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Zertifizierte Kasuistik "Kopfschmerz, Verwirrtheit und Sprachstörung"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Kopfschmerz, Verwirrtheit und Sprachstörung "

 

von Dirk Sander

 

Inhalt

Einleitung

Klinisches Bild

Diagnostik

Therapie

Differentialdiagnostische Überlegungen

Epikrise

Literatur


Einleitung

Aufgrund der klinischen Symptomatik (Fieber, Sprachstörung, Verwirrtheit) und der neurologischen Untersuchung (Meningismus, Wernicke-Aphasie, Verlangsamung) bei unauffälligem CCT liegt der hochgradige Verdacht auf das Vorliegen einer Herpes simplex-Enzephalitis (HsE) nahe. Diese Verdachtsdiagnose wurde durch den entsprechenden Liquorbefund mit einem positiven Herpes simplex Nachweis in der PCR bestätigt. Die Behandlung mit Aciclovir wird sofort begonnen.

Die HsE ist die häufigste Form der akuten Virusenzephalitis (ca. 1 Neuerkrankung pro 100.000). Bei der HsE handelt es sich um eine akute, schwere hämorrhagisch nekrotisierende Enzephalitis. Bei Erwachsenen und älteren Kinder ist sie fast immer durch HSV Typ 1 (>90%) bedingt und nur selten durch HSV Typ 2 (2-10%), der bei Erwachsenen häufiger mit einer gutartigen, rezidivierenden Meningitis (Mollaret-Meningitis”) assoziiert ist. Das Virus dringt vermutlich über die Riechschleimhaut und den Nervus und Tractus olfactorius in das Zentralnervensystem ein. Pathologisch finden sichHämorrhagien und Nekrosen, v.a. im Temporallappen und in den orbitalen Teilen des Frontalhirns, zunächst einseitig, im Verlauf doppelseitig. Die Prognose ist ohne frühzeitige Therapie schlecht (Letalität ca. 70%, Residuen ca. 20%). Unter adäquater Therapie beträgt die Letalität 15-20 Prozent.

Klinisches Bild

  • Häufig unspezifisches Prodromalstadium (1-4 Tage Dauer) mit meningealer Symptomatik in Form von Kopfschmerzen (74-81%), Fieber (90-95%) und Erbrechen (38-46%). Danach gelegentlich kurzzeitige Besserung.
  • Auftreten einer Temporallappensysmtomatik häufig mit Sprachverständnisstörungen (Wernicke-Aphasie, da die HsE mehr den linken als den rechten Temporallappen betrifft), Wesensänderung (71-87%) mit kurzen psychotischen Episoden (Verwirrtheit, psychotischer Situationsverkennung, Geruchshalluzinationen), fokalen Anfällen (62-67%) mit Generalisation, deliranter Symptomatik und amnestischen Störungen. Auch eine Hemiparese (33-40%) kann auftreten.
  • Nach weiteren 1-2 Tagen rasch zunehmendes Hirnödem mit Koma.

Diagnostik

Bildgebung (cMRT, CCT):

Zunächst normal, in der Regel nach 1-2 Tagen (cMRT) bzw. 4 Tagen (CCT) temporale und evebtzekk. auch frontale Läsionen, zum Teil mit Einblutung. In der DWI-MRT (Abbildung links) lassen sich häufig bereits innerhalb von 24 Stunden hyperintense Läsionen typischerweise frontotemporal nachweisen. Etwas später dann auch Nachweis dieser Veränderungen in der FLAIR-(Abbildung rechts) und T2-Wichtung. Die Kombination aus schwerem klinischem Befund und deutlichen EEG-Veränderungen bei unauffälligem Akut-CT legt den Verdacht auf eine HsE nahe.

Abbildung. Kernspintomographische Darstellung bilateraler, deutlich rechts betonter hyperintenser Läsionen im Bereich des Temporallappens. Links: Axiale diffusionsgewichtete (DWI) Sequenz. Rechts: Koronare Flair-Sequenz. Foto: Benedictus Krankenhaus Tutzing

EEG:

Wichtig, da schon ab dem 2. Krankheitstag (bis ca. 15. Tag) eine Allgemeinveränderung oder ein Herdbefund in der Temporalregion nachweisbar sind. Im weiteren Verlauf dann Auftreten bilateraler Veränderungen, nicht selten in Form von sog. periodischen Komplexen.

Liquor:

Nach 1-2 Tagen zunehmende Pleozytose (bis 500 Zellen/mm3), Übergang vom granulozytären zu lymphozytären Bild), Eiweisserhöhung und/oder Schrankenstörung. Etwa nach 10 Tagen Auftreten einer lokalen (autochtonen) Immunglobulinproduktion (IgG, IgA und IgM).

Spezifische Liquordiagnostik:

Spezifische Liquor-/Serum-AK-Index für Herpes simplex -Virus frühestens nach 3-5 Tagen positiv. PCR wichtig zur Verifizierung der Diagnose mit einer Spezifität von 73-100 Prozent und einer Sensitivität von 95-97 Prozent. Cave: Der Virusnachweis mittels PCR kann im weiteren Krankheitsverlauf wieder negativ werden.

Therapie

Die erfolgreiche Behandlung der Herpes-Enzephalitis ist abhängig von früher Diagnosestellung und gezielter Therapie. Da die apparative Diagnostik bis zu 2 Tage nach Beginn der Symptomatik unauffällig sein kann, muss ein unverzüglicher Therapiebeginn bereits bei klinischem Verdacht (enzephalitisches Syndrom, entzündlicher Liquor, EEG-Herd und normales cCT) mit Aciclovir (z.B. Zovirax®: 3 x 10 mg/kg KG/d i.v. als Kurzinfusion) erfolgen. Wenn sich die Diagnose bestätigt, Behandlung über 14 Tage. Bei Niereninsuffizienz Verlängerung der Dosierungsintervalle, auf ausreichende Hydrierung achten. Bleibt die PCR zweimal negativ, und entwickeln sich im MRT keine temporalen Läsionen, kann die Therapie früher abgesetzt werden. Bei Aciclovir-Resistenz oder Aciclovirallergie ggf. Foscarnet (Foscavir® 90 mg/kg KG alle 12h i.v. über 14-21 Tage). Obwohl mit oralem Valaciclovir (Valtrex®) Serumspiegel erreicht werden können, die mit denen von i.v. Aciclovir vergleichbar sind, ist die Effektivität oraler Anti-Herpes-Virustatika bei HsE bisher nicht ausreichend bekannt.

Antibiotika: Bis zur Diagnosesicherung zusätzlich, zum Beispiel Ceftriaxon

Beta-Interferon: Gegebenenfalls bei schwerem Verlauf 0,3-0,4 Mio IE/kg KG/d i.v. als Dauerinfusion für 3-5 Tage (z.B. Fiblaferon). Bei fulminanter Verschlechterung auch intrathekale Anwendung in Einzelfällen beschrieben.

Bei Anfällen entsprechende antikonvulsive Behandlung.

Allgemeinmaßnahmen: Thromboseprophylaxe, ggf. intensivmedizinische Behandlung einschließlich Hirndruckmessung, Beatmung und antiödematöser Therapie eines Hirnödems erforderlich.

Differentialdiagnostische Überlegungen

Die Sinusvenenthrombose ist klinisch und selbst im cCT manchmal schwierig, im cMRT weit besser abzugrenzen. Der Liquor weist in der Regel keine ausgeprägte Pleozytose auf. Bei subakutem Verlauf und geringeren psychischen Veränderungen muss - insbesondere bei Beginn mit Anfällen im mittleren Lebensalter - ein Tumor ausgeschlossen werden.

Eine Intoxikation lässt sich durch die schweren und herdförmig betonten EEG-Veränderungen, durch den entzündliche Liquor und häufig durch den Verlauf ausschließen. Stehen psychische Symptome im Vordergrund, müssen differentialdiagnostisch psychogene Verhaltensweisen bis zur akuten Schizophrenie in Erwägung gezogen werden. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale sind die Bewusstseinstrübung und die begleitenden körperlichen Symptome.

Epikrise

Die Herpes-simplex-PCR im Liquor war  positiv, in der cMRT zeigten sich bilaterale, rechtsbetonte Hyperintensitäten im Bereich der Temporalregion in der diffusionsgewichteten- und FLAIR-Sequenz. Unter zusätzlicher antikonvulsiver Behandlung bildeten sich die Symptome nach wenigen Tagen bis auf eine noch geringe Sprachverständnisstörung zurück. Nach 14-tägiger Aciclovir-Behandlung erholte sich die Patientin vollständig.

Literatur

  1. Steiner I, Budka H, Chauduri A, Koskiniemi M, Sainio K, Salonen O, Kennedy PGE. Viral meninoencephalitis: a review of diagnostic methods and guidelines for management. Eur J Neurol 2010; 17: e55-e57
  2. Meyding-Lamade U et al. Virale Meningoenzephalitis. In: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Hrsg.: Komission  Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Thieme, Stuttgart New York, 2008, pp443-453
  3. Steiner I, Kennedy PG, Pachner AR. The neurotropic herpes viruses: herpes-simplex and varizella zoster. Lancet Neurol 2007; 6: 1015-1028