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Aus der Krise lernen

26.10.2020 Seite 27
RAE Ausgabe 11/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2020

Seite 27

Ärztinnen und Ärzte können entscheidend zur Teststrategie in Bund und Land beitragen. Auch darum sei es so wichtig, die ärztlichen Körperschaften hier einzubeziehen, so die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. © rclassenlayouts/istockphoto.com
Wie wichtig sind Mund-Nasen-Schutz und Abstandsregeln? Wie gut sind Nordrheins Praxen auf einen erneuten Anstieg der Corona-Fälle vorbereitet? Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein zogen mehr als ein halbes Jahr nach dem ersten Corona-Fall in Nordrhein-Westfalen ein erstes Fazit.

von Jocelyne Naujoks

„Wir haben einen gewaltigen Wissenszuwachs sowohl im Bereich der fachlichen medizinischen Einschätzung als auch im Bereich des organisatorischen Umgangs mit der Corona-Pandemie“, sagte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein Mitte September bei einer Online-Veranstaltung der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein zur Frage COVID-19: „Was haben wir (bisher) gelernt?“ Die Ärzteschaft habe sich in den vergangenen Wochen mit vielen Themen beschäftigt: „Wie stellen wir unsere Praxen auf? Wie organisieren wir Testzentren? Wie gestalten wir die gesamte Teststrategie?“, so der Kammerpräsident. 
Eine Prognose darüber, wann ein Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar sein werde, wolle er nicht abgeben. Es brauche aber impflogistische Strategien für verschiedene Szenarien, sagte Henke. Es stelle sich zum Beispiel die Frage, in welcher Reihenfolge vulnerable Personengruppen geimpft werden sollten. „Und das muss Gesundheits- und Pflegepersonal mit Patientenkontakt einschließen“, erklärte der Kammerpräsident.
„In einer Zeit, in der wir noch keinen Impfstoff haben, haben Hygienemaßnahmen wie die AHA-Regeln eine präventive Wirkung – ähnlich wie eine Impfung“, sagte Professor Dr. Dr. h.c. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit (IHPH) am Universitätsklinikum Bonn. Aufgabe der Hygiene sei es, Sicherheit vor allem vor Infektionen zu geben, so Exner: „Hygiene will Gesundheit schützen und Systeme, insbesondere die Systeme der Patienten-Versorgung, am Laufen halten.“ 
Die Tröpfcheninfektion sei beim Coronavirus der Hauptübertragungsweg. Das Gros der Tröpfchen sinke in einer Entfernung von einem Meter zu Boden, führte Exner aus. Damit sei die Abstandsregel von eineinhalb Metern eine sehr gute Schutzmaßnahme. In Kombination mit einem Mund-Nasen-Schutz ist die physische Distanz laut dem Hygiene-Experten das wirkungsvollste Mittel gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2. Es habe sich zudem gezeigt, dass die Viruslast die Wahrscheinlichkeit beeinflusse, jemanden anzustecken oder selbst angesteckt zu werden. Die Regel laute daher:„Handle immer so, als ob Du  oder Dein Gegenüber mit dem Virus infiziert sei.“
Nach der Diagnose blieben die Antikörper über vier Monate stabil. Das habe eine Studie über den Ausbruch der Pandemie auf Island gezeigt, berichtete Exner. Wer selbst eine Corona-Infektion überstanden habe, müsse nach RKI-Empfehlung nach einem erneuten Kontakt mit einem Infizierten nicht in Quarantäne, gab Exner zu Bedenken. Eine 14-tägige Quarantäne ist dem Hygieneexperten zufolge zwar eine bewährte infektionshygienische Maßnahme. „Sie ist aber im strengeren Sinne auch ein infektionshygienisch begründeter Freiheitsentzug“, sagte er. 
Die medizinische Versorgung sei in Deutschland bislang im Gegensatz zu anderen Ländern nie so angespannt gewesen, dass die Bettenkapazitäten nicht ausgereicht hätten, sagte Exner rückblickend. So habe die Auslastung bislang maximal bei knapp zehn Prozent der zur Verfügung stehenden Intensivbetten gelegen. Zum anderen seien die Krankenhäuser in Deutschland weit besser vernetzt und die Weiterleitung von Patienten habe besser funktioniert als in vielen Nachbarländern. Seine Erfahrung aus Bonn zeige ebenfalls, dass die klinische Versorgung bislang im grünen Bereich sei. Auch die Todesraten blieben in Bonn aktuell stabil. Einzig die Gesundheitsämter erreichten in vielen Städten ihre Kapazitätsgrenzen. „Dabei spielen sie bei der Kontaktnachverfolgung die entscheidende Rolle“, warnte Exner. Die Infektionslage bleibe sehr dynamisch wie die im September ansteigenden Infektionsraten zeigten.

Praxen unterstützen Teststrategie

„Wir sind heute deutlich besser aufgestellt als zu Beginn der Pandemie“, resümierte Dr. Johannes Martin, Leiter der Stabsstelle Gesundheitspolitik regional und Versorgungsprojekte der KV Nordrhein. In den ersten Monaten nach Beginn der Pandemie sei die KV vor allem damit beschäftigt gewesen, die Praxen mit ausreichend Schutzmaterial zu versorgen. Seit Kurzem könnten Ärztinnen und Ärzte Schutzmaterial online über das KVNO-Portal bestellen. 
Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte unterstützten nach wie vor die Teststrategie des Bundes sowie des Landes Nordrhein-Westfalen. Diagnose- und Behandlungszentren könnten bei einem Anstieg der Fallzahlen die Praxen entlasten. Dem ausgeprägten Informationsbedürfnis der Ärzteschaft versuche man mit einem Ausbau des Informationsangebots gerecht zu werden, sagte Martin und verwies unter anderem auf die Corona-Homepage der KV Nordrhein coronavirus.nrw.
„Wir können nur immer wieder appellieren, Abstand zu halten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und den Mut nicht zu verlieren“, sagte Kammerpräsident Henke. Es gehe schließlich darum, das Bildungssystem, die Gastronomie und Hotellerie offen zu halten und wirtschaftlichen Austausch weiter zu ermöglichen, mahnte er.