Dr. forest. Andres Schützendübel ist Geschäftsführer, Florian Oesterling Leiter der Landesauswertungsstelle und Dr. rer. med. Dominique Werner, Leiterin der Klinischen Auswertungsstelle des Landeskrebsregisters NRW.