Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.
RÄ: Herr dr. LongJohn, warum sind Sie Arzt geworden?
LongJohn: In meiner Heimat Nigeria habe ich viel Armut erlebt. Wer dort krank wurde, war oft auf sich selbst gestellt. Diese Erfahrungen haben mich motiviert, Arzt zu werden. Ich will Menschen helfen und auch meiner Familie im Krankheitsfall zur Seite stehen können. Ich habe in Ungarn Medizin studiert und bin 2013 nach Deutschland gekommen. Meine fachärztliche Weiterbildung in der Anästhesie und Notfallmedizin habe ich in Essen absolviert. Durch eine Freundin, die in der Pharmaindustrie tätig ist, wurde ich schließlich auf den Arbeitsbereich der Arzneimittelsicherheit (Drug Safety) aufmerksam. Mir gefiel dabei besonders, dass bei dieser Arbeit stets die Patientensicherheit an erster Stelle steht.
RÄ: Wie sieht Ihr aktueller Aufgabenbereich aus?
LongJohn: Ich arbeite bei Grünenthal in der Pharmakovigilanz. Dort analysiere und bewerte ich Meldungen zu unerwünschten Neben- und Wechselwirkungen von Arzneimitteln, nachdem diese auf den Markt gekommen sind. Im Rahmen der Zulassungsstudien können nicht alle Neben- oder Wechselwirkungen eines neuen Medikaments identifiziert werden, denn sie können nicht alle Konstellationen abdecken, die in der Realität eintreten – zum Beispiel die gleichzeitige Einnahme des neuen Wirkstoffs mit anderen Medikamenten. Daher ist die Überwachung aller Daten nach erfolgter Zulassung ein wichtiger Bestandteil für die Charakterisierung des Nebenwirkungsprofils einer Substanz. Tritt eine unerwünschte Wirkung auf, bei der ein Zusammenhang mit einem unserer Medikamente vermutet wird, erhalten wir dazu meist von den behandelnden Ärzten, aber auch von Behörden oder den Patienten selbst eine Meldung. Ich gehe diesen sogenannten Signalen nach und berücksichtige alle verfügbaren Informationen zu diesem Thema. Häufig prüfe ich im Rahmen einer Literaturrecherche, ob im Zusammenhang mit dem Medikament in der Vergangenheit bereits ähnliche Vorfälle auftraten. Als Arzt kann ich zudem einschätzen, wie bestimmte Arzneimittel wirken und ob die geschilderten Effekte plausibel sind.
RÄ: Wie stellen Sie sicher, immer auf dem neusten Stand zu sein?
LongJohn: Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit besteht aus regelmäßigen Fortbildungen, Konferenzen und entsprechenden Trainings. Außerdem arbeiten wir nach strengen Leitlinien, die regelmäßig aktualisiert werden. Nicht zuletzt erhalten wir in unserem Team ein kontinuierliches Feedback zu den von uns bearbeiteten Fällen.
RÄ: Welche Fälle sind für Sie besonders schwierig?
LongJohn: Besonders herausfordernd sind Fälle, bei denen unvollständige Informationen vorliegen. Das betrifft beispielsweise Angaben zum Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme, zu weiteren eingenommenen Arzneimitteln oder zu Vorerkrankungen. Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir einen Vorfall analysieren. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, bei einer Meldung so präzise wie möglich zu sein.
RÄ: Was geschieht, wenn sich eine unerwünschte Arzneimittelwirkung bestätigt?
LongJohn: Wenn sich ein Signal bestätigt, ist es wichtig, diese neue Erkenntnis schnell zu kommunizieren. Wir passen dann die Warnhinweise, Kontraindikationen und das Anwendungsgebiet des Medikaments an und informieren Ärzte, Apotheker und Behörden. In schweren Fällen muss das Medikament vom Markt genommen werden.
RÄ: Welche Trends zeichnen sich in Ihrem Bereich ab?
LongJohn: Für uns wird Künstliche Intelligenz zunehmend relevanter. Wir erhalten täglich bis zu tausend Meldungen – das sind sehr große Datenmengen, die wir erfassen, strukturieren und auswerten müssen. Eine gut trainierte KI kann diese Informationen schneller verarbeiten als ein Mensch und ist zusätzlich in der Lage, Querverbindungen zu ähnlichen Fällen in unserer Datenbank zu identifizieren.
RÄ: Gibt es etwas, das Ihnen nicht gefällt?
LongJohn: Meine Arbeit ist sehr bürolastig. Als Arzt fehlt mir manchmal der direkte Patientenkontakt. Ich wohne mit meiner Familie in Essen, der Konzernsitz ist in Aachen. Ich kann sehr viel im Homeoffice arbeiten, was mir viel Freiheit im Familienalltag gibt. Andererseits kann ich dann eben nicht mal kurz bei einem Büronachbarn vorbeischauen, um eine Frage zu klären.
Das Interview führte Marc Strohm