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Thema - 122. Deutscher Ärztetag

Ein westfälischer Ärztetag aus nordrheinischer Perspektive

25.06.2019 Seite 18
RAE Ausgabe 7/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2019

Seite 18

„Wir als Ärzteschaft müssen zusammenhalten und so gestärkt nach außen agieren.“ Dr. Lydia Berendes (Krefeld) © Bülent Erdogan

Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster war für mich ein Heimspiel, da ich in dieser herrlichen Stadt 25 Jahre gelebt habe und dort auch meine berufspolitischen Wurzeln habe – einen herzlichen Dank an die Gastgeber der Westfälisch-Lippischen Ärztekammer für diesen schönen Empfang. Das Klapprad im Gepäck und als Haupttransportmittel in der Stadt war natürlich ein obligatorisches Muss, auch bei Regen und Glockengeläut.

Ein für mich wichtiger Faktor während des Ärztetages waren der Austausch und die Gespräche über Verbands- und Landesgrenzen hinweg. Wir als Ärzteschaft müssen zusammenhalten und so gestärkt nach außen agieren.

Das für mich wichtige Thema Arztgesundheit wurde mit inhaltlich sehr guten Vorträgen dargestellt, allerdings schienen mir die Vorträge zu kurz gegriffen, da die Realisierung der gesetzlichen Vorgaben der Arbeitsmedizin die entsprechenden Rahmenbedingungen erfordert. Eine gute eigene Resilienz reicht nicht, wenn zum Beispiel die Personaldecke zu  dünn ist.

Wichtig ist mir ebenso die Weiterbildung: Das  elektronische Logbuch ist zwar noch ausbaufähig, aber es wurde ein guter erster Aufschlag gemacht, um in Zukunft hoffentlich ein korrektes und einfaches Verfahren sowohl für Kollegen und Kolleginnen in Weiterbildung als auch für Weiterbildungsbefugte anzubieten, das alltagsbegleitend einsatzfähig ist.
 

In den vergangenen Jahren habe ich mehrfach als Delegierter und Abgeordneter an Deutschen Ärztetagen teilgenommen – auch am 110. Deutschen Ärztetag 2007, der ebenfalls in Münster stattgefunden hatte. So konnte ich jetzt erneut diese wunderschöne Stadt zumindest abends nach den Sitzungen genießen. Die beeindruckenden Trommelwirbel des Drumcorps „Fascinating Drums“ während der Eröffnungsveranstaltung am Beginn des 122. Deutschen Ärztetages haben sicher alle Teilnehmer fasziniert. Wie jedes Jahr folgte ein politischer Schlagabtausch, der während der Rede des Gesundheitsministers Jens Spahn durch einen totalen Stromausfall unterbrochen wurde. Spahn meisterte die Situation souverän und redete „A-Cappella“ im dunklen Saal weiter, bis der Strom nach wenigen Minuten wieder da war.

Die Debatten auf dem Ärztetag waren konstruktiv und von gegenseitigem Respekt geprägt. Ich fand es richtig und wichtig, für das Thema Arztgesundheit einen Raum zur Darstellung und Besprechung schwieriger Probleme zu schaffen. Medizinische Einrichtungen werden nicht mehr allein nach medizinischen Erfordernissen geführt. Verwaltung und die Vorgaben der Politik setzen den Rahmen, zunehmend wirtschaftliche Aspekte zu erfüllen. Überforderung und Frustration und der Umstand, dass der Arzt nur noch als Erfüllungsgehilfe dient, sind Auswirkung dieser Fehlsteuerung und machen Ärzte krank.

Die Wahlen liefen routiniert ab, es war spannend zu sehen, ob es gelingt, erstmals nach mehr als 40 Jahren einen niedergelassenen Arzt zum Präsidenten zu wählen. Mit Dr. Klaus Reinhardt wurde ein eloquenter und durchsetzungsfähiger Kollege gewählt, der die Belange der Ärzteschaft voranbringen kann. Seine Mitarbeit an der geplanten neuen Gebührenordnung für Ärzte wird ihn nicht ruhen lassen, diese auch zu einem Abschluss zu bringen. 
Eine beispiellose Geringschätzung der Arbeit vor allem niedergelassener Ärzte müssen sich die Bundesregierung und die ganze Gesellschaft zurechnen lassen: Dass in mehr als zwanzig Jahren der Gebührenrahmen der Honorierung ärztlicher Arbeit nach GOÄ unverändert geblieben ist, empfinde ich als Skandal. Wir werden sehen, ob es gelingt, dies zu ändern. 

Besonders gefreut hat es mich, am 122. Deutschen Ärztetag erstmals gemeinsam mit meinem Sohn teilnehmen zu können, der als Delegierter der Ärztekammer Hamburg ebenfalls in Münster dabei war.
 

Zum vierten Mal dabei, zum ersten Mal einen Kammerpräsidenten gewählt: Sicherlich ein spannender Teil des Ärztetages, neben so wichtigen Themen wie der Arztgesundheit und dem eLogbuch und zudem einigen klugerweise vorstandsüberwiesenen Anträgen zur Änderung der Satzung und Geschäftsordnung der Bundesärztekammer. Diese sollte unter dem neuen Vorstand entschieden werden. Ermüdend sind teilweise die Wortmeldungen, die sich inhaltlich wenig unterscheiden. Häufig entsteht der Eindruck, es sei alles schon gesagt, nur noch nicht vom aktuellen Redner. Für die Zukunft wünsche ich mir eine bessere Koordinierung der Anträge.

Dr. Klaus Reinhardt, dem neu gewählten Bundesärztekammerpräsidenten, und seinen Vizepräsidentinnen wünsche ich Kraft, Durchsetzungsvermögen und viel Gespür bei der Einigung  der Ärzteschaft zum Erreichen der Ziele wie dem Erhalt der Freiberuflichkeit, der Optimierung der Arbeitsbedingungen, der Umsetzung der GOÄ und der Vermeidung der Einmischung der Politik in ärztliche Tätigkeiten.
 

Bereits im Vorfeld drehte sich eine Menge um die anstehenden Wahlen. Seit Dr. Klaus Reinhardt seinen Hut in den Ring geworfen hatte, noch dazu in einer Konstellation mit zwei Wunschvizepräsidentinnen, die manchen überraschte, wurde allenthalben diskutiert. Für mich als MB-Mitglied war es schon schmerzhaft erleben zu müssen, dass das Amt des Präsidenten der Bundesärztekammer nicht mehr mit „einem von uns“ besetzt ist. Der weitere Verlauf der Wahlen mit dem hervorragenden Ergebnis von Dr. Susanne Johna und den beiden weiteren Positionen war da versöhnlicher.

Inhaltlich stand aus meiner Sicht insbesondere der Dialog mit der Politik im Vordergrund. Bundesgesundheitsminister Spahn und sein kongenialer Partner Professor Dr. Karl Lauterbach legen ein solches Tempo vor, dass dem einen oder anderen ein bisschen schwindelig wird. So waren zu Beginn seiner Ansprache die Buhrufe auch nicht zu überhören. Aber das mussten auch schon andere aushalten. Geschwindigkeit ist aber noch kein Beweis für gute Qualität, und wenn der politische „Gestaltungswille“ die Institutionen der ärztlichen Selbstverwaltung nach und nach lahmzulegen versucht, dann ist das keine gute Entwicklung. Und schon deshalb tun wir gut daran, sie selber pfleglich zu behandeln. Nur so können wir beweisen, dass wir uns wirklich am besten selbst verwalten.
 

Es war mir eine große Genugtuung, dass der 122. Deutsche Ärztetag meinem Beschlussantrag  zum  Erhalt des Sozialmedizinischen Dienstes der Knappschaft-Bahn-See in seiner jetzigen Form einstimmig und mit nur einigen wenigen Enthaltungen zugestimmt hat. Dies war ein deutliches Signal der innerärztlichen Solidarität an die Politik. Sinn und Zweck meines Anliegens in Münster habe ich in freier Rede dargelegt, obwohl die Regularien vorsahen, dass der jeweilige Antragsteller seinen Antrag nur dann am Mikro mündlich begründen sollte, wenn sich ein Abgeordneter öffentlich gegen diesen ausgesprochen hatte. Im Anschluss an diese Situation fragte sowohl der frisch gewählte Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetags, Dr. Klaus Reinhardt, als auch seine Stellvertreterin Dr. Heidrun Gitter nach der Vorstellung jedes einzelnen Beschlussantrags fortan nach, ob der Antragssteller diesen begründen möchte. Das habe ich als positives Zeichen der Dialogbereitschaft wahrgenommen. Als ebenso positiv habe ich den Vorschlag Reinhardts empfunden, die „politischen“ Anträge gesondert und nicht am letzten Sitzungstag des Deutschen Ärztetages zur Abstimmung zu bringen.

Natürlich ist es für den Marburger Bund traurig, wenn dessen Spitzenkandidatin nicht gewählt wird, aber so funktioniert nun einmal unsere Demokratie. Die neue Führungsspitze – mit Reinhardt als Hausarzt, Dr. Ellen Lundershausen als HNO-Ärztin und der Oberärztin und Kinderchirurgin Dr. Heidrun Gitter als Vertreterin der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte – repräsentiert damit fast alle Bereiche der deutschen Ärzteschaft. Wenn dieses Modell funktioniert, dann wird man die deutsche Ärzteschaft nicht mehr so einfach auseinanderdividieren können.
 

Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hatte als wichtige Schwerpunkte die Themen Ärztegesundheit und die Einführung des elektronischen Logbuchs in der Weiterbildung, über die lebendig diskutiert wurde. In meiner Wahrnehmung jedoch stand bei allen Rednern der Erhalt des ärztlichen Berufs als Freiem Beruf im Mittelpunkt, unabhängig von der Tätigkeit in Niederlassung oder als angestellter Arzt. Gerade in Zeiten, in denen renditeorientierte Unternehmen im Begriff sind, wesentliche Teile der ambulanten Gesundheitsversorgung zu übernehmen, bei denen primär eben die Rendite und nicht mehr der Patient im Mittelpunkt ärztlichen Handelns steht, ist die ärztliche Freiberuflichkeit, in der die ärztliche Unabhängigkeit in der Therapiefindung das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis prägt, ein hohes Gut, das es unbedingt zu verteidigen gilt. Dies war Konsens über alle ärztlichen Gruppierungen hinweg.

Ansonsten war der Ärztetag natürlich geprägt von der Neuwahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten, die mit Spannung erwartet wurde: Mit Dr. Klaus Reinhardt steht nach langer Zeit wieder ein niedergelassener Hausarzt an der Spitze der Bundesärztekammer. Wünschenswert für mich wäre eine stärkere Einbindung der jungen Ärztegeneration in den Gremien, die für mich immer noch zu schleppend geht.

Insgesamt war die Atmosphäre auf dem Ärztetag konstruktiv und bot für mich die Möglichkeit zum intensiven Austausch.
 

Rückblickend verbuche ich meinen ersten Besuch eines Deutschen Ärztetages als interessante Erfahrung. Es war spannend Einblicke in die Prozesse, Vorgänge und Entscheidungsfindungen dieser Veranstaltung zu gewinnen. Mit dem Thema der Ärztegesundheit hat sich der Ärztetag einem der drängendsten Probleme des Gesundheitssystems angenommen und obwohl vielversprechende Anträge verabschiedet wurden, kann es sich hierbei nur um einen ersten Schritt in Richtung Kulturwandel im Gesundheitssystem handeln. Auch wenn ein Generationenwechsel an der Spitze der Bundesärztekammer verpasst wurde, habe ich neue Motivation geschöpft, um mich weiterhin in der Ärztekammer und darüber hinaus zu engagieren.

Leitthema des 122. Deutschen Ärztetages war die Ärztegesundheit. Tatsächlich stand im Zentrum die Wahl des Präsidenten und der beiden Vizepräsidentinnen: Mit Dr. Klaus Reinhard, Dr. Heidrun Gitter und Dr. Ellen Lundershausen sind drei Kollegen gewählt worden, die nach wie vor am Patienten tätig sind. Angesichts der vor uns liegenden politischen Auseinandersetzung ist das für die Glaubwürdigkeit ärztlicher Positionen ein Faktor von hohem Gewicht. Das neue Präsidium kennt den Versorgungsalltag, es besetzt ein breites Spektrum ärztlicher Tätigkeit, vom marktwirtschaftlich orientierten Allgemeinarzt in eigener Praxis über die Fachärztin mit Erfahrung im Gesundheits-wesen der DDR bis hin zur leitenden Abteilungsärztin mit Expertise in Tarifauseinandersetzungen, tätig in einem Großklinikum. Und was noch wesentlich ist in meinen Augen: Alle drei bekennen sich vorbehaltlos zum freien Arztberuf als grundlegender Voraussetzung für eine angemessene Patientenversorgung. In dieser Mischung können sie zum Brückenbauer über die berufspolitischen Gräben der letzten Jahrzehnte werden, damit diese endlich zugeschüttet werden.