Der Patient mit Glioblastom, der im Hospiz nach palliativer Sedierung verlangt; der ALS-Patient mit außerklinischer Beatmung, der sterben will – es gibt viele Beispiele, wo die ambulante Ethikberatung helfen und zur Entscheidungsfindung beitragen kann. Doch am Anfang steht die Organisation.
von Thomas Gerst
Noch gibt es in Nordrhein kein flächendeckendes System der ambulanten Ethikberatung in der medizinischen Versorgung. Während die Einrichtung von Ethikkomitees zumindest an großen Krankenhäusern mittlerweile eher die Regel ist, besteht in einigen Regionen Nordrheins weiterhin Bedarf an entsprechenden ambulanten Angeboten. Vorbilder, wie die Einrichtung einer ambulanten Ethikberatung funktionieren kann, gibt es bereits in den Städteregionen Bonn, Aachen und Solingen. Denn offenkundig kommt es auch im ambulanten Setting außerhalb der klinischen Versorgung, das heißt in der eigenen Häuslichkeit, in der Pflegeeinrichtung oder im Hospiz, zu Problemkonstellationen, zu deren Auflösung eine mobile Ethikberatung beitragen kann. Es treten komplexe ethische Fragestellungen auf, etwa in Bezug auf Patientenautonomie, informierte Einwilligung in die Fortführung einer Behandlung oder deren Abbruch oder den Wunsch nach assistiertem Suizid. Bei Konflikten zwischen Patienten, Angehörigen und Pflegenden kann die Ethikberatung vermittelnd zu einer gemeinsamen Lösung beitragen.
Weiteren Initiativen von Ärztinnen und Ärzten im Bereich der ambulanten Ethikberatung einen Anstoß zu geben, war ein Ziel der von der Ärztekammer Nordrhein organisierten Online-Veranstaltung „Ambulante Ethikberatung: Hilfe in Grenzsituationen“ am 9. April, und tatsächlich gaben rund 30 Prozent der Teilnehmenden in einer Blitzumfrage an, selbst mit dem Gedanken zu spielen, ein ambulantes Ethikkomitee ins Leben zu rufen. Die rund 540 Anmeldungen zu der Veranstaltung zeigten deutlich das Interesse der Ärzteschaft an dem Thema, betonte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, in seinem Grußwort. Allerdings spiele bei der dauerhaften Etablierung eines solchen Angebots der organisatorische Rahmen eine nicht unwesentliche Rolle.
Dies zeigt auch das Beispiel der Mobilen Ethikberatung (MEBA) in der Region Aachen, das von einem der Initiatoren, Professor Dr. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß, vorgestellt wurde. Für den Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Uniklinik der RWTH Aachen war die Tätigkeit des Klinischen Ethikkomitees der Ausgangspunkt für die Überlegungen, eine entsprechende Beratung auch in der ambulanten medizinischen Versorgung anzubieten. Allerdings sei das Klinische Ethikkomitee (KEK) satzungsgemäß auf Fälle am Krankenhaus selbst beschränkt, und die KEK-Mitglieder müssten am Krankenhaus beschäftigt sein. Man habe sich also organisatorisch neu aufstellen müssen. Dies sei aber dadurch erleichtert worden, dass das Projekt der mobilen Ethikberatung an die bestehenden Strukturen des Palliativen Netzwerks für die Region Aachen habe andocken können.
Unverzichtbare Koordinierungsstelle
Von der ersten Idee einer mobilen Ethikberatung (MEBA) im Jahr 2018 bis zur Einrichtung einer eigenen Koordinierungsstelle dauerte es allerdings fast vier Jahre, berichtete Groß. Ein Schwerpunkt habe zunächst auf der qualifizierenden Fortbildung ehrenamtlicher Beraterinnen und Berater gelegen. Diese sei eine Voraussetzung, um als Ethikberater tätig werden zu können. Für das Gelingen einer verstetigten mobilen Ethikberatung hält Groß die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für unverzichtbar. Für deren Finanzierung konnte eine Projektförderung nach § 45c SGB 11 in Anspruch genommen werden; damit können Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Helfende und notwendige Koordinationskosten beglichen werden. Zu den Aufgaben der Koordinierungsstelle zählt Groß die Organisation der Fort- und Weiterbildung für die Beratenden, die Supervision in Qualitätszirkeln und nicht zuletzt auch die Öffentlichkeitsarbeit. Für das Gelingen des Projekts erscheint ihm die Etablierung eines Beirats unter Einbeziehung regionaler Entscheidungsträger von Bedeutung, wie dies in Aachen im Juni 2022 realisiert wurde. „Es ist wichtig, diese regionalen Player in die Arbeit des MEBA einzubinden“, betonte Groß. Nach der Entwicklung eines Prozesspfades für die mobile Ethikberatung im weiteren Verlauf des Jahres 2022 konnte schließlich mit Beginn des Jahres 2023 die Pilotphase der mobilen Ethikberatung in der Region Aachen an den Start gehen.
Relevante Gruppen einbinden
Das jüngste Beispiel einer mobilen Ethikberatung findet sich in Solingen. Hier wurde vor kurzem die Gründung der Mobilen Ethikberatung Solingen und Region vollzogen. Wie deren Initiatorin Friederike Meißner, Theologische Referentin der Diakonie Bethanien in Solingen, berichtete, kam der Anstoß von der Ärztekammer Nordrhein und hier insbesondere von deren Geschäftsführender Ärztin, Professorin Dr. Susanne Schwalen, die auch als Moderatorin durch die Kammerveranstaltung führte. „Wir als Diakonie waren eine gute Ansprechpartnerin, weil wir schon langjährige Erfahrung mit Ethikberatung auch über den klinischen Kontext hinaus hatten“, erklärte Meißner. Man habe also in Solingen an bestehende Strukturen in ambulanten Einrichtungen der Diakonie anknüpfen können, und es gelang nach einem rund zweijährigen Vorlauf, die mobile Ethikberatung als feste Einrichtung an den Start zu bringen. Der Vorlauf sei insbesondere nötig gewesen, um sich mit einem Kernteam vorbereitend um eine Vielzahl organisatorischer Fragen, wie Geschäftsordnung, Erreichbarkeit, Website und anderes mehr zu kümmern. Die Entscheidung, die Mobile Ethikberatung Solingen und Region nicht in alleiniger Trägerschaft der Diakonie zu betreiben, sei vor allem darin begründet gewesen, dass man keine Hürden für andere Leistungsanbieter insbesondere in der Pflege bei der Inanspruchnahme ethischer Beratung habe aufbauen wollen. Sehr viel Kommunikation in alle Richtungen sei in diesen zwei Jahren erforderlich gewesen, um alle relevanten Gruppen vor Ort in das Projekt einzubinden. Es sei ihr von vornherein darum gegangen, eine multiprofessionell und ökumenisch fundierte Beratungsstelle zu schaffen, betonte Meißner. Der Anspruch, ein kostenloses Angebot zur Ethikberatung machen zu können, bestehe weiter, sei aber nur aufrechtzuerhalten über ehrenamtliche Arbeit oder Freistellungen durch Arbeitgeber.