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Gefährliche Vorbilder auf Social Media

21.07.2025 Seite 24
RAE Ausgabe 8/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2025

Seite 24

In den sozialen Medien sind Jugendliche zunehmend mit unrealistischen Schönheitsidealen konfrontiert. Insbesondere bei Frauen mit Essstörungen steigern Fitspiration-Beiträge, die schlanke und gleichzeitig trainierte Körper zeigen, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. © PeopleImages/istockphoto.com
In sozialen Netzwerken werden Jugendliche zunehmend mit unrealistischen Schönheitsidealen konfrontiert. Die allgegenwärtige Darstellung vermeintlich perfekter Körper fördert die Unzufriedenheit mit dem eigenen Erscheinungsbild – mit teils gravierenden Folgen für die psychische Gesundheit. In der Politik mehren sich Forderungen nach Regulierung.

von Marc Strohm 

Wer noch vor wenigen Monaten auf der Plattform TikTok nach dem Hashtag #SkinnyTok suchte, stieß auf eine Community, die das Hungern als Lifestyle glorifizierte. Influencerinnen, die oftmals bis auf ein gesundheitlich bedenkliches Maß abgemagert waren, teilten dort kalorienarme Rezeptideen, gaben Tipps, wie sich durch gezielte Übungen schneller Gewicht reduzieren lässt oder betonten, wie „schön das Leben mit 45 Kilo“ sei. Nach deutlicher Kritik – unter anderem durch die französische Regierung – reagierte TikTok: Die Plattform zensierte das Hashtag. Suchende werden nun auf Unterstützungsangebote für Menschen mit Essstörungen weitergeleitet.
Wie sich die in sozialen Medien vermittelten Körperbilder auf die psychische Gesundheit junger Menschen auswirken, war auch Thema des Kammerkolloquiums Kindergesundheit der Ärztekammer Nordrhein, das am 28. Juni im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf stattfand. „Die durch soziale Netzwerke verbreiteten Schönheitsideale können eine erhebliche psychische Belastung darstellen – insbesondere bei uneingeschränkter und nicht altersgerechter Nutzung“, erklärte deren Präsident Dr. Sven Dreyer vor rund 350 Teilnehmenden. Um präventiv gegenzusteuern, plädierte Dreyer für eine verbindliche Verankerung von Medienkompetenzförderung in den Lehrplänen allgemein- und berufsbildender Schulen. Zudem verwies er auf einen aktuellen Beschluss des diesjährigen 129. Deutschen Ärztetages, der Bund und Länder auffordert, Maßnahmen für eine eingeschränkte Nutzung sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche zu erarbeiten. Auch der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Dr. Hendrik Streeck, kündigte bei seinem Amtsantritt Anfang Juni an, besonderes Augenmerk auf den Schutz von Minderjährigen zu legen. Das, so Streeck, schließe den Umgang mit digitalen Medien ein. 

Der Einfluss sozialer Medien auf den Wunsch nach körperlicher Veränderung hat nach einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) in den letzten Jahren signifikant zugenommen: Während im Jahr 2020 noch 2,3 Prozent der Befragten angaben, dass soziale Netzwerke diesen Wunsch verstärken, waren es 2022 bereits 10,6 Prozent. Erstmals gaben auch männliche Befragte (0,7 Prozent) an, sich durch Social Media beeinflusst zu fühlen. 
Mit Instagram-Vorlage in die Sprechstunde

„Jugendliche und junge Erwachsene sind in sozialen Medien massiv realitätsfremden Schönheitsidealen ausgesetzt“, erklärt Dr. Helge Jens, Präsident der DGÄPC, gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. Besonders prägend seien Inhalte von Influencerinnen und Influencern, die den Eindruck vermittelten, kosmetisch-ästhetische Eingriffe seien normal oder gar alltäglich. Gezeigt würden sogenannte Russian Lips, Po-Vergrößerungen wie das Brazilian Butt Lift, überdimensionierte Brüste oder chirurgisch modellierte Bauchmuskeln. 

Zusätzlich ermöglichten Filter, KI­gestützte Bearbeitungssoftware und Apps, mit wenigen Klicks die vermeintlich „beste Version“ des eigenen Körpers zu erzeugen, so Jens. Die Wirkung bleibe nicht aus: Immer häufiger suchten junge Patientinnen und Patienten ästhetisch-plastische Chirurgen mit konkreten Eingriffswünschen auf – von Lippenvergrößerungen bis hin zu makelloser „Glass Skin“. Oft legten sie stark bearbeitete Bilder oder Instagram-Profile als Wunschvorlage in der Sprechstunde vor.

„Für Ärztinnen und Ärzte stellt das eine moralische Herausforderung dar“, erklärt Jens. Zum einen gelte es, die Wünsche und subjektiv empfundenen Makel der Patientinnen und Patienten ernst zu nehmen. Zum anderen seien die Ärzte in der Pflicht, allzu unrealistisch erscheinende Behandlungswünsche abzulehnen und stattdessen beratend auf die Patienten einzugehen – zumal, wenn eine Dysmorphophobie vermutet werde. 

Unzufriedenheit durch Fitspiration-Inhalte

Damit Nutzer reflektierter mit sozialen Netzwerken umgehen können, fordert die DGÄPC eine Kennzeichnungspflicht für digital bearbeitete Bilder, die für jeden Nutzer gelten solle. So falle es Nutzern leichter, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten und ein realistischeres Körperbild zu entwickeln. 
Besonders gefährdet, unrealistischen Schönheitsidealen in den sozialen Medien nachzueifern, seien Jugendliche in der Pubertät. Bei jungen Frauen mit Essstörung verstärke der Konsum klassischer „Fitspiration“-Inhalte, also von Bildern schlanker und gleichzeitig muskulöser Körper, nachweislich die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, sagt Professor Dr. rer. nat. Silja Vocks, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Osnabrück, im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Im Rahmen der Intervention bei einer Essstörung sei es daher wichtig, mit den Patienten auch die Inhalte von sozialen Medien kritisch zu diskutieren und unter anderem über Bildbearbeitungen zu sprechen, um Vergleichsprozesse zu reduzieren. 
Während bei jungen Frauen das Ideal der Schlankheit dominiere, orientierten sich Jungen zunehmend an muskulösen, gut durchtrainierten Vorbildern. Einzelne griffen zur Erreichung des Körperideals sogar zu leistungssteigernden Substanzen wie Anabolika. Die Studienlage, wie Jungen Körperbilder in den sozialen Medien rezipierten, sei derzeit allerdings noch dünn, räumt Vocks ein. Eye-Tracking-Analysen deuteten jedoch darauf hin, dass sich Jungen beim Betrachten eigener Fotos seltener auf ihre „Problemzonen“ konzentrierten als Mädchen. 

Mit Schönheitsidealen brechen 

Doch nicht alle Trends in sozialen Medien fördern ein verzerrtes Körperbild. Seit einiger Zeit etablieren sich zunehmend Bewegungen wie Body Positivity und Body Neutrality, die alternative Schönheitsideale propagieren. Die Body Positivity-Bewegung stellt beispielsweise Selbstakzeptanz in den Vordergrund – gepostete Bilder zeigen Speckrollen, Dehnungsstreifen und Cellulite als Ausdruck von Körpervielfalt. Die Body Neutrality-Bewegung hingegen rückt die Funktionalität des Körpers in den Fokus. Aussagen wie „Ich bin mehr als mein Körper“ oder „Mein Körper verdient Respekt“ sollen die Fixierung auf das äußere Erscheinungsbild aufbrechen. „Das Betrachten solcher Beiträge führt in Studien zu keiner erhöhten Körperunzufriedenheit“, erklärt Vocks. Sollten Eltern den Verdacht hegen, dass ihre Kinder eine Essstörung entwickeln, empfiehlt sie, das Thema offen und einfühlsam anzusprechen.