Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: 27-jähriger Patient mit partieller Verfärbung und Kältegefühl der rechten Hand
Folge 85 der Reihe Zertifizierte Kasuistik
von Robert Kreuzpointner, Rainer Mathies und Malte Ludwig
Erläuterung - Fallauflösung
In der vorliegenden Kasuistik handelt es sich um einen Patienten mit der Diagnose eines Hypothenar-Hammer-Syndroms (HHS) mit pathologischem Allen-Test bei Perfusionsstörungen der A. ulnaris rechts auf dem Boden von aneurysmatischer Erweiterung und lokalen Thrombosierungen (siehe Abbildung 2).
Definition, Ätiologie und Morphologie
Das Hypothenar-Hammer-Syndrom (HHS) ist eine durch wiederholte stumpfe Traumata im Bereich der Hypothenarregion verursachte Gefäßpathologie der Arteria ulnaris. Sie führt häufig zu einer Stenose, Okklusion oder zu aneurysmatischen Veränderungen, meist im Bereich des Guyon’schen Kanals. Die Erkrankung resultiert in ischämischen Beschwerden der Hand, insbesondere der ulnarseitigen Finger.
Ursache des HHS ist in der Regel eine chronische oder akute mechanische Belastung der Hypothenarregion, wie sie bei Tätigkeiten mit direktem Aufstützen oder Schlagen mit der Handfläche auf harte Gegenstände vorkommt. Typische Berufsgruppen sind:
- Handwerker (z. B. Tischler, Schmiede, Bauarbeiter)
- Mechaniker
- Bediener von Press- und Schlagwerkzeugen
Auch sportliche Aktivitäten wie Karate, Baseball oder Handball können ursächlich sein.
Durch repetitive Traumen kommt es zu einer Schädigung der Arteria ulnaris distal des Guyon-Kanals. Häufige morphologische Veränderungen sind:
- Intimaverletzungen mit Thrombenbildung
- Aneurysmatische Erweiterungen
- Gefäßokklusionen
- Distale Embolisationen, vor allem in die Fingerarterien (Digitalarterien)
Symptomatik
Die Beschwerden variieren je nach Ausmaß der Gefäßschädigung:
- Schmerzen und Parästhesien im Bereich des 4. und 5. Fingers
- Kältegefühl oder Kälteintoleranz in der betroffenen Hand
- Blässe, Zyanose oder livide Verfärbung der Finger
- Pulsverlust der Arteria ulnaris distal
- Trophische Störungen, Ulzera oder Nekrosen (selten)

Diagnostik
Klinisch:
- Anamnese (berufliche Belastung, Trauma, Symptome)
- Allen-Test
- Inspektion und Palpation
Apparativ:
- Segmentale Pulsoszillographie
- Doppler- oder Duplexsonographie der Arteria ulnaris und Digitalarterien
- Merke: Das HHS ist gut duplexsonopraphisch diagnostizierbar.
- MR-Angiopraphie oder CT-Angiographie zur Darstellung von Aneurysmen, Okklusionen oder Embolien
- Konventionelle Angiographie in unklaren Fällen oder vor operativer Intervention
Differentialdiagnosen
- Raynaud-Syndrom (primär/sekundär)
- Arteriosklerotische Verschlusskrankheit
- Thoracic-Outlet-Syndrom
- Vasospastische Erkrankungen
- Embolien kardialen Ursprungs
Therapie
Konservativ:
- Vermeidung weiterer Traumata (z. B. Tragen von Handschuhen mit Polsterung)
- Durchblutungsfördernde Maßnahmen (Wärme, Vasodilatatoren)
- Antikoagulation / Thrombozytenaggregationshemmung bei Embolieverdacht
Interventionell / operativ:
- Resektion eines Aneurysmas mit Gefäßrekonstruktion (z. B. Interponat)
- Thrombendarteriektomie
- Rekonstruktive Maßnahmen (z. B. Bypass)
- In seltenen Fällen: Amputation nekrotischer Fingeranteile
Therapie bei dem Patienten in der vorliegenden Kasuistik:
- Bei jungem Patienten mit geringem Blutungsrisiko und Symptomatik seit < 3 Wochen wird entschieden, den Versuch einer lokalen Lyse zu unternehmen.

Prognose
Die Prognose hängt wesentlich vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und der Vermeidung weiterer Belastung ab. Frühzeitig erkannt, kann durch konservative Maßnahmen eine gute Beschwerdelinderung erreicht werden. Bei fortgeschrittener Ischämie oder Gefäßverschlüssen kann jedoch ein irreversibler Gewebeschaden auftreten.
Einstufung als Berufskrankheit
In Deutschland kann das Hypothenar-Hammer-Syndrom unter bestimmten Bedingungen als Berufskrankheit anerkannt werden, insbesondere wenn
- berufsbedingte repetitive Handtraumata nachweisbar sind.
- eine klare Kausalität zwischen beruflicher Tätigkeit und Gefäßschädigung besteht.
- die Erkrankung mit einer typischen Gefäßveränderung (z. B. Aneurysma der A. ulnaris) verbunden ist.
Die Anerkennung erfolgt gegebenenfalls nach Prüfung durch die gesetzliche Unfallversicherung unter den BK-Nummern gemäß Anlage 1 zur BKV (z. B. BK-Nr. 2101: "Erkrankungen durch Druckluft oder vergleichbare Druckeinwirkungen" oder über individuelle Begutachtung).
Literatur
- Ablett CT, Hackett LA. Hypothenar Hammer Syndrome: Case Reports and Brief Review. Clin Med Res. 2008 May;6(1):3–8. doi: 10.3121/cmr.2008.775
- Carr MP et al. Hypothenar hammer syndrome: Case report and literature review. Radiol Case Rep. 2019 May 10;14(7):868–871.
- Müller LP et al. Hypothenar hammer syndrome in sports. KSSTA Volume 4, pages 167–170, (1996).
- Spallek M et al. Hypothenar-Hammer-Syndrom und Thenar-Hammer-Syndrom als Berufskrankheit (BK 2114). Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie. Volume 67, pages 230–233, (2017)