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Zertifizierte Kasuistik "Patientin mit starken rechtsseitigen Nackenschmerzen"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patientin mit starken rechtsseitigen Nackenschmerzen und okzipital betonten Kopfschmerzen"

von Robert Kreuzpointner und René Trabold

Inhaltsübersicht

Chiropraktische Therapiemaßnahmen

Nebenwirkungen

Vertebrobasiläre Dissektion

Literatur

 


Chiropraktische Therapiemaßnahmen

Chiropraktische Therapiemaßnahmen werden insbesondere von Chiropraktikern, Osteopathen und Physiotherapeuten angewandt. Basierend auf einem gängigen Aufklärungsbogen (Aufklärungsbogen, Ärztezentrum Holthausen – Biene) zur Vorbereitung auf eine chirotherapeutische Behandlung werden hierbei zwei therapeutische Eingriffe unterschieden: Die Mobilisation und die Manipulation.

Bei der Mobilisation wird langsam, schonend und wiederholt auf das Gelenk eingewirkt, so dass bei zu starker Einwirkung jederzeit die Therapie problemlos abgebrochen werden kann. Bei der Manipulation wird nach spezieller Griffanlage und Durchführung einer Probemobilisation ein sehr schneller, kurzer Impuls auf das blockierte Gelenk gegeben, wodurch eine Deblockierung erzielt werden soll.    

Die Wirbelsäulenmanipulation, umgangssprachlich unter dem Begriff „Einrenken“ bekannt, wird eingesetzt, um muskuloskelettale Schmerzen im Nacken- und Rückenbereich zu lindern. Sie wird als relativ sicher angesehen, obwohl sie mit einer Reihe leichterer Beschwerden und selten auch mit schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen verbunden sein kann (Walker et al. 2013).

Nebenwirkungen

Leichtere Beschwerden treten nach chiropraktischer Manipulation an der Wirbelsäule häufig auf, wobei die Häufigkeitsrate in aktuellen Untersuchungen zwischen 33 und 60,9 Prozent beträgt (Gouveia et al. 2009). In einer randomisierten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die chiropraktische Mobilisierung bei niedriger Geschwindigkeit etwas weniger wahrscheinlich zu Nebenwirkungen führte als die Manipulation bei hoher Geschwindigkeit. Dabei waren verstärkte Schmerzen und Nackensteifigkeit das häufigste unerwünschte Ereignis (Hurwitz et al. 2005). Bei der Hälfte aller Patienten traten, wie in einer Metaanalyse von fünf prospektiven Studien gezeigt werden konnte, leichte bis mittelschwere Symptome wie Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen und Taubheit auf; diese Symptome waren vorübergehend und verschwanden ohne Residuen (Ernst et al. 2001).

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse treten demgegenüber nach Manipulation der Wirbelsäule seltener auf. Zu ihnen werden

  • der Bandscheibenvorfall,
  • das Cauda-Equina-Syndrom und
  • vertebrobasiläre Verletzungen

gezählt.

Die Inzidenz dieser Komplikationen wird in der Literatur unterschiedlich angegeben. Während in früheren Publikationen die Komplikationsraten mit Werten von 1:400.000 bis 1:2.000.000 angegeben werden (Stevinson et al. 2002), sehen aktuelle Veröffentlichungen höhere Komplikationsraten mit Werten bis zu 1:20.000 (Gouveia et al. 2009).

Weitere von Neurologen und Chiropraktikern in Fallberichten genannte schwerwiegende Nebenwirkungen waren

  • Schlaganfall,
  • Myelopathie,
  • Radikulopathie,
  • Zwerchfellparese,
  • pathologische Wirbelfraktur und
  • eine intrakranielle Hypotonie aufgrund einer Liquorrhoe im Rückenmarksbereich (Gouveia et al. 2009).

Di Fabio untersuchte in einer früheren Publikation 197 Fälle von Verletzungen, die in 116 Veröffentlichungen im Zeitraum zwischen 1925 und 1997 beschrieben worden waren. Am häufigsten wurden Arteriendissektionen, Gefäßspasmen und Hirnstammläsionen berichtet. Der Tod trat in 18 Prozent der Fälle auf (Di Fabio, 1999).

Vertebrobasiläre Dissektion

Publikationen, die das Auftreten von vertebrobasilären Dissektionen oder Gefäßverschlüssen im Zusammenhang mit der chiropraktischen Manipulation der Halswirbelsäule untersuchen, umfassen Fallberichte, prospektive Analysen und Fall-Kontroll-Studien. Während in früheren Analysen davon ausgegangen wurde, dass Schlaganfälle oder vertebrobasiläre Dissektionen mit einer Häufigkeit von 1:1-3 Millionen Manipulationen auftreten (Hurwitz et al. 1996), gehen neuere Publikationen von einer Inzidenz von 5:100.000 Manipulationen aus (Gouveia et al. 2009). Darüberhinaus muss von einer gewissen Dunkelziffer von Vertebralis-Dissektionen nach chiropraktischer Manipulation ausgegangen werden, die aufgrund fehlender neurologischer Symptome nicht evident werden.

Kommt es bei Dissektionen der Arteria vertebralis zu einer apoplektiformen (zentral-)nervalen Symptomatik, erfolgt entsprechend der Akuttherapie eine intravenöse Thrombolyse unter Beachtung des Lysezeitfensters. Auch eine Stenteinlage oder Thrombektomie ist möglich, die vergleichbar gehandhabt werden wie bei ischämischen Insulten anderer Ätiologie.

Die Sekundärprophylaxe von Dissektionen der Arteria vertebralis erfolgt primärmittels Thrombozytenfunktionshemmern (TFH).

Die orale Antikoagulation mittels Vitamin- K- Antagonisten wird entsprechend der gültigen DGN-Leitlinien (Ringelstein E. et al. 2016) empfohlen:

  • bei rezidivierenden Infarkten trotz TFH-Gabe
  • bei mittels transkranieller Dopplersonographie detektierten mikroembolischen Signalen trotz TFH-Gabe
  • bei arteriellen Okklusionen / intraluminalen arteriellen Thromben.

Im Falle von intraduralen Dissektionen wird von der Therapie mit oralen Antikoagulatien abgeraten bei Gefahr einer subarachnoidalen Blutung (hier kann ggfs. eine Liquorentnahme zur Klärung extra- vs. intradural beitragen).

Die Dauer der Sekundärprophylaxe bei Dissektion der Arteria vertebralis wird für sechs Monate empfohlen. Dann sollte eine erneute Gefässdarstellung wie auch eine zerebrale Bildgebung (cMRT mit Diffusionssequenz) erfolgen. Im Falle einer Restitutio der Arterien ohne Ischämienachweis ist keine weitere Therapie anschließend erforderlich.

Bestehen noch Gefässauffälligkeiten nach einem Beobachtungszeitraum von sechs Monaten und fand kein Insult statt, so wird eine Einnahmedauer der TAH von insgesamt 12 Monaten favorisiert. Im Falle eines konsekutiven Insultes wird eine dauerhafte TFH-Therapie empfohlen.

Besteht eine auslösende Grunderkrankung (z. B. Bindegewebsstörungen), so ist eine zunächst dauerhafte TFH-Einnahme empfohlen.


Literatur

  1. Aufklärungsbogen zur Vorbereitung auf eine chirotherapeutische Behandlung. Ärztezentrum Holthausen – Biene.
  2. Di Fabio RP. Manipulation of the cervical spine: risks and benefits. Phys Ther 1999;79:50–65.
  3. Ernst E. Prospective investigations into the safety of spinal manipulation. J Pain Symptom Manage 2001; 21:238.
  4. Gouveia LO, Castanho P, Ferreira JJ. Safety of chiropractic interventions: a systematic review. Spine (Phila Pa 1976) 2009; 34:E405.
  5. Hurwitz EL, Aker PD, Adams AH, et al. Manipulation and mobilization of the cervical spine. A systematic review of the literature. Spine (Phila Pa 1976) 1996; 21:1746.
  6. Hurwitz EL, Morgenstern H, Vassilaki M, Chiang LM. Frequency and clinical predictors of adverse reactions to chiropractic care in the UCLA neck pain study. Spine (Phila Pa 1976) 2005; 30:1477.
  7. Walker BF, Hebert JJ, Stomski NJ, et al. Outcomes of usual chiropractic. The OUCH randomized controlled trial of adverse events. Spine (Phila Pa 1976) 2013; 38:1723.
  8. Ringelstein E., Dittrich R. (geteilte Erstautorenschaft) et al.: S1-Leitlinie Spontane Dissektionen der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Arterien. 2016. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
  9. Stevinson C, Ernst E. Risks associated with spinal manipulation. Am J Med 2002; 112:566.