Aus dem Wald von heruntergetretenen Wahlplakaten schießt ein Augenpaar die schmerzhaftesten Pfeile. Sie treffen die Erinnerung an meine mündliche Virologie-Prüfung und meine Moral zugleich. Mit dem Gefühl, an allen Viren gleichzeitig erkrankt zu sein und doch nichts über sie zu wissen, sitze ich meinem Prüfer an der Laborbank gegenüber. Ich habe sein Gesicht und seinen Namen schon hunderte Male gesehen und gelesen. Er weiß, dass er sich nicht vorstellen muss und schon geht es los mit der ersten Frage. Glücklicherweise verfehlt er meine Lücken und mir gelingt es auch, seine weiteren Fragen zu beantworten. So wie auf seinen Wahlplakaten lächelt er mich an, als er mir eine 1,0 überreicht. „Wissen schafft Wirtschaft“, einer seiner Wahlslogans, verwandelt sich vor meinem geistigen Auge zu „Wissen schafft Leistungsdruck“.
Der Druck, in jeder Prüfung alles in einem Moment parat zu haben, was man gelernt hat, gilt als Mahnung für meine Berufswahl. Wir werden immer den Druck haben, die Antwort auf alles zu kennen, immer die richtige Diagnose zu finden und dabei nichts zu übersehen. Wir werden immer die Verantwortung tragen, nichts vergessen zu dürfen, da die Gesundheit von Patientinnen und Patienten auf dem Spiel steht. Die Leistung, die wir erbringen müssen, um unserem Beruf gerecht zu werden, definiert uns und macht uns für dieses System wertvoll. Aber sind wir wirklich nur das Produkt unserer Leistung? Dürfen wir unseren Wert von Noten, Titeln, beruflichem und wirtschaftlichem Erfolg bemessen lassen? Ist ein Mensch nur etwas wert, wenn er etwas leistet? Keiner wird einfach nur um seiner selbst willen geschätzt. Dabei sollte das der Maßstab sein. Ein Mensch ist wertvoll, weil er existiert – nicht, weil er etwas leistet!
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