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Gesundheits- und Sozialpolitik

Politik hat Bringschuld für die ambulante Versorgung

14.12.2022 Seite 21
RAE Ausgabe 1/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2023

Seite 21

Eine gute Versorgung braucht klare und verlässliche Strukturen durch die Politik: Im Rahmen der letzten Vertreterversammlung 2022 forderten KVNO-Vorstand und VV-Delegierte umfassende Maßnahmen zur Unterstützung der niedergelassenen Vertragsärzteschaft. Ob Streichung der Neupatientenregelung, Zumutungen durch die TI oder ausbleibende Unterstützung in der aktuellen Energiekrise – trotz ihrer herausragenden Leistung bei der Impfkampagne gegen das Coronavirus lege der Gesetzgeber den Praxen immer neue Steine in den Weg. Mit Blick auf die kommende 16. Amtsperiode mahnen der KVNO-Vorsitzende, Dr. Frank Bergmann, und sein Stellvertreter, Dr. Carsten König, zu unermüdlicher Überzeugungsarbeit. © KVNO
Die niedergelassene Vertragsärzteschaft im Rheinland betont ihre Bereitschaft, auch angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen alle Kraft in die Versorgung zu geben – hierfür braucht es aber klare und verlässliche Strukturen durch die Politik. Mit dieser grundlegenden Botschaft hat am 25. November im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft die letzte Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) im Jahr 2022 stattgefunden. 

von Christopher Schneider

Die VV Ende November war nicht nur die letzte des Jahres, sondern zugleich die letzte Sitzung der 15. Wahlperiode, was Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KVNO, auch zum Anlass für einen Rückblick auf die ablaufende Legislatur nutzte. Einen besonderen Dank richtete er an die scheidenden VV-Vorsitzenden Bernd Zimmer und Fritz Stagge, die beide diese Ämter künftig nicht mehr ausüben werden. Auch den Delegierten sprach er großen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Vorstand und für ihren ehrenamtlichen Einsatz aus. Nicht nur in der Coronapandemie, sondern unter anderem auch in Honorarfragen und Beschlüssen zur Gestaltung der ambulanten Versorgung im Rheinland habe sich dieses herausragende Engagement gezeigt, so Bergmann. „Auch den künftigen vor allem krisengeprägten Herausforderungen muss die Selbstverwaltung weiter mit unermüdlicher Überzeugungsarbeit, Rechtschaffenheit sowie Geradlinigkeit und klugen Argumenten in Verbindung mit viel Langmut und Ausdauer begegnen“, unterstrich der KVNO-Vorsitzende.

Weichen für die Nachwuchsförderung gestellt

Zu einer der zweifelsohne größten Aufgaben des KV-Systems zählte und zählt aus Sicht des Vorstands die Sicherstellung der ambulanten Versorgung in ländlichen Bereichen. Hier werde es mehr denn je gelten, mögliche Versorgungsengpässe frühzeitig zu identifizieren und durch kreative Lösungen aktiv anzugehen. „Allein über unseren Strukturfonds haben wir seit 2018 über 360 Ärztinnen und Ärzte für das Rheinland gewinnen können – in die entsprechenden Fördermaßnahmen sind fast 23 Millionen Euro geflossen. Auch 2023 wollen wir diesen Weg konsequent weitergehen und unter anderem unsere Förderungen im Praktischen Jahr (PJ) finanziell aufwerten“, kündigte Bergmann an. Der Erhöhung der monatlichen PJ-Förderung von 600 auf 800 Euro und weiteren Anpassungen der KVNO-Sicherstellungsrichtlinie stimmte die VV auf Antrag von Vorstand und Hauptausschuss mit großer Mehrheit zu. 

In Summe sei die Förderung der haus- und fachärztlichen Versorgung aus Sicht des Vorstands aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die das ambulante System nicht alleine bewältigen könne – dies gelte mit Blick auf den in NRW anstehenden Umbau der Krankenhauslandschaft und ebenso auf die im Bund angestrebte Ambulantisierung stationärer Leistungen. 

Kritik an fehlender Unterstützung in der Energiekrise

Die VV reagierte angesichts dessen mit großem Unverständnis auf die mangelnde Bereitschaft von Politik und Kassen, die Finanzierungssituation der Praxen zeitnah und spürbar zu verbessern. „Trotz der großen Leistungen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen bei der nunmehr fast zwei Jahre laufenden Impfkampagne sind die Praxen bei den geplanten Hilfsprogrammen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds bisher nicht berücksichtigt worden“, kritisierte Bergmann.

„Die Niedergelassenen benötigen wie auch die Krankenhäuser eine Unterstützung in der Krise“, sagt Dr. Frank Bergmann. 

Dies könne gerade für Bereiche etwa der Dialyse oder Radiologie zu einem existenziellen Problem werden – temporäre Schließungen nicht ausgeschlossen. „Hier haben Staat und Kassen eine Mitverantwortung, zumal die hohen Energie- und Inflationskosten auch eine politische Ursache haben. Die Niedergelassenen benötigen wie auch die Krankenhäuser eine Unterstützung in der Krise.“   

„Zäsur in der kassenärztlichen Versorgung“ 

Dass der ambulante Bereich zunehmend ein „blinder Fleck“ auf der politischen Landkarte ist, zeigt sich nach Meinung der VV auch an der jüngst vom Gesetzgeber durchgesetzten Streichung der Neupatientenregelung. Auf Antrag des Beratenden Fachausschusses für die fachärztliche Versorgung fasste die VV eine Resolution, in der sie die Abschaffung der entsprechenden Regelungen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) und vor allem die Rebudgetierung der Neupatienten aufs Schärfste missbilligt. Die Abschaffung sei eine „Zäsur in der kassenärztlichen Versorgung“, die Praxen dringend notwendige Mittel entziehe. „Der Glaube an eine tragbare Gegenfinanzierung der Grundversorgung ausschließlich im System GKV und EBM ist durch die Rechtsänderung nachhaltig erschüttert und bei vielen Kollegen erloschen“, heißt es im Resolutionstext. 

Resolution für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung  

Ebenfalls klar positionierte sich die VV zur Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Arzneimitteln auch unter Beachtung klimaschonender Produktionsorte, -weisen und Transportwege: Bund und Land werden aufgefordert, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um essenzielle Produkte, deren kurzfristige Verfügbarkeit jederzeit zu gewährleisten ist, verbindlich festzulegen und die vielschichtigen Ursachen für Lieferausfälle kritischer Arzneimittel zu analysieren. Mit Blick auf die Zielsetzung einer schnellen Klimaneutralität in allen Bereich sei entscheidend, dass die Produktion im Zuständigkeitsraum der EU erfolge und nicht „aus kurzfristigen ökonomischen Vorteilen an zukunftsgefährdende Produktionsorte verlagert wird, angetrieben durch Rabattverträge der Krankenkassen“, so die Resolution im Wortlaut. 

Gesetzgeber muss Digitalisierung sinnvoll gestalten 

Weiteres VV-Thema waren die Digitalisierung und die Anwendungen der Telematik-Infrastruktur (TI), zu deren Sachstand in hiesigen Praxen Dr. Carsten König, stellvertretender Vorsitzender der KVNO, den Delegierten berichtete. Insgesamt habe sich die Politik laut König bei der Digitalisierung „verzettelt“, was sich beispielhaft an der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) zeige. „Nahezu alle der rund 14.500 Praxen (98 Prozent) in Nordrhein sind grundsätzlich für die Nutzung der ePA bereit, sie wird momentan aber lediglich von 0,5 Prozent der Versicherten genutzt. Auch die praktische Nicht-Nutzbarkeit des eRezeptes fällt in diesen Bereich. Solch halbfertige Anwendungen bringen Praxen wie Versicherten keinerlei Nutzen“, sagte König. Auch der „Hick-Hack“ um den etwaigen Konnektorentausch oder die vor Kurzem vom Bund ins Spiel gebrachte Neuregelung der TI-Finanzierung trage zur Verwirrung vieler Niedergelassener bei. Aus Sicht des KVNO-Vorstands sei die Lage dagegen klar: „Der Staat will die TI – also muss er alles, was damit zusammenhängt, den Praxen vollumfänglich bezahlen.“ 

„Die Lage ist klar: Der Staat will die TI – also muss er alles, was damit zusammenhängt, den Praxen vollumfänglich bezahlen“, sagt Dr. Carsten König.

Deutliche Kritik richtete König auch gegen die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums, die Corona-Schutzimpfungen schon ab Januar komplett in die Regelversorgung zu überführen. „Die hierzu notwendigen Voraussetzungen – etwa bei der Praxissoftware – sind überhaupt noch nicht umgesetzt. Ebenso sind die bisherigen Mehrdosenbehältnisse in der alltäglichen Praxis ungeeignet. Hier braucht es dringend die von uns lange geforderten Einzeldosen“, so König.

Weiterentwicklung des Notdienstes und Neubau in Köln

Der Vorstand gab der VV auch einen Überblick über die Weiterentwicklung der Notdienststrukturen in Nordrhein – hier etwa zu dem in der Städteregion Aachen ab Januar 2023 startenden ärztlichen Fahrdienst mit Wagen im KVNO-Design. Gestellt und besetzt werden die Fahrzeuge über die KVNO-Tochtergesellschaft GMG. Ebenfalls ab Januar startet in den ersten der insgesamt rund 80 Notdienstpraxen im Rheinland die Anbindung an die TI. 

Gute Nachrichten gab es auch zum Bau des neuen KVNO-Standorts an der Butzweilerhofallee in Köln: Der Innenausbau geht derzeit in seine letzte Phase. In den kommenden Wochen erfolgt die organisatorische Vorbereitung zur Inbetriebnahme des Gebäudes. Der Einzug von über 400 KVNO-Mitarbeitenden ist für das zweite Quartal 2023 geplant.

Wie immer am Jahresende waren auch die Präsentation und die Debatte um die Bilanz des Geschäftsjahres 2021 und den Haushalt für 2023 wesentliche Tagesordnungspunkte der VV. Die Delegierten genehmigten beide Zahlenwerke und entlasteten den Vorstand. Der Verwaltungskostensatz der KVNO bleibt 2023 unverändert. Die Mitglieder zahlen bei IT-unterstützter Abrechnung weiterhin 2,8 Prozent ihres Arztumsatzes.

Ein Mitschnitt der VV vom 25. November 2022 findet sich unter www.kvno.de 

Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der KV Nordrhein.