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Marie-Kristin Bruchmann, niedergelassene Kinderärztin

„Vielen jungen Eltern fehlt es an Unterstützung“

17.06.2025 Seite 47
RAE Ausgabe 7/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2025

Seite 47

Marie-Kristin Bruchmann studierte Medizin an der RWTH Aachen. Nach ihrer pädiatrischen Weiterbildung im Elisabeth-Krankenhaus in Mönchengladbach-Rheydt ließ sich die 35-Jährige vor 1,5 Jahren in der Berufsausübungsgemeinschaft „klein + GROSS“ in Mönchengladbach nieder. © privat

Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.

RÄ: Frau Bruchmann, was begeistert Sie an der Arbeit als niedergelassene Kinderärztin?
Bruchmann: Als niedergelassene Kinderärztin betreue ich meine Patientinnen und Patienten vom Säuglings- bis ins Teenageralter. Dieses über lange Jahre andauernde Verhältnis empfinde ich als besonders. Das schafft ein anderes Vertrauensverhältnis als im Krankenhaus, in dem ich die Patienten während meiner Assistenzarztzeit meist nur für einige Tage betreut habe, bis sie wieder entlassen wurden. Außerdem erlebe ich den Praxisalltag mit Kindern als sehr fröhlich und unbeschwert: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich Kinder ausgelassen im Wartezimmer spielen sehe.

RÄ: Mit welchen Beschwerden kommen ihre kleinen Patienten zu Ihnen? 
Bruchmann: Im Grunde sind wir als „Hausärzte für die Kleinen“ erste Anlaufstelle für alle Gesundheitsbeschwerden. Insbesondere in den Wintermonaten dominiert die Akutmedizin: Es kommen viele Kinder mit Atemwegserkrankungen, Fieber und grippalen Infekten zu uns. Daneben versorgen wir Wunden, akute Schmerzen, allergische Reaktionen und Entzündungen. Unser zweites großes Betätigungsfeld ist die präventive Medizin: Hierzu gehören die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen, Betreuung chronisch kranker Kinder und Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten sowie Hyposensibilisierungen bei Allergien.

RÄ: Was fanden Sie zum Berufsbeginn besonders herausfordernd?
Bruchmann: Direkt nach dem Studium am Anfang der Weiterbildung im Krankenhaus war die Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern eine echte Herausforderung. Sie können noch nicht artikulieren, wie es ihnen geht. Hier musste ich erst einmal ein Gespür für die Körpersprache der kleinen Patienten entwickeln und lernen, die Signale richtig zu deuten. Nachdem ich mich dann für die Niederlassung entschieden hatte, war wieder Vieles neu: Als ­Krankenhausärztin hatte ich zum Beispiel keine Berührungspunkte zur Abrechnung mit den Krankenkassen. Außerdem habe ich keine U-Untersuchungen bei größeren Kindern durchgeführt. Ich musste ein Gefühl dafür bekommen, welche Probleme ich in der Praxis lösen kann und wann ich ein krankes Kind an meine fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen oder in eine Klinik mit maximaler Versorgung überweisen muss. Auch wenn es eine herausfordernde und aufregende Zeit war, habe ich den Schritt in die Niederlassung zu keinem Zeitpunkt bereut.

RÄ: Wie erleben Sie die Arbeit mit den Eltern?
Bruchmann: Die Zusammenarbeit mit den Eltern verläuft fast immer sehr harmonisch. Ich merke allerdings, dass viele junge Eltern heute deutlich besorgter sind als noch vor einigen Jahren. Viele suchen beispielsweise vor dem Praxisbesuch im Internet nach den Symptomen ihrer Kleinen und werden dadurch häufig massiv verun­sichert. Ich habe den Eindruck, dass es vielen jungen Eltern an Unterstützung fehlt, etwa durch die eigenen Eltern, die ihnen im Krankheitsfall mit ihrem Wissen zur Seite stehen. Auch der Umgang mit Impfskeptikern gehört zu meinem Praxisalltag. Die notwendige Aufklärungsarbeit im Bezug auf die von der STIKO empfoh­lenen Impfungen ist zunehmend herausfordernd und zeitintensiv. Die Aufklärung wird insbesondere erschwert durch im ­Internet kursierende Falschinformationen. In solchen Gesprächen merke ich, dass wir als Kinderärzte noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die überwältigende Mehrheit der Eltern ist sehr dankbar, dass wir ihnen und ihren Kindern weiterhelfen. Ich habe mir fest vorgenommen, für ihre Anliegen und Sorgen stets ein offenes Ohr zu haben.
 
RÄ: Gibt es etwas, dass Ihnen nicht so gut gefällt? 
Bruchmann: Aktuell bereitet mir die Überlastung der Kinderarztpraxen Kopfzerbrechen. Immer mehr niedergelassene Kolleginnen und Kollegen gehen in den Ruhestand und als nachrückende Ärztegeneration müssen wir den steigenden Patientenandrang bewältigen. Insbesondere in den Wintermonaten gehören volle Wartezimmer ja jetzt schon zum Alltag. Die Alternative wäre, Patienten abzulehnen, doch das bedeutet, dass die Kinder dann nicht adäquat medizinisch versorgt werden. Dazu kommt, dass viele jüngere Kollegen die Anstellung bevorzugen, weil sie das Risiko der Niederlassung scheuen. Meiner Meinung nach muss die Niederlassung noch attraktiver gestaltet werden, um möglichst viele junge Ärzte zu motivieren, diesen Schritt zu gehen.

 

Das Interview führte Marc Strohm