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Wissenschaft und Fortbildung

Fehlerhafte arthroskopische Operation bei Patellaluxation

16.04.2025 Seite 29
RAE Ausgabe 5/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2025

Seite 29

Bei arthroskopischen Eingriffen an der Patella gibt es – neben typischen Komplikationen – eine Reihe von Fehlermöglichkeiten. Besondere Anforderungen stellen sich nicht nur bei der korrekten Identifikation der Pathologie und damit der Indikationsstellung, der präoperativen Aufklärung und Nachbehandlung, sondern auch bei der angewandten Operationstechnik, bei der insbesondere die Anwenderhinweise des Herstellers zur korrekten anatomischen Platzierung von intraoperativ einzubringenden alloplastischen Fixierungs- und Verankerungsmaterialien berücksichtigt werden müssen.

von Daniel Frank, Paul-Heinz Gröne und Tina Wiesener 

Die Luxation der Kniescheibe (Patella) ist eine der häufigsten Kniegelenksverletzungen. Die Inzidenz beträgt 5,8 Fälle/100.000/Jahr. Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) spielt bei dieser Verletzung eine zentrale Rolle: Dieses Band verläuft dreiecksförmig vom oberen Drittel der Patella zur innenseitigen Oberschenkelrolle des Oberschenkelknochens (Femur). Es stabilisiert die Kniescheibe insbesondere zu Beginn der Beugung in strecknaher Position (0–30 Grad Beugung) und verhindert, dass ­diese nach außen verrutscht, wohingegen es im weiteren Verlauf der Beugung zu zunehmender knöcherner Führung kommt. Bei einer Patellaluxation verschiebt sich die Kniescheibe aus ihrer Führung heraus zur Knie-Außenseite, wodurch die Bänder an der Knie-Innenseite mit der möglichen Folge einer Knieinstabilität verletzt werden können. Bei wiederholten Luxationen der Kniescheibe kann daher – nach erfolgter Identifikation möglicher weiterer Pathologien, die gegebenenfalls im selben Eingriff zu adressieren sind – eine plastische Rekonstruktion/Verstärkung dieses Bands erforderlich werden (MPFL-Plastik).
 
Hierfür wird in der Regel ein autologes Sehnentransplantat, zum Beispiel aus der Oberschenkelmuskulatur, gewonnen, um durch eine entsprechende Fixierung des Gewebetransplantats an der Kniescheibe und der inneren Oberschenkelrolle die Kniescheibe wieder in der richtigen Position auf dem Oberschenkelknochen zu halten und zu führen.
Die Gutachterkommission hatte sich im Fall einer arthroskopischen Operation der habituellen Patellaluxation insbesondere mit der korrekten Durchführung der Operationstechnik und der intraoperativen Umsetzung der vom Hersteller empfohlenen Vorgehensweise zur Verankerung des Transplantats am Knochen mit Ankern ­beziehungsweise Schrauben auseinanderzusetzen.

Sachverhalt


Aufgrund einer habituellen Patellaluxation mit belastungsabhängigen Schmerzen rechts wurde eine 27-jährige Patientin stationär in der beschuldigten Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie aufgenommen. Die Patientin war am Knie vor­operiert; zuvor waren bereits eine Spaltung des äußeren Kniescheibenseitenbands („lateral release“) sowie eine Raffung des inneren Kniescheibenseitenbands durchgeführt worden.

Die bei der jetzigen Aufnahme erfolgte körperliche Untersuchung erbrachte unter anderem eine luxierbare Knie­scheibe bei 30–40 Grad Beugung. Angesichts von mehr als 30 vorangegangenen Luxationen – die letzte passierte einen Monat vorher – wurde eine MPFL-Plastik unter Verwendung eines zuvor bei der Patientin entnommenen Sehnen-Transplantats aus dem M. gracilis (Muskel aus der Oberschenkelmuskulatur) geplant. Fünf Tage vor dem Eingriff wurde ein schriftlich dokumentiertes Aufklärungsgespräch mithilfe des Aufklärungsbogens „Arthroskopie des Kniegelenks“ (Thieme Compliance) geführt.

Eingangs des Eingriffs erfolgte die klinische Überprüfung der Kniegelenkstabilität. Bei leicht valgischer (nach innen gerichteter) Beinachse bestand eine deutliche Lateralisierung der Patella über das äußere Ende des Oberschenkelknochens hinaus. Zur Gewinnung des Sehnentransplantats entnahm der Operateur zunächst die Sehne des M. gracilis. Danach erfolgte die Darstellung der medialen Kante der Kniescheibe über eine Inzision und die Festlegung der Insertionspunkte für den Eintritt der Sehnenplastik an der Patella. Nach Einbringung jeweils eines Bohrdrahts wurden mittels 3,25-mm-Bohrer zwei Bohrungen in horizontaler Richtung durch die Kniescheibe angelegt; dann wurde die Sehne mittels zweier Anker an der Kniescheibe fixiert. Unter Bildwandlerkontrolle legte der Operateur den Fixationspunkt der Sehnen­plastik an der inneren Oberschenkelrolle fest. An dieser Position brachte er sodann den Bohrdraht ein, überbohrte diesen mit ­einem 5-mm-Bohrer auf einer Tiefe von 35 mm und fixierte das Sehnentransplantat mit einer Interferenzschraube in 30 Grad Beugestellung.

Für den ersten postoperativen Tag ist im Krankenblatt unter „physikalische Therapie“ vermerkt, dass die Patientin mit Gehstützen unter 20 kg Teilbelastung auf dem Flur und der Treppe gelaufen sei. Die Beugung habe maximal 60 Grad betragen. Dem Entlassungsbrief einen Tag später ist zu entnehmen, dass bei Zustand nach „lateral release“ und medialer Raffung des rechten Kniegelenks eine MPFL-Plastik unter Verwendung der Gracilissehne erfolgte.

Gemäß Therapieempfehlung sollte danach eine aktive, belastungsfreie Beugung bis 90 Grad möglich sein. Der Patientin wurde empfohlen, postoperativ über einen Zeitraum von sechs Wochen eine Knie­gelenksorthese mit einer Limitierung bis 60 Grad zu tragen. Bis zum Abschluss der Wundheilung könne eine Teilbelastung von 20 kg und anschließend eine schmerzadaptierte Steigerung erfolgen; nach sechs Wochen könne mit leichten Aktivitäten wie Laufen oder Fahrradfahren begonnen werden. Die volle sportliche Aktivität würde erst nach Ablauf von drei Monaten möglich sein.

Zwei Monate nach Entlassung erfolgte in einer anderen orthopädisch-unfall­chirurgischen Klinik eine erneute Behandlung am rechten Knie. Dem dortigen Entlassungsbrief ist zu entnehmen, dass sich die Antragstellerin bei einer Mobilisationsübung in der Reha eine dislozierte Querfraktur des inferioren Patellapols rechts mit Ausriss des MPFL-Grafts zugezogen und ein postoperatives Beugedefizit des Kniegelenks bestanden habe.

Es erfolgte eine operative Revision als offene Arthrolyse mit Schraubenosteosynthese der Patella und additiver Äquatorial-Faden-Cerclage sowie eine tendoligamentäre Überbrückung des Streckapparats. Die Gracilis-Graft-Plastik des MPFL wurde zur Reinsertion mittels Naht fixiert. Weiter ist vermerkt, dass die Patientin aufgrund von Asthma bronchiale orale Kortikoide einnehme.

Im Begutachtungsverfahren machte die Patientin geltend, dass die MPFL-Plastik in der vorbehandelnden Klinik fehlerhaft durchgeführt worden sei. Bei ordnungsgemäß durchgeführter Operation wäre es nicht zur Fraktur und zum Ausriss der Bandplastik gekommen.

Orthopädische Begutachtung 


Der orthopädische Gutachter stellte fest, dass die Indikation zur Rekonstruktion beziehungsweise Verstärkung des inneren Kniescheibenseitenbands bei offensichtlich vorliegender Patellafehlbildung und einer Vielzahl stattgehabter Kniescheibenluxationen zweifelsfrei vorgelegen habe. Die MPFL-Plastik stelle dabei eine bewährte Methode dar, um einer weiteren Kniescheibenluxation nach lateral (außen) Einhalt zu gebieten.

Dem Operationsbericht sei zu entnehmen, dass gemäß den Vorgaben des Herstellers zur Präparation der Kniescheibe zunächst durch Anlage der beiden Bohrkanäle zwei Kirschnerdrähte in die Kniescheibe platziert und anschließend mit dem 3,25-mm-Bohrer überbohrt wurden. Allerdings seien die Bohrkanäle für die beiden einzubringenden Anker zur Befestigung der Sehne an der Kniescheibe nicht, wie vom Hersteller empfohlen, 1–2 mm distal von der oberen inneren Begrenzung der Kniescheibe für die obere Bohrung und 15–20 mm weiter distal für die weitere Bohrung angelegt worden. Vielmehr hätten die vom Operateur ausgeführten Bohrungen in Höhe der Kniescheibenmitte und im unteren Drittel gelegen, wie anhand der radiologischen Bildgebung der nachbehandelnden Klinik erkennbar gewesen sei. Ergänzend hierzu verdeutlichte der orthopädische Gutachter, dass die untere Zone der Kniescheibe eine deutlich geringere Sklerosierung der rückwärtigen Wand der Kniescheibe aufweise und die Stabilität der Kniescheibe in diesem Bereich geringer ­sei als in den oberen zwei Dritteln der Knie­scheibe. Die fehlplatzierten Bohrlöcher hätten zudem die ventrale Kortikalis (harte äußere Knochenschicht) durchbrochen und somit zu einer Sollbruchstelle der Kniescheibe geführt. Der Bruch der Patella sei in eben diesem Bereich eingetreten und damit nicht als Komplikation zu bewerten. Die fehlerhafte Anlage der Bohrkanäle – zu weit distal und ventral (zu weit unten und nach vorne) bei gleichzeitiger Perforation der ventralen Kortikalis – habe eine erhebliche Schwächung der Kniescheibe ver­ursacht. Dies sei als Behandlungsfehler zu beurteilen, der zwei Monate nach erfolgter Operation zu der Fraktur der Kniescheibe geführt habe.
 
Hersteller von Medizinprodukten gewährleisten bei der Inverkehrbringung ihrer Produkte, dass diese den an sie gesetzten Anforderungen entsprechen (Artikel 10 EU-Medizinprodukteverordnung). Die Produkte müssen den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen genügen. Die Hersteller informieren die ­Anwender über die Handhabung der Produkte. Demzufolge haben sich die Anwender (Operateure) an den Vorgaben zur Handhabung des Herstellers zu orientieren. Die Platzierung der Bohrkanäle entsprach nicht den Vorgaben des Herstellers. Die in der nachbehandelnden Klinik dokumentierte Einnahme eines oralen ­Kortikoids zur Therapie von Asthma bronchiale dürfte – je nach Dosierung – als ­mitursächlich angesehen werden.


Juristische Hinweise zum Gesundheitsschaden


Die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden trägt nach einhelliger Auffassung grundsätzlich die Anspruchstellerin/Patientin. Ist wie hier die Mitursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Fraktur der Kniescheibe mit der sogenannten „praktischen Gewissheit“ nachgewiesen, besteht damit die Haftung dem Grunde nach. Die Mitursächlichkeit der Pflichtwidrigkeit ist ausreichend für die Haftung. Die vom Sachverständigen angesprochene mögliche Mitursache der Einnahme des oralen Kortikoids zur Therapie von Asthma bronchiale ist für die von der Gutachterkommission allein festzustellende Haftung dem Grunde nach (vgl. § 2 der Verfahrensordnung der Gutachterkommission) ohne weitere Bedeutung. Ob und wie sich die Mitursächlichkeit durch die Einnahme des oralen Kortikoids auf die Höhe des Schadens auswirkt, hat die Gutachterkommission nicht zu entscheiden.


Dr. med. Daniel Frank ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied,
Paul-Heinz Gröne ist Stellvertretender Vorsitzender und Dr. med. Tina Wiesener ist Leiterin der 
Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein.