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Wissenschaft und Fortbildung

Fehler bei der Arzneimitteltherapie

18.04.2023 Seite 25
RAE Ausgabe 5/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2023

Seite 25

Fehler bei der Arzneimitteltherapie werden sehr selten beklagt und bei der gutachterlichen Betrachtung als berechtigt angesehen. Auch Risikoaufklärungsmängel spielen eine geringe Rolle. Allerdings wird etwas mehr als ein Drittel der Fehler bei der Arzneimitteltherapie bei der Begutachtung aufgedeckt, ohne dass Patientinnen und Patienten hierzu Vorwürfe erhoben hatten. Die Dunkelziffer der Fehler dürfte daher hoch sein, da Laien die Kausalität häufig nicht bewusst ist.

von Beate Weber


Der Anteil von Fehlern bei der Arzneimitteltherapie ist in den Jahren 2017 bis 2021 gegenüber dem früheren Vierjahreszeitraum (2013 bis 2016, siehe RÄ 3/2018) bei einer Gesamtzahl von 6.893 Begutachtungen von 5,1 auf 5,9 Prozent gestiegen (Tabelle 1). Insgesamt ist die Zahl der nordrheinischen Begutachtungen zuletzt deutlich von durchschnittlich 1.735 (2013 – 2016) auf 1.379 Fälle pro Jahr zurückgegangen, ein Minus von 20,5 Prozent. Dieser Trend hatte sich mit einem Rückgang auf circa 1.500 Begutachtungen jährlich bereits vor der COVID-19-Pandemie gezeigt. Er verstärkte sich durch die geringere Inanspruchnahme der Kommission während der Pandemie weiter (Rückgang auf 1.050 Begutachtungen im Jahr 2021) und war auch bundesweit bei den anderen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen festzustellen. In den Begutachtungsjahren 2017 bis 2021 wurden insgesamt 2.042 Behandlungsfehler (29,6 Prozent) und 242 Risikoaufklärungsfehler (3,5 Prozent) festgestellt, darunter 87 (1,8 Prozent) bei ansonsten sachgerechter Behandlung.  


Bei den 405 Fällen mit Medikationsfehlern handelte es sich nur noch in etwas mehr als einem Viertel um Fälle (n=106), in denen die Patientinnen und Patienten Gesundheitsschäden infolge fehlerhafter medikamentöser Therapie geltend machten (2013 – 2016: 34,5 Prozent). In 142 Verfahren wurde neben anderen Vorwürfen auch die Arzneimitteltherapie gerügt, zum Beispiel die postoperative Infekt- oder Schmerzbehandlung. In 157 Verfahren (2,3 Prozent) wurden bei der gutachterlichen Prüfung anderer Behandlungsfehlervorwürfe auch Fehler bei der Arzneimittelgabe aufgedeckt.  Bei diesen Verfahren handelt es sich somit um eine rein zufällige Stichprobe aus dem ohnehin sehr selektiven Datenbestand der Gutachterkommission, die eine verallgemeinernde statistische Aussage nicht erlaubt.
Wie in Tabelle 1 dargestellt, ging es bei den bei 405 Patientinnen und Patienten festgestellten Medikationsfehlern am häufigsten mit einem Anteil von 1,8 Prozent (zuvor 1,2 Prozent) um Antibiotika (n=124). Fehler bei den die Gerinnung beeinflussenden Präparaten (Mehrfachnennung: prophylaktische (n=16) und therapeutische Heparingabe (n=18), ASS 100-Prophylaxe (n=14), Marcumar (n=7), Faktor Xa-Inhibitoren (n=4), Thrombozytenaggregationshemmer (n=5) und systemische Lyse (n=7)) hatten wie zuvor einen Anteil von etwa einem Prozent. Ein etwas stärkerer Rückgang von elf auf sieben Fehlerfälle pro Jahr war bei den Glukokortikoiden festzustellen.


Behandlungsfehler wurden unter anderem auch bei 13 Lokalanästhetikagaben (vormals 19 in vier Jahren), zehn Chemotherapien (vormals 15), sieben Analgosedierungen (vormals acht) und drei Narkosemittelverabreichungen (vormals sechs) festgestellt. Weiterhin lagen fünfzehn Fehler beim Einsatz von Psychopharmaka vor, darunter allein fünf Risikoaufklärungsversäumnisse bei ansonsten sachgerechter Therapie, vier Indikationsfehler, je zweimal eine Verordnung ohne vorhergehendes EKG beziehungsweise in zu niedriger Dosierung, je einmal unterlassenes Fortführen, nicht beachtete Kontraindikation/Zulassung und fehlerhafte Auswahl sowie zwei Dokumentationsmängel. 

Die bezüglich der Arzneimittelgabe festgestellten vier möglichen Einzelfehler pro Fall (Tabelle 2, siehe Online-Version) wurden in vier Fallgruppen zusammengefasst und betrafen:
1.    die Vornahme einer nicht indizierten Arzneimitteltherapie (63-mal), 
2.    das Unterlassen/die verspätete Durchführung einer indizierten Arzneimitteltherapie/-prophylaxe (138-mal),
3.    die unsachgemäße Durchführung einer indizierten Arzneimitteltherapie (331-mal), zum Beispiel aufgrund fehlerhafter Dosierung, zu kurzer oder zu langer Dauer, fehlender Laborkontrollen, der Art und Weise der Durchführung oder fehlerhafter Auswahl, 
4.    die unterlassene therapeutische Aufklärung (31-mal) und/oder Risikoaufklärung (57-mal). Darunter waren 25 Verfahren mit sachgerechtem Vorgehen bei der Medikation, die nicht von einer rechtsgültigen mündlichen Risikoaufklärung gedeckt waren.
Dokumentationsmängel spielten bei 27 von 405 Fehlerfällen eine Rolle (6,7 Prozent).

Einzelfehler 2017–2021 im Vergleich zu Vorjahren

Die unter www.aekno.de verfügbare Online-Version zeigt in der Tabelle 2 die festgestellten Einzelfehler auf. Grafik 1 stellt die pro Begutachtungsjahr erfassten Einzelfehler vergleichend zu den zwei Vorjahreszeiträumen dar, die Grafiken 2 bis 6 beziehen sich auf die vier häufigeren und die sonstigen gutachterlich überprüften Arzneimittel. Der häufigste festgestellte vorwerfbare Fehler war die Unterlassung einer notwendigen Medikation mit 27,6 statt zuvor 20,3 Fällen pro Begutachtungsjahr. Der Anstieg konnte für Antibiotika (plus 3,1 auf 11,4 Fälle pro Jahr) und für seltenere Arzneimittel belegt werden (plus 3,5 auf 7,8 Fälle pro Jahr). Bei Versäumnissen erforderlicher Labor-, Urin-, Abstrichs-, Blutkultur- oder anderen Untersuchungen war ein geringer Rückgang zu verzeichnen (minus 1,2 auf 16,6 Fälle pro Jahr); insbesondere ist hier die fehlende/zu späte Befunderhebung für eine Antibiotikagabe zu nennen (minus ein Fall auf 9,8 Fälle pro Jahr). Bei der längerfristigen Schmerztherapie mit Metamizol fehlte es beispielsweise einmal an einer Blutbild-Kontrolle, einmal wurde eine Niereninsuffizienz im Rahmen der stationären multimodalen Schmerztherapie um zwei Tage zu spät erkannt, obwohl der Patient bei aufgetretenem Delir fixiert werden musste. Bei einer indizierten, aber rechtswidrigen Thiamazol-Therapie bei einer Anfang 50-jährigen Patientin hätte durch Laborkontrollen eine Agranulozytose und eine Leberwerterhöhung frühzeitiger erkannt und die Patientin auf die zu beachtenden potenziellen Nebenwirkungen im Rahmen einer therapeutischen Aufklärung hingewiesen werden müssen. Es wurde ein einfacher Befunderhebungsfehler festgestellt, der aber zur Umkehr der Beweislast führte, da eine Nichtreaktion – in diesem Fall die unmittelbare Einweisung zur Behandlung – auf die sich anbahnende Agranulozytose grob fehlerhaft gewesen wäre, sodass der belastete Arzt für das septische Multiorganversagen mit Tod der Patientin haftungsrechtlich einzustehen hat.
 

Bei der Indikationsstellung zur Medikation wurden Fehler in etwa gleich häufig festgestellt (minus 0,7 Fälle auf 12,6 Fälle pro Jahr), wobei bei den Antibiotika eine geringe Zunahme um 2,1 auf 3,6 Fälle zu verzeichnen war. Etwas seltener lagen Dosierungsfehler vor (minus 2,9 auf 10,4 Fälle pro Jahr). Noch etwas häufiger wurden Aufklärungsfehler festgestellt (plus 1,9 Fälle auf 11,4 Fälle pro Jahr), wobei der Zuwachs bei den Analgetika (plus 1,2 Fälle auf 2,2 Fälle pro Jahr) zwar gering ausfiel, aber immerhin in elf von 49 festgestellten Fehlerfällen Risikoaufklärungsversäumnisse festgestellt wurden, wobei vier Medikamentengaben rechtswidrig erfolgten. Am häufigsten lag mit drei Fällen ein Aufklärungsmangel bei der Metamizolgabe vor. Metamizol wurde in drei der fünf Fehlerfälle zudem trotz mitgeteilter Unverträglichkeit verabreicht. 

Die Art und Weise der Verabreichung (beispielsweise Injektion statt oraler Gabe sowie nicht tief gluteale Verabreichung) wurde bei den Glukokortikoiden mit einem Minus von 3,3 auf 1,2 Fälle pro Jahr seltener als zuvor als Fehler festgestellt. Fehler bei der therapeutischen Aufklärung lagen gleich häufig vor (6,2 statt zuvor 6,5 Fälle pro Jahr), beispielsweise fehlte es bei der Entlassung am Hinweis zur nötigen Fortführung der Medikamenteneinnahme oder über kontrollbedürftige Befunde. Bei den die Gerinnung beeinflussenden Präparaten (minus 0,8 auf einen Fall pro Jahr) wurde beispielsweise in zwei Fällen nicht auf die zwingend nötige Fortführung und Dauer der Therapie hingewiesen. Die Folge war jeweils ein Stentverschluss.

Weitere Beispiele

1. Vornahme einer nicht indizierten Arzneimitteltherapie
Bei etwa jedem sechsten der 405 Patienten mit festgestellten Fehlern bei der Arzneimitteltherapie fehlte es an der Indikation zur Verabreichung, darunter waren 18-mal Antibiotika (vormals sechs von 350 Fehlerfällen). Gründe für die Fehlverordnung waren am häufigsten eine mangelnde Befunderhebung (n=10), eine Fehldiagnose (n=5) oder eine falsche Reaktion auf einen geklagten Leidensdruck des Patienten (n=3). Wenn auch etwas seltener als zuvor, fehlte es noch bei 14 Glukokortikoidverabreichungen an der Indikation (vormals 19 von 350 Fehlerfällen), darunter elf Injektionen (achtmal intramuskulär, jeweils einmal intraartikulär, intravitreal und an verschiedene Lokalisationen, siehe Fallbeschreibung), zwei Salbenanwendungen am Auge/Ohr und eine Augentropfentherapie über mehrere Wochen mit der Folge eines zu spät erkannten steroidbedingten Glaukoms. 
Im Einzelnen fehlte die Indikation
zur Verschreibung von Metronidazol 400 mg im Jahr 2019 bei einem Anfang 60-Jährigen mit seit zehn Tagen bestehenden „Magen-Darm-Beschwerden“, die zudem ohne Inaugenscheinnahme und körperliche Untersuchung erfolgte; die Einnahme war aber nicht ursächlich für einen nachfolgenden zerebralen Krampfanfall,
zu neun intravenösen Gaben von Metronidazol über einen Zeitraum von sechs Wochen im Jahr 2018 sowie zu einer mehrwöchigen oralen „Borreliose-Kur“ unter anderem mit Azithromycin 500mg/Tag bei fälschlicher Annahme einer chronischen Borreliose ohne entsprechende Anamnese und Antikörperbestimmung bei einem Anfang 60-jährigen Patienten.
zu insgesamt 20 Antibiotikagaben in den Jahren 2014 – 2016, da die Urinkulturen, mit Nachweis typischer Darmkeime 
(19-mal), lediglich anhand von Mittelstrahl- statt von Katheterurin ermittelt wurden. Die im Wechsel verabreichten Antibiotika waren zudem teilweise resistent getestet worden. Bei 37 Vorstellungen in diesem Zeitraum wurde nur zweimal eine entsprechende klinische Symptomatik wie „Miktionsstörung mit Pollakisurie/Algurie“ und siebenmal „Nierenschmerz“ dokumentiert, ohne dass jedoch weitere Befunde erhoben/veranlasst wurden. Letztlich lag bei einem Mitte 30-jährigen Patienten eine idiopathische Detrusorhyperaktivität vor.
zu einer Injektionsserie an vier Tagen innerhalb von zwei Wochen im Jahr 2016 peridural in Höhe C5/C6, perineural und an zusätzliche Bezirke subacromial sowie intraartikulär in das Schultergelenk mit insgesamt acht Ampullen Kortison 25 mg bei einem zuvor nicht in der Praxis bekannten Mitte 60-jährigen Patienten mit Schulterarmbeschwerden nach Sturz.

2. Unterlassen einer indizierten Arzneimitteltherapie – Häufigster Einzelfehler war die in jedem dritten Fehlerfall festgestellte unterlassene beziehungsweise zu spät eingeleitete Arzneimitteltherapie oder -Prophylaxe. Beispielsweise wurde neunmal eine Antibiotika-Prophylaxe und 26-mal eine Antibiotikatherapie versäumt sowie 22-mal verspätet veranlasst. In 26 der 48 Fälle fehlte es dabei an einer zeit- beziehungsweise sachgerechten Befunderhebung. Gerinnungsbeeinflussende Präparate wurden 24-mal versäumt und siebenmal zu spät indiziert, darunter neunmal eine ASS-100 Sekundär-Prophylaxe und eine Aspisol 500 mg-Gabe, achtmal eine Thrombose-Prophylaxe, sechsmal eine therapeutische Antikoagulation und siebenmal eine Lyse. In 16 Fällen lagen nicht oder zu spät erkannte zerebrale Durchblutungsstörungen, dreimal eine Lungenembolie, zweimal eine tiefe Beinvenenthrombose und ein Zustand nach Aortenklappenersatz vor.

3. Unsachgemäße Durchführung
Dosierung – Unter den 331 Fehlern bei der Durchführung der Arzneimittelverabreichung fanden sich am häufigsten Dosierungsfehler (n=52). Überdosierungen wurden in 32 Fällen festgestellt, darunter sieben bei gerinnungsbeeinflussenden Präparaten und zwei Thrombose-Prophylaxen, sechs Kortisongaben, jeweils zwei Analgetika- sowie Baclofengaben, ein Antibiotikum, eine Colchicingabe sowie andere Einzelfälle. Unterdosierungen lagen 20-mal vor, darunter bei fünf die Gerinnung beeinflussenden Präparaten, jeweils drei Thrombose-Prophylaxen sowie Analgetikagaben, zwei Antibiotika- und Antihypertensivaverabreichungen sowie in Einzelfällen wie beispielsweise von Metformin bei Diabetes mellitus oder eine augendrucksenkende Tropfentherapie bei Glaukom.
Im Einzelnen wurde beispielsweise 
bei einem Mitte 60-jährigen Patienten nach einer Koronarangiographie (INR 1,04, PTT 29 Sekunden) die postdiagnostisch über zwei Tage pausierte Vormedikation mit Marcumar (mit 3 – 2,5 – 3 – 0,5 – 0 – 0,5 – 0) und Clexane 0,8 zweimal täglich über sechs Tage im Jahr 2015 bis zu einem dann erst bestimmten INR-Wert von 6,51 fortgeführt, obwohl ab dem zweiten Tag Leistenbeschwerden und am dritten Tag  ein schlussendlich massives Leistenhämatom mit Anämie (Hb 6,8 g/dl) und dann dauerhafter Nervenstörung des N. ischiadicus/N. femoralis vorlagen und das Kreatinin am 6. Einnahmetag 3,4 mg/dl betrug, was in Ermangelung von Laborerhebungen bis dahin unbemerkt geblieben war.
bei einer Mitte 70-jährigen Patientin mit absoluter Arrhythmie mit Vorhofflimmern die erfolgreiche Aufsättigungsdosis von Amiodaron 5 x 200 mg/Tag nach zwei Wochen als Dauertherapie über vier Monate im Jahr 2015 weitergeführt mit der Folge einer lebensbedrohlichen Intoxikation mit kardialer Dekompensation sowie pathologischen Leukozyten- und Leberwerten, die glücklicherweise nach vier Wochen rekonvaleszent war.
 

Indikation nicht erneut geprüft – ein Einzelfehler, der gerade bei der Schmerzmittelgabe in 16 der 35 Fehlerfälle vorlag. Beispielweise 
erhielt eine zum damaligen Zeitpunkt Anfang 60-jährige Patientin mit chronischen Schmerzen neben einem Antidepressivum regelmäßig über zehn Jahre relativ hoch dosiert Valoron N (über fünf Jahre 50 mg monatlich/zweimonatlich, ab dann 100 mg, 2015 zusätzlich auch Diclofenac-Injektionen, zuletzt im Frühjahr 2015 Tilidin 100 mg) mit der Folge einer Opioidabhängigkeit mit Geh(un)fähigkeit und Orientierungslosigkeit/Verwirrtheit. Eine Aufklärung der Patientin über das Risiko wurde nicht dokumentiert. Es stellt sich für den Gutachter die Frage, warum die Patientin nicht in eine für dieses Krankheitsbild spezialisierte Therapieeinrichtung überwiesen wurde.
wurde bei der Praxisübernahme eine bereits seit 16 Jahren bestehende Langzeitverordnung des niedrigpotenten Antipsychotikums Chlorprothixen 50 mg ohne Beschwerdeanamnese/Diagnose und Risikoaufklärung über vier Jahre fortgeführt bis dann erst die Empfehlung ausgesprochen wurde, zur Indikationsüberprüfung einen Psychiater aufzusuchen.

Auswahl fehlerhaft – In 29 Fällen wurde die Auswahl des Arzneimittels als fehlerhaft bewertet, beispielsweise 
fünfmal ein aufgrund der eher blanden Infektsituation nicht indiziertes (Reserve)-Antibiotikum, darunter zweimal Levofloxacin, einmal in Verbindung mit einer systemischen Kortisongabe bei Verdacht auf einen leichten Atemwegsinfekt, dreimal Ciprofloxacin bei Verdacht auf Harnwegsinfekt, zweimal bei leichtem Atemwegsinfekt; in vier Fällen fehlte es auch am Nachweis einer sachgerechten Risikoaufklärung.

Nebenwirkungen nicht berücksichtigt – In 19 Fällen blieben Nebenwirkungen unberücksichtigt, zum Beispiel
wurde bei einem Ende 50-jährigen Patienten im Jahr 2017, der bereits bei der Aufnahme unter antituberkulostatischer vierfach Therapie erhöhte Leberwerte aufwies (GOT 177 U/l, GPT 294 U/l, am Folgetag GOT 233 U/l, GPT 323 U/l), die Verabreichung mindestens drei weitere Tage (Dokumentationsmangel) fortgeführt, ohne dass nach dem zweiten Behandlungstag Laborkontrollen über weitere zehn Tage erfolgten, sodass das medikamentös-toxische Leberversagen (GPT 3.797 U/l) zu spät intensivmedizinisch behandelt wurde.
wurde bei einer Mitte 80-jährigen Patientin an einem Wochenende im Jahr 2016 nach häuslichem Sturz mit stark schmerzhaften Prellungen eine stationäre Schmerztherapie mit fünf mg Morphin s.c. und Tilidin/Naloxon 50/4 mg zweimal täglich unter einer Bedarfsmedikation von maximal 3 x 5 mg Morphin subkutan begonnen, die nachfolgend zu einer Bewusstseinstrübung führte. Dieser Umstand wurde durch den informierten Arzt vom Dienst auf die Morphin-Gabe zurückgeführt, was ihm aber unbedenklich erschien, da „keine Atemdepression“ auftrat, sodass von ihm „ein Antidot nicht als erforderlich angesehen wurde“. Nachts wiederaufgetretene Schmerzen wurden erneut mit 5 mg Morphin behandelt, was zu einer neuerlichen Eintrübung bei Opiat-Überhang führte. Als Behandlungsfehler wurde bewertet, dass der Arzt vom Dienst die Bedarfsmedikation nicht sogleich auf ein weniger delirantes Opioid wie Tilidin, Naloxon oder Oxycodon umgestellt hatte.
Behandlungsfehlerhaft erhielt ein Zweijähriger im Jahr 2018 infolge einer Verwechslung das Thyreostatikum Thiamazol in der Dosis 2 x 200 mg/Tag statt des vorgesehenen Thiamin im Rahmen einer Zustandsverschlechterung bei V.a. mitochondrialer Zytopathie mit entsprechend schwerer Symptomatik. Da Thiamazol nur in 20 mg-Tabletten zur Verfügung stand, mussten jeweils zehn Tabletten verabreicht werden – ein Umstand, der erst am dritten Tag hinterfragt wurde und zum Absetzen führte. Das TSH war nachfolgend auf 0,11 µU/ml supprimiert, ein wesentlicher Schaden ist dem Kleinkind durch die passagere Hypothyreose nicht entstanden. 

4. Arzneimittelgabe ohne Risiko- und therapeutische Aufklärung – An einer therapeutischen Aufklärung fehlte es in 31 Fällen. Unterlassen wurden beispielsweise Hinweise 
•    auf die dringend gebotene weitere Abklärung massiv erhöhter Triglycerid-Werte bei einem Anfang 30-jährigen Patienten im Rahmen einer Gesundheitsvorsorge. Dieser Fehler war mitursächlich für die nach einem Jahr aufgetretene schwere Pankreatitis und
auf unverzügliche fachärztliche Behandlung bei diagnostiziertem Herpes zoster bei einem Krebspatienten im Notdienst, da auf jeden Fall eine sofortige antivirale Behandlung indiziert war und sich die Ärztin damit nicht auskannte. Dadurch wurde die Chance auf eine Verkürzung der Akutsymptomatik versäumt, die chronischen Beschwerden sind allerdings schicksalshaft entstanden.
Risikoaufklärungsrügen waren bei den zur Überprüfung gelangten 1.268 Arzneimittelfällen mit 57 Fällen (4,5 Prozent) etwas häufiger berechtigt als im Gesamtkollektiv (Anteil 3,5 Prozent), darunter in knapp der Hälfte der Fälle bei ansonsten sachgerechter Therapie (n=25, zwei Prozent). So hätte beispielweise bei einem Mitte 90-jährigen, nicht einwilligungsfähigen Patienten mit mittelschwerer Demenz im Jahr 2015 mit dem als Betreuer eingesetzten Sohn über die Risiken einer indizierten Umstellung des Neuroleptikums Melperon auf das hochpotente Benperidol 1mg bei neu diagnostizierter organisch wahnhafter Störung gesprochen werden müssen, da insbesondere die blockierende Wirkung der dopaminergen Übertragung in den Basalganglien so stark ist, dass Patienten bei der Verabreichung fast immer unter den typischen Begleiteffekten zu leiden haben. Die in der Folge notwendige komplexere geronto-psychiatrische Behandlung aufgrund temporärer extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen war den Gutachtern zufolge den behandelnden Ärzten anzulasten, die dauerhafte Pflegebedürftigkeit war durch die 16-tägige Einnahme jedoch nicht zu erklären.

Fazit

In Anbetracht der hohen Zahl an Arzneimittelverabreichungen kommt es äußerst selten zu Patientenbeschwerden. Dabei stellt jede Verordnung eines Arzneimittels einen Eingriff in die körperliche Integrität der Patientinnen und Patienten dar. Ärztinnen und Ärzte handeln unter Wahrung der zugelassenen Indikation (Ausnahme Off-Label-Use) nach Aufklärung über Wirkung und Nebenwirkungen, also im „informed consent“. Zu beachtende Wechselwirkungen mit anderen eingenommenen Arzneimitteln, die zu erfragen sind, wie auch Kontraindikationen, Anwendungsbeschränkungen, Dosierungen und Warnhinweise beispielsweise zur Toxizität, müssen Ärzte nicht nur bei der Erstverordnung sondern auch für Folgerezepte stets wieder in den Blick nehmen, das heißt abfragen. Ein Verstoß gegen bewährte Empfehlungen kann bei den Patienten schwerwiegende akute und chronische Gesundheitsstörungen bis hin zum Tod (siehe Fehlerhafte Behandlung mit Colchicin, RÄ Heft 11/20) zur Folge haben mit zuletzt auch haftungsrechtlichen Konsequenzen für die Ärztinnen und Ärzte. Gefahren bestehen beispielsweise bei Präparaten mit geringer therapeutischer Breite, bei älteren Patientinnen und Patienten, nicht erkannter eingeschränkter Nierenfunktion/Exsikkose sowie nicht dokumentierter Arzneimittelanamnese zu bestehenden Unverträglichkeiten und Allergien.
In knapp 40 Prozent der Fälle wurden vermeidbare Fehler bei der Medikation erst durch die Gutachterkommission aufgedeckt, möglichweise weil kausale Therapiefolgen für Patientinnen und Patienten schwerer zu erkennen sind. Zu Arzneimittelverordnungen wurde in knapp einem Fünftel der 6.893 Begutachtungen gutachterlich Stellung genommen, neben 380 Behandlungsfehlern wurden 57 Risikoaufklärungsversäumnisse festgestellt. Gerade bei der Arzneimitteleinnahme spielt die Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten mit der Hoffnung auf Linderung ihrer Beschwerden eine nicht unerhebliche Rolle, sodass anzunehmen ist, dass selbst wenn Ärztinnen und Ärzte sachgerecht über potenzielle typische, wenn auch seltene Nebenwirkungen aufklären, die Patientinnen und Patienten 
eine ärztlicherseits für geboten gehaltene Medikation im Beisein der Ärztin oder des Arztes kaum ablehnen würden, es sei denn sie haben bereits damit Erfahrungen gemacht. Die festgestellten Risikoaufklärungsmängel erwecken den Anschein, dass Rügen erst dann erhoben werden, wenn nicht erwartete Nebenwirkungen aufgetreten sind. Ärztinnen und Ärzten sei daher angeraten, die verpflichtende mündliche Aufklärungspflicht ernst zu nehmen und ausreichend, das heißt mit Einzelheiten zum geführten Gespräch, zu dokumentieren, sodass erkennbar wird, dass die Patientinnen und Patienten die potenziellen Chancen, aber auch die Risiken verstanden haben und ihre Bereitschaft erklären, sich darauf einzulassen. Gleiches gilt für die therapeutische Aufklärungspflicht zum weiteren Procedere (frühere Sicherungsaufklärung). 

Dr. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung der Begutachtungen zuständige Referentin in der Geschäftsstelle der Gutachterkommission Nordrhein.
 

Grafik 1 stellt die pro Begutachtungsjahr erfassten Einzelfehler vergleichend zu den zwei Vorjahreszeiträumen dar, die Grafiken 2 bis 6 beziehen sich auf die vier häufigeren und die sonstigen gutachterlich überprüften Arzneimittel.