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Interview

„Wir brauchen Anreize für die Entwicklung neuer Antibiotika in Europa“

18.10.2019 Seite 23
RAE Ausgabe 11/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2019

Seite 23

Das Rheinische Ärzteblatt sprach mit Dr. med. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, über die zukünftigen Herausforderungen einer europäischen Gesundheitspolitik.

RhÄ: Herr Dr. Liese, Sie sind seit 25 Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments und Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit. Wenn Sie zurückblicken: Auf welches Gesetz aus der Vergangenheit sind Sie besonders stolz?
Liese: Es gab in den 25 Jahren natürlich einiges, was ich nicht erreicht habe, aber auch eine ganze Menge Erfolge. Das Wichtigste war, glaube ich, dass wir einen Europäischen Rechtsrahmen für bessere Arzneimittel für Kinder erreicht haben. Schon während meiner Tätigkeit in der Kinderklinik in Paderborn habe ich festgestellt, dass viele Arzneimittel für Kinder nicht zugelassen sind, weil die notwendigen klinischen Prüfungen nicht durchgeführt wurden. Für die Pharmaindustrie lohnen sich diese klinischen Prüfungen oft nicht, weil die Fallzahlen sehr gering sind und keine Gewinnaussichten bestehen. Aber wir sind unseren kleinen Patienten schuldig, dass wir die bestmögliche Medizin ermöglichen. Deswegen haben wir eine Gesetzgebung auf den Weg gebracht, die der Industrie Anreize gibt, aber auch eine Verpflichtung beinhaltet, alle neuen Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Kindern zu untersuchen, wenn diese davon profitieren könnten. Mehr als 250 neue Arzneimittel für Kinder wurden auf Grund dieser Verordnung zugelassen. Dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass nur gemeinsames europäisches Handeln zum Ziel führt. Wenn der Markt aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung oder der geringen Zahl von Patienten, in diesem Fall Kindern, nicht mindestens die Europäische Union ist, können wir nicht erfolgreich sein. So eine Gesetzgebung hätte Deutschland alleine niemals sinnvoll durchführen können.

RhÄ: Wenn Sie nun auf die nächsten fünf  Jahre schauen, welche Maßnahmen werden Sie im Ausschuss Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit anstoßen?
Liese: Meine Fraktion hat schon vor einiger Zeit das Thema Bekämpfung von Krebs in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt. Wir wollen unseren Beitrag leisten, damit in 20 Jahren niemand mehr an Krebs stirbt. Das kann Europa nicht alleine schaffen, aber ohne grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist die Krebsbekämpfung nicht möglich. Das gilt für seltene Krebsarten und Krebs bei Kindern im Besonderen, aber aufgrund der zunehmend personalisierten Medizin auch für eigentlich häufige Krebserkrankungen. Ich bin sehr froh, dass die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die neue Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides diese Priorität für die Kommission übernommen haben. Jetzt müssen wir ganz konkret die gemeinsame Zusammenarbeit in der Forschung verbessern, viele Gesetze und Verordnungen darauf überprüfen, dass sie dem Patienten bestmöglich helfen. In diesem Zusammenhang ist auch die Verbesserung der digitalen Infrastruktur notwendig. Beim Thema Telemedizin ebenso wie bei vielen anderen Themen gilt, dass unser Kampf gegen den Krebs ein Beispiel für die bessere Zusammenarbeit auch beim Kampf gegen andere Erkrankungen sein kann.

RhÄ: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen ist ein Megathema unserer Zeit. Welche Schwerpunkte setzt Ihr Ausschuss im Klimaschutz? Auf welche Veränderungen muss sich das Gesundheitswesen einstellen? Gibt es hierzu ausreichende Forschung?
Liese: Die Bekämpfung des Klimawandels ist für die europäischen Institutionen und auch für mich persönlich eines der ganz herausragenden Themen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat in ihrer Bewerbungsrede gesagt: „Ich fühle mich von der Leidenschaft, der Überzeugung und der Energie der Millionen junger Menschen inspiriert, die ihrer Stimme auf unseren Straßen und in unserem Herzen Gehör verschaffen.“ Ich bin in intensivem Kontakt mit Ursula von der Leyen und wir setzen uns ganz konkret dafür ein, dass die Europäische Union bis 2050 komplett klimaneutral ist. Die Bekämpfung des Klimawandels darf nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Die Schadstoffe kennen keine Grenzen und für unsere Wirtschaft ist es wichtig, vergleichbare Rahmenbedingungen zu haben. Nur gemeinsam können wir den Rest der Welt, wie China oder Indien, beeindrucken. Auch bei enormen Anstrengungen ist es allerdings nicht sicher, dass wir den Klimawandel komplett aufhalten. Eine Erhöhung der Erdtemperatur auf 1,5 Grad Celsius oder sogar 2 Grad Celsius ist wahrscheinlich nicht mehr zu vermeiden. Deswegen müssen wir uns auch in der Medizin auf die veränderten Bedingungen einstellen, zum Beispiel auf Hitzewellen, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben. Ich glaube, hier ist noch viel Arbeit und noch viel Forschung erforderlich.

RhÄ: Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu. Andererseits ziehen sich immer mehr Pharmafirmen aus der Entwicklung neuer Antibiotika zurück. Europaweit sterben inzwischen jährlich rund 33.000 Menschen an resistenten Keimen. Auf welchen EU-Ebenen will man das Problem angehen? In Deutschland ist seit 2010 der Antibiotikaverbrauch um mehr als ein Fünftel gesunken.
Liese: Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen hat für mich und auch für die neue Europäische Kommission eine absolute Priorität. Dabei müssen wir zuallererst in der Viehzucht ansetzen. Hier hat das Europäische Parlament gemeinsam mit den Mitgliedstaaten schon in der letzten Periode ein strenges Regime zur Überwachung des Antibiotikaeinsatzes beschlossen. Wir müssen jetzt darauf achten, dass dies in den Mitgliedstaaten auch wirklich umgesetzt wird. Was die Humanmedizin angeht, ist der Trend in Deutschland erfreulich. Ich bin aber davon überzeugt, dass leider immer noch viel zu häufig und ohne genaue Indikation Antibiotika eingesetzt werden. Ein wichtiger Punkt ist daher die Entwicklung eines Schnelltests, damit wir auch in der Praxis ein Instrument haben, um möglichst schnell festzustellen, ob es sich überhaupt um eine bakterielle Infektion handelt.  Außerdem brauchen wir auf europäischer Ebene Anreize für die Entwicklung neuer Antibiotika. Hier können wir aus meiner Sicht auf ähnliche Anreize setzen wie zum Beispiel bei der Entwicklung von Kinderarzneimitteln. Auch das kann nur europäisch geschehen.

RhÄ: Die Europäische Union hat in der Vergangenheit für Patienten und Ärzte viele Fortschritte bei der grenzüberschreiten-den Gesundheitsversorgung gebracht. Nun besteht aber die Sorge, dass eine Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs zu einer Zerschlagung der nationalen Selbstverwaltungsorgane und Qualitätsstandards führt. Teilen Sie diese Sorge und was können Sie tun, damit die Qualität (zum Beispiel garantiert über die ärztliche Weiterbildung) auch im Sinne des Patientenschutzes nicht leidet?
Liese: In der Tat ist es vor allem aufgrund der Richtlinie über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung jetzt einfacher für Patienten, sich im europäischen Ausland behandeln zu lassen. Dies ist vor allem für Patienten wichtig, die an seltenen Erkrankungen leiden. Aber es gibt auch persönliche Gründe für eine Behandlung im Ausland, wenn zum Beispiel bei einem älteren Patienten die Angehörigen nicht in Deutschland, sondern in Österreich, Spanien oder den Niederlanden leben. Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist Deutschland selbst für die Organisation des Gesundheitswesens zuständig. Diese Zuständigkeit werde ich immer verteidigen. Subsidiarität geht aber in beide Richtungen: Wenn ein Problem auf nationaler Ebene nicht zufriedenstellend gelöst werden kann, muss Europa handeln. Das gilt bei den Themen Krebs, Therapie von Kindern und Antibiotikaresistenzen auf jeden Fall.

Die Fragen stellte Thomas Marlow.