Vorlesen
Gesundheits- und Sozialpolitik

Medizinforschungsgesetz: Geschenk für die Pharmaindustrie?

14.03.2024 Seite 22
RAE Ausgabe 4/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2024

Seite 22

Mit dem Referentenentwurf zum Medizinforschungsgesetz scheint das Bundesgesundheitsministerium weiter auf eine Stärkung von Bundeskompetenzen zu setzen. Die vorgesehene Bundes-Ethik-Kommission stößt auf Ablehnung in der Ärzteschaft. Die Krankenkassen kritisieren Wettbewerbsvorteile für die Pharmaindustrie. 

von Thomas Gerst

Eigentlich wäre Pharmastandort-Verbesserungsgesetz die korrektere Bezeichnung gewesen für das, was gemeinsam vom Bundesgesundheits- und vom Bundesumweltministerium im Januar 2024 als Referentenentwurf eines Medizinforschungsgesetzes (MFG) auf den Weg gebracht wurde. „Im Rahmen der Pharmastrategie spielt das MFG eine ganz zentrale Rolle. Mit dem MFG soll die Voraussetzung auch für die Produktion und nicht nur für die Forschung geschaffen werden.“ So hatte Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach im Dezember 2023 die Eckpunkte des geplanten Gesetzes präsentiert. Die Zulassung von Studien solle vereinfacht und beschleunigt sowie Bürokratie abgebaut werden. Diesem Zweck dient eine Vielzahl von Einzelregelungen, wie die Einführung gemeinsamer elektronischer Antragswege für verschiedene Prüf- und Genehmigungsverfahren, Erleichterungen für Forschungen, die einer strahlenschutzrechtlichen Zulassung bedürfen, oder verkürzte Bearbeitungszeiten bei mononationalen klinischen Prüfungen.

Es sind vor allem zwei Neuregelungen im Gesetzentwurf, die auf heftige Kritik stoßen. Dabei handelt es sich zum einen um die Einrichtung einer zentralen Bundes-Ethik-Kommission und zum anderen um die Abschaffung der bisher geltenden Praxis öffentlich einsehbarer Erstattungsbeträge für patentgeschützte Arzneimittel. 
Die neue Bundes-Ethik-Kommission, errichtet laut Gesetzesbegründung „zum Zwecke der Vereinfachung und Beschleunigung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln“, soll mit ihrer Geschäftsstelle organisatorisch dem BfArM zugeordnet, ihre Mitglieder sollen vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) berufen werden. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auf „besonders eilige und anspruchsvolle“ Arzneimittelprüfverfahren. Explizit werden dazu im Gesetzentwurf genannt: klinische Prüfungen von Arzneimitteln für neuartige Therapien; klinische Prüfungen, bei denen neue Arzneimittel erstmalig am Menschen geprüft werden; klinische Studien, die einem übergreifenden Masterprotokoll folgen und klinische Prüfungen von Arzneimitteln, die das Potenzial zur Abwehr von Notlagen haben. Im Übrigen seien, so die Begründung zum Gesetzentwurf, die registrierten Ethik-Kommissionen der Länder zuständig. Deren Zusammenschluss, der Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen (AKEK), soll künftig im Benehmen mit den zuständigen Bundesoberbehörden verbindliche Richtlinien zur Bewertung klinischer Prüfungen durch Ethik-Kommissionen erlassen. Der AKEK spricht sich gegen die geplante Neuregelung aus. Ohne vorherige Abstimmung mit den bestehenden Ethik-Kommissionen oder deren Arbeitskreis solle nun für bestimmte Forschungsprojekte eine überflüssige Parallelbürokratie geschaffen werden.

Unabhängigkeit in Frage gestellt

Sehr deutlich positioniert sich die Bundesärztekammer (BÄK) gegen die vorgesehene Neuschaffung einer Bundes-Ethik-Kommission. „In der jetzigen Form untergräbt das Gesetz die Unabhängigkeit der Bewertung klinischer Studien und schadet so dem Vertrauen der Menschen in die medizinische Forschung insgesamt“, kritisiert BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt den Referentenentwurf. Interessenkonflikte könnten nicht ausgeschlossen werden, wenn künftig neben der Arzneimittelzulassung auch die Bewertung klinischer Studien einer Bundesoberbehörde, dem BfArM, zugeordnet würde. Und die Gefahr politisch-administrativer Einflussnahme sei nicht auszuschließen, wenn die Berufung der Kommissionsmitglieder und die Genehmigung der Geschäftsordnung durch das BMG erfolgt. „Die unabhängige ethische Bewertung der Forschung am Menschen stellt gerade im Lichte der Erfahrungen aus der NS-Zeit einen wesentlichen Eckpfeiler des Patienten- und Probandenschutzes dar“, betont Reinhardt. 
Durch die im Referentenentwurf angelegten Strukturänderungen wird nach Auffassung der BÄK der Eindruck erweckt, das bewährte System der nach Landesrecht eingerichteten Ethik-Kommissionen in Deutschland sei grundlegend infrage zu stellen. „Warum – ohne Not – derart in Kompetenzen der Länder eingegriffen sowie eine Zentralisierung der Funktionen und Kompetenzen im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums verfolgt wird, erschließt sich nicht“, heißt es in der BÄK-Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Zudem sei das Optimierungspotenzial im bestehenden System der nach Landesrecht errichteten Ethik-Kommissionen nicht ausgeschöpft. Angesichts der erheblichen Risiken bei der Umsetzung der im Referentenentwurf angelegten grundlegenden Strukturänderungen appelliert die Bundesärztekammer an die Verantwortlichen, mit Augenmaß vorzugehen und Ansätze für eine Weiterentwicklung im bestehenden System zu verfolgen. 

Vertrauliche Erstattungsbeträge

Eine weitere Neuregelung im Gesetzentwurf sorgt vor allem für Kritik vonseiten der Krankenkassen. Pharmazeutische Unternehmen sollen künftig vertrauliche Erstattungsbeträge für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen vereinbaren können. Diese Vertraulichkeit gilt bis zum Wegfall des Patentschutzes, in der Regel acht Jahre. Anschließend erstatten die Unternehmen den Krankenkassen den Differenzbetrag zum bis dahin vertraulichen Erstattungsbetrag. Begründet wird dies mit der internationalen Referenzwirkung des hierzulande bestimmten Erstattungsbetrags, wenn dieser öffentlich bekannt ist. So will der Gesetzgeber den pharmazeutischen Unternehmen bessere Verhandlungsspielräume im Ausland ermöglichen. Der AOK-Bundesverband warnt vor finanziellen Mehrbelastungen der Versichertengemeinschaft zugunsten der Gewinne der pharmazeutischen Unternehmen. Das Verfahren zur Rückerstattung von Überzahlungen führe zu erheblichen zusätzlichen Bürokratiekosten. „AOK und Co. müssten den Pharmafirmen quasi einen zinslosen Kredit in Milliardenhöhe geben und zugleich sämtliche Lasten für die Durchführung und Umsetzung der neuen Regelungen tragen“, kritisierte die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands Dr. Carola Reimann.