Vorlesen
Forum

§ 218: Ärzteschaft ringt um gemeinsame Position

16.04.2025 25
RAE Ausgabe 5/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2025

Seite 25

„Die Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch sind breiter geworden und die Debatten darüber friedlicher.“ Professor Dr. Christiane Woopen, Hertz-Professorin für Life Ethics, Universität Bonn © Reiner Zensen
Der 129. Deutsche Ärztetag wird Ende Mai in Leipzig über das Für und Wider einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts diskutieren. Konkret geht es um politische Bestrebungen, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts zu regeln und Frauen das Recht einzuräumen, innerhalb der ersten zwölf Wochen eine Schwangerschaft zu beenden. 

von Heike Korzilius 

Es war ein Projekt der Ampelkoalition. Sie hatte im März 2023 eine Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin eingerichtet, die unter anderem Möglichkeiten prüfen sollte, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Ein Jahr später legten die 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychologie, Ethik und Recht ihre Ergebnisse vor und empfahlen, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche zu erlauben. Bei Abbrüchen in der mittleren Phase der Schwangerschaft solle der Gesetzgeber entscheiden, bis zu welchem Zeitpunkt ein Schwangerschaftsabbruch noch rechtmäßig sei. Ab dem Zeitpunkt der extrauterinen Lebensfähigkeit des Fetus solle ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich untersagt sein. Allerdings müssen den Experten zufolge in beiden Fällen Ausnahmen von einem Verbot möglich sein und zwar, wenn das Leben oder die körperliche und seelische Gesundheit der Schwangeren in Gefahr sind (medizinische Indikation) oder wenn die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung ist (kriminologische Indikation). Je fortgeschrittener das Gestationsalter sei, desto gewichtiger seien die Belange des Ungeborenen, argumentierte die Regierungskommission.
Aus den Arbeitsergebnissen folgte zunächst einmal: nichts. Erst im Dezember 2024 brachte eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf ein, der die Grundzüge der Empfehlungen der Regierungskommission beinhaltete. Die weitere Beratung scheiterte am vorzeitigen Ende der Ampelkoalition. Grundsätzlich war bei Union und FDP die Bereitschaft wenig ausgeprägt, den vor 30 Jahren mühsam gefundenen Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch aufzukündigen (siehe Kasten). Zu groß war die Furcht vor einer gesellschaftlichen Polarisierung.

Besondere ethische Tragweite

Wie weit die Meinungen zum Thema Abtreibung auch innerhalb der Ärzteschaft auseinandergehen, zeigte sich bereits beim 128. Deutschen Ärztetag im vergangenen Jahr in Mainz. Dem Plenum lagen damals fünf Anträge zum Schwangerschaftsabbruch vor, die von der Forderung einer Liberalisierung von Abtreibungen im ersten Trimenon bis hin zum „vehementen“ Widerstand gegen eine Änderung des geltenden § 218 reichten. Am Ende einigten sich die Abgeordneten darauf, dem Thema wegen seiner ethischen Tragweite einen eigenen Tagesordnungspunkt beim diesjährigen Deutschen Ärztetag in Leipzig einzuräumen. Zur Vorbereitung darauf rich­tete die Ärztekammer Nordrhein einen interfraktionell besetzten Lenkungskreis § 218 ein. „Wir sollten als Ärzteschaft Position beziehen“, erklärte dessen Vorsitzende Dr. Lydia Berendes, die zugleich dem Vorstand der Kammer angehört. Aus dem Lenkungskreis heraus solle deshalb eine Resolution erarbeitet werden, hinter der sich – so die Hoffnung der Mitglieder – in Leipzig die Mehrheit des Ärzteparlaments versammeln kann. 
Berendes beschreibt das Papier als "work in progress". Es gelte in dem Prozess, sowohl das verfassungsrechtlich verbriefte Grundrecht der Frauen auf Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung als auch das Lebensrecht des Ungeborenen zu beachten. Dabei betonte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, die Freiheit der ärztlichen Entscheidung, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Ärztinnen und Ärzte seien hier einzig ihrem Gewissen verpflichtet. Das bedeute aber auch, dass Ärzte, die Abbrüche durchführten, vor Drangsalierungen und Bedrohungen geschützt würden.
 
Im gesellschaftlichen „Echoraum“

Um die Mitglieder der Kammerversammlung im Rheinland und deren Delegierte zum Deutschen Ärztetag in Leipzig umfassend zu informieren, hatte der Lenkungskreis am 3. April die Medizinethikerin Professor Dr. Christiane Woopen von der Universität Bonn zu einem Gastvortrag eingeladen. Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates war Mitglied der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, die, wie sie betonte, hart um ihre Empfehlungen gerungen habe. Es gehe ihr deshalb in erster Linie nicht darum zu überzeugen, sondern die ethischen Probleme zu „kartieren“: Ab welchem Zeitpunkt seiner Entwicklung verfügt ein Embryo über Menschenwürde? Welchen Stellenwert hat das Selbstbestimmungsrecht der Frau? Welche Rolle kommt Ärztinnen und Ärzten zu? Wie positioniert sich die Gesellschaft zu dem Thema? Nach Ansicht von Woopen hat sich der gesellschaftliche „Echoraum“ geändert. „Die Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch sind breiter geworden und die Debatten darüber friedlicher“, erklärte die Medizinethikerin. Sie habe es deshalb nicht verstanden, dass der Gesetzgeber die Empfehlungen der Regierungskommission nicht aufgegriffen habe. „Ich würde dem Streit eher gelassen entgegen gehen“, so Woopen. 
 

Ab wann gilt die Menschenwürde?

Allein zum Status des Embryos gebe es ein „Riesenspektrum an Auffassungen“, erklärte die Medizinethikerin. Am einen Ende der Skala schreibe man bereits der diploiden Zelle nach der Verschmelzung von weiblicher Ei- und männlicher Samenzelle die Menschenwürde zu, wohingegen am anderen Ende der Skala erst die Geburt den Würdeschutz auslöse. „Man kann nicht zwingend begründen, warum eine Zygote über Würde verfügt“, sagte Woopen. Das gehe aus vom jeweils eigenen Menschenbild. „Man muss das aber nicht teilen. Unterschiedliche Menschenbilder sind möglich“, betonte sie. Das Bundesverfassungsgericht sei 1993 davon ausgegangen, dass der Embryo ab dem Zeitpunkt der Nidation über eine eigene Würde verfüge. Das Gericht verfügte damals, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin bestehen bleiben müsse. Dieses Festhalten an einer strafrechtlichen Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs sei inzwischen aber auch unter Verfassungsrechtlern umstritten, erklärte Woopen.
 
Gegen das Recht des Ungeborenen auf Leben gelte es, das Selbstbestimmungsrecht der Frau abzuwägen, das Woopen zufolge insbesondere im internationalen Recht deutlich an Gewicht gewonnen hat. Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation und des Kommissars für Menschenrechte des Europarats sei es menschenrechtlich geboten, den Schwangerschaftsabbruch vollständig zu entkriminalisieren sowie einen effektiven und legalen Zugang zu einem solchen Eingriff vorzusehen. Mit der Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht spreche der Staat hierzulande ein Werturteil über die Entscheidung der ungewollt Schwangeren aus, das er aber in letzter Konsequenz nicht durchsetzen könne, weil der Embryo im frühen Stadium der Schwangerschaft außerhalb des Mutterleibs nicht überlebensfähig sei, sagte Woopen.
 
Kontroverse um Beratungspflicht

Über die Frage, ob das Recht auf Abtreibung weiterhin mit einer Beratungspflicht verbunden werden sollte, habe es in der Regierungskommission große Kontroversen gegeben. Gegner einer Pflicht hätten argumentiert, dass sinnvolle Beratung nur dann stattfinden könne, wenn die Frauen das Angebot freiwillig annehmen. Die Befürworter hielten dem entgegen, dass man mit einer Beratungspflicht auch diejenigen Frauen erreiche, die sich in schwierigen Lebenssituationen oder Gewaltkontexten befänden. Solchen Frauen ermögliche die Pflichtberatung oft erstmals Kontakt zum Hilfesystem. Die Regierungskommission habe sich schließlich in dieser Frage nicht eindeutig positioniert und dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum zugebilligt – allerdings mit der Maßgabe, ein flächendeckendes, niedrigschwelliges, barrierearmes und vielsprachiges Beratungsangebot vorzuhalten.
 
Mit Blick auf die Rolle der Ärztinnen und Ärzte beim Schwangerschaftsabbruch betonte Woopen wie zuvor schon Kammerpräsident Dreyer deren Gewissensfreiheit. „Diese muss erhalten bleiben, es sei denn, das akute Überleben der Frau hängt davon ab“, sagte Woopen. Ihrer Ansicht nach könnte die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit dazu beitragen, die Versorgungssicherheit zu verbessern. Es schaffe mehr Rechtssicherheit für die Ärzte und entkräfte das von der derzeitigen Regelung ausgehende Signal: „Das, was du da tust, ist moralisch und rechtlich falsch.“

Die Bemühungen um eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sind für Woopen jedoch nur ein Teil der Lösung. Um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden, muss nach Ansicht der Medizinethikerin mehr zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften getan werden. Dazu gehöre eine bessere Aufklärung ebenso wie der kostenfreie Zugang zu Verhütungsmitteln. „Das könnte die Situation deutlich entschärfen“, so Woopen.  
 

Das regelt das Gesetz

Zurzeit regelt § 218 StGB, dass eine Abtreibung zwar rechtswidrig ist, aber straffrei bleibt, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen und nach einem verpflichtenden Gespräch in einer anerkannten Beratungsstelle stattfindet. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, das eine reine Fristenlösung verworfen und entschieden hatte, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs bestehen bleiben müsse, da das Grundgesetz den Staat verpflichte, menschliches Leben zu schützen. Dazu zähle auch das Leben des Ungeborenen. Das Gericht hatte aber eingeräumt, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben kann.