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Psychiatrie: Weiter kämpfen für die Entstigmatisierung

20.11.2019 Seite 21
RAE Ausgabe 12/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2019

Seite 21

Dr. Manfred Lütz, der vielleicht bekannteste Arzt des Rheinlandes, bestand auf „einladenden Türklinken“ in seiner Klinik. © Tobias Liminski
Zur Verabschiedung des vielleicht bekanntesten rheinischen Arztes nach 22 Jahren als Chefarzt in Köln-Porz sprachen zwei Präsidenten der psychiatrisch-psychotherapeutischen
Fachgesellschaft und ein ehemaliger Bundesgesundheitsminister.

Der in der breiten Öffentlichkeit vielleicht bekannteste Arzt des Rheinlandes war während seiner in Kürze zu Ende gehenden Zeit als Chefarzt des Alexianer Fachkrankenhauses Köln ein „Verfolger von Türknäufen“. So formulierte es der Regionalgeschäftsführer der Alexianer Köln/Rhein-Sieg, Peter Scharfe, kürzlich anlässlich der offiziellen Verabschiedung von Dr. med. Dipl.-Theol. Manfred Lütz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Lütz hat als Bestseller-Autor, Dauergast in Talkshows, Kabarettist und Kolumnist einen beachtlichen Bekanntheitsgrad weit über das Rheinland hinaus erlangt. Als Arzt vertritt er die Auffassung: „Der Patient bestimmt das Ziel der Behandlung, und wir versuchen, ihn auf seinem Weg zur Genesung mit Respekt, Menschlichkeit und modernen Behandlungsmethoden zu unterstützen.“ Dieser Satz sei zur „Richtschnur des Handelns“ bei den Alexianern geworden, sagte Geschäftsführer Scharfe. Lütz‘  ärztliches Selbstverständnis war für die Klinikverwaltung in der alltäglichen Zusammenarbeit mitunter durchaus fordernd: alle Türknäufe in der Klinik, die kein Öffnen der Tür von außen erlaubten und damit Patienten und Angehörigen signalisierten: „Wir bestimmen, wann wir Zeit für Sie haben“ waren dem Chefarzt ein Dorn im Auge und mussten seinem Willen entsprechend durch „einladende Türklinken“ ersetzt werden.

Humanitäre Wende

Mit einer solchen ärztlichen Haltung setzt sich die heutige Psychiatrie deutlich ab von dunklen Zeiten, die noch gar nicht so lange her sind. Selbst nach den Gräueltaten an psychisch Kranken während der Zeit des Nationalsozialismus war die Psychiatrie noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis hinein in die 70er-Jahre „die Hölle“, wie Professor Dr. Mathias Berger sagte, emeritierter Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg und früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Berger erlebte im Jahr 1974 selber noch „unvorstellbar schlechte Krankenhäuser“ mit unwürdiger Unterbringung der Patienten in großen Schlafsälen, er sprach von „Verwahrpsychiatrie“ und „reinem Wegsperren“.

Die folgende Psychiatriereform, als deren Ausgangspunkt der 1975 veröffentlichte „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ („Psychiatrie-Enquete“) gilt, strebte nach Bergers Worten eine „Wende zur Humanität“ an. Diese sei „erfolgreich verlaufen“, die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen als minderwertig habe inzwischen erheblich abgenommen. Ärztinnen und Ärzte begegneten ihren Patienten mit Empathie und „auf Augenhöhe“. Die Zahl der stationären Betten ist nach Bergers Worten von rund 120.000 Betten in den Siebzigerjahren auf 60.000 halbiert, neue teilstationäre und ambulante Behandlungsmöglichkeiten sind geschaffen worden.

Trotz allem, was in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, ist die Stigmatisierung nach wie vor ein Problem, meint Professor Dr. Andreas Heinz, aktueller Präsident der DGPPN und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Universitätsklinikum Charité Berlin. „Heute haben wir andere Probleme als 1975“, sagte Heinz. Als Beispiel führte er seine Beobachtung an, dass die Einleitungssequenzen vieler Fernsehfilme über die Psychiatrie stets nach dem gleichen Muster gestaltet sind: gezeigt werden Bilder von Mauern, unterlegt mit düsterer Musik. Klischees wie das der „gefängnisähnlichen“ Einrichtungen seien „nur schwer auszurotten“, sagte Heinz, „wir werden weiter kämpfen müssen“.    

Horst Schumacher

Gröhe: Würdige Begleitung am Lebensende

Aus „freundschaftlicher Verbundenheit“, wie er selber sagte, war der frühere Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, zur Verabschiedung von Lütz gekommen. Von dessen Aussage: „Die wahre Gesellschaft für humanes Sterben ist die Hospizbewegung“ zeigte sich Gröhe angetan, der sich als Minister für die Strafbarkeit einer „geschäftsmäßigen“ Förderung der Selbsttötung stark gemacht hatte. Diese stellt § 217 Strafgesetzbuch (StGB) seit dem Jahr 2015 tatsächlich unter Strafe. Dagegen sind unter anderem sogenannte Sterbehilfevereine vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion steht für den ehemaligen Bundesgesundheitsminister fest: an würdiger Begleitung am Lebensende, an Angeboten der Palliativmedizin und Hospizversorgung darf es eine humane Gesellschaft nicht fehlen lassen.     

uma