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Medizin und Ökonomie

13.12.2023 Seite 12
RAE Ausgabe 1/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2024

Seite 12

Ethik und Ökonomie in der medizinischen Versorgung – das ist für die meisten Menschen ein Gegensatz, der im Versorgungsalltag eines Krankenhauses nur schwer aufzulösen ist. Dabei kann gerade eine an ethischen Überzeugungen orientierte Führung einen ökonomischen Erfolgsfaktor darstellen, ist Professor Dr. Georg Marckmann überzeugt. „Zahlt sich Ethik aus? Patientenversorgung im Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Ökonomie“ lautete die Frage, mit der sich der Medizinethiker bei der 10. Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung am 20. November im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf auseinandersetzte.

von Thomas Gerst

Dass Ethik und Ökonomie in der Medizin oft schwer vereinbar sind, ist ein Sachverhalt, der sicherlich immer schon den ärztlichen Versorgungsalltag begleitete. Allerdings hat sich die Ausgangssituation in den Krankenhäusern mit der Umstellung auf eine Vergütung über Fallpauschalen (DRG) vor 20 Jahren deutlich verändert. Medizinethiker Professor Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, skizzierte in seiner Vorlesung die vielfach beklagten Auswirkungen dieses politisch gewollten neuen Vergütungssystems. Der zunehmende Kostendruck an den Krankenhäusern habe zu unangemessenen Einschränkungen wie auch Ausweitungen medizinischer Leistungen infolge von Fehlanreizen, ethischen Entscheidungskonflikten und höheren Belastungen des Krankenhauspersonals geführt. Dieser Kostendruck mit den genannten negativen Auswirkungen sei aber eben nicht als Folge frei wirkender ökonomischer Kräfte zu verstehen, sondern das Ergebnis politischer Vorgaben, die sich am Grundsatz der Beitragssatzstabilität orientiert hätten, betonte Marckmann. Man könne also im Grunde gar nicht von der Dominanz ökonomischer Rationalität im medizinischen Versorgungsgeschehen am Krankenhaus sprechen, vielmehr sei das ökonomische Prinzip des Kosten-Preis-Zusammenhangs hier von der Politik außer Kraft gesetzt worden. Die freie Preisbildung bei Produktionsfaktoren, wie beispielsweise Löhnen, Arzneimitteln oder Energiekosten, treffe auf durch Fallpauschalen im DRG-System regulierte Abgabepreise.  

Dass die Orientierung der ärztlichen Tätigkeit an ökonomischen Parametern zunächst einmal nicht im Widerspruch steht zu einer ethisch begründeten Medizin, dies hatte auch die Bundesärztekammer vor Kurzem mit ihren „Thesen zur Ökonomisierung der ärztlichen Berufstätigkeit“ deutlich zum Ausdruck gebracht. Ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen des Gesundheitswesens sei rechtlich und ethisch geboten, steht in dem unter Beteiligung von Medizinethikern verfassten Thesenpapier, und weiter: „Wirtschaftliches Handeln im Sinne eines sparsamen Umgangs mit zur Verfügung stehenden Ressourcen ist damit elementarer Bestandteil eines solidarisch ausgerichteten, nachhaltig funktionierenden Gesundheitssystems und bestimmt die Form der Patientenversorgung mit.“ Sobald aber die ökonomischen Bewertungskriterien, etwa durch Implementierung eines Fallpauschalensystems, eine Übergewichtung erhielten, entwickelten sich rein ökonomische Ziele sukzessive zu den neuen Zielen der Medizin. Damit einher gehe die Gefahr einer ökonomischen Überformung der Medizin, das eigentliche Ziel der Medizin gerate aus dem Blick; das Versorgungsminimum in betriebswirtschaftlich optimierten Strukturen werde zunehmend zur Normalität und trete nach und nach an die Stelle einer humanen, ethisch verantwortbaren Krankenversorgung, heißt es in den 2022 vorgelegten Thesen der Bundesärztekammer.

Für Georg Marckmann, von 2012 bis 2022 Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin und seit 2013 Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, resultiert aus dem ökonomischen Druck auf das Krankenhaus oft eine Abwärtsspirale: eine höhere Arbeitsbelastung für das Personal reduziere Arbeitszufriedenheit und Motivation, in Verbindung mit mehr Stress führe dies zu Burnout und höherem Krankenstand; dies wirke sich auf die Qualität der Versorgung aus, was geringere Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit nach sich ziehe und wiederum den ökonomischen Druck verstärke. Forschungsergebnisse belegten die Auswirkungen betriebswirtschaftlicher Optimierungen in den Krankenhäusern. So sei bei einer Befragung von Pflegedienstleitern, Geschäftsführern und Chefärzten deren Wahrnehmung einer eingeschränkten Patientenversorgung deutlich geworden, insbesondere in den Bereichen der Pflege und der Zuwendung, also dort, wo aufgrund nichtmessbarer Parameter eine schleichende Qualitätsreduktion oder Rationierung oft erst verzögert registriert werde. In der gleichen Befragung hätten rund 40 Prozent der Chefärzte angegeben, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ihrem Fachgebiet auch zu überhöhten Eingriffszahlen geführt hatten. Eine Befragung von Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin habe ergeben, dass im Zuständigkeitsbereich der Befragten häufig überflüssige Leistungen erbracht wurden. Dies seien nicht nur unnötige Ausgaben, merkte Marckmann an, sondern durch Überversorgung könne Patientinnen und Patienten auch Schaden zugefügt werden.  
 

Ethik als zentrale Führungsaufgabe

Marckmann wies auch auf die zunehmende Belastung des Pflegepersonals nach Einführung der Fallpauschalen und den damit einhergehenden betriebswirtschaftlichen Optimierungsstrategien hin. Mehr als verdoppelt habe sich in den Jahren von 1999 bis 2011 die Zahl der Pflegekräfte, die mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden gewesen seien. Ergebnisse derselben Studie hätten aber auch gezeigt, dass es hierzu aus den deutschen Krankenhäusern sehr unterschiedliche Rückmeldungen gab. Für Marckmann bedeutet dies, dass es einigen Kliniken besser gelingt, den ökonomischen Druck zu kompensieren, indem sie verfügbare Handlungsspielräume zur Verbesserung der Arbeitsumgebung nutzten. Studien belegten zudem die Wirkung eines verbesserten Arbeitsumfelds in der Pflege auf das Patienten-Outcome; als Indikatoren herangezogen wurden dazu Arbeitsklima, Mitsprache bei Klinikangelegenheiten, Unterstützung durch Management, kontinuierliche Patientendokumentation und Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden. Die Senkung der Arbeitsbelastung sei in Krankenhäusern mit einem sehr guten Arbeitsumfeld mit einer deutlichen Reduktion der Mortalität verbunden gewesen, wogegen diese in Krankenhäusern mit schlechter Arbeitsumgebung unverändert geblieben sei. 
Für Marckmann setzt die Umsetzung einer ethisch fundierten Medizin im Krankenhaus zunächst einmal voraus, dass man sich von der Überzeugung verabschiedet, Ethik müsse gegenüber der Ökonomie gestärkt werden. Ethik dürfe nicht als Gegenpol zur Ökonomie verstanden werden, sondern die Berücksichtigung ethischer Vorgaben müsse integraler Bestandteil des Krankenhaus-Managements werden. Das Krankenhaus müsse als ein Ort verstanden werden, unter dessen Dach nebeneinander das produktive technisch-finanzielle System (Outcome-Daten, Bettenbelegung, Durchlaufzeiten, Case-Mix-Index, Umsatzrendite etc.) und das produktive soziale System (Wertehaltungen, gute Medizin, Patienten- oder Mitarbeiterorientierung) bestehen. Letzteres bezeichnet Marckmann als innere Qualität. Von diesen normativen Vorgaben sei in Leitbildern an Krankenhäusern oft die Rede, doch fehle es weitgehend an deren systematischer Erfassung und Steuerung. Eine solche operationalisierte Ethik zur Sicherung der inneren Qualität sei im Krankenhaus eine zentrale Führungsaufgabe. Die gute innere Qualität sorge – so Marckmanns Hypothese – für motivierteres Personal, patientenorientiertere Versorgung und stärke die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Krankenhauses. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen stellten ein zentrales Instrument zur Sicherung der „inneren Qualität“ des Krankenhauses dar. Vieles spreche dafür, dass sich mehr Ethik im Krankenhaus durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch auszahlen wird. 


Vorlesungsreihe würdigt Anliegen von Jörg-Dietrich Hoppe

Zu der erstmals seit 2019 wieder in Präsenz durchgeführten Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung begrüßte Ärztekammer-Präsident Rudolf Henke am 20. November die zahlreich erschienenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haus der Ärzteschaft. Henke verwies darauf, dass im Wirken seines Amtsvorgängers und langjährigen Präsidenten der Bundesärztekammer die Auseinandersetzung mit den ethischen Implikationen im Spannungsfeld von Ökonomie und Medizin stets eine besondere Rolle gespielt habe. Auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm 2008 habe Hoppe zu einer gesellschaftlichen Diskussion angesichts der verdeckten Rationierung aufgerufen. Dabei sei es ihm um eine offene und ehrliche Diskussion angesichts der verdeckten Rationierung und um eine im gesellschaftlichen Diskurs entwickelte „menschliche“ Priorisierung gegangen. Mit der Vorlesungsreihe wolle man Professor Dr. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe, der am 7. November 2011 starb, in seinen inhaltlichen Anliegen würdigen und in Erinnerung halten.