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Gesundheits- und Sozialpolitik

Fehlende Arzneien und Schutzmasken: Fairere Preise gefordert

23.10.2020 Seite 19
RAE Ausgabe 11/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2020

Seite 19

Im Februar und März, als sich das Coronavirus scheinbar unaufhaltsam in Deutschland ausbreitete, fehlte in Praxen, Krankenhäusern und Altenheimen dringend benötigte Schutzausrüstung. Vor Engpässen bei Arzneimitteln warnt die Fachwelt seit Jahren. Schuld daran ist nach Ansicht von Experten unter anderem eine Einkaufspolitik, die einseitig auf den niedrigsten Preis schaut.

von Heike Korzilius

Zum Teil waren es fehlende Cent­Artikel, die zu Beginn der Corona­Pandemie in Deutschland die Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdeten. In Praxen und Krankenhäusern, in Alten- und Pflegeeinrichtungen fehlte es an Schutzmasken, Kitteln, Hauben und an Desinfektionsmittel, um Patienten und Mitarbeiter vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen.
Der Bundesregierung, aber auch Kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern gelang es nur mit großem logistischem Aufwand, auf dem leergefegten Weltmarkt die notwendige Schutzausrüstung zu beschaffen. 
Bis Ende 2021 habe sich der Bund rund 1,7 Milliarden FFP2- und FFP3-Masken sowie 4,2 Milliarden OP-Masken gesichert, erklärt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite. Knapp eine Milliarde Schutzmasken seien bereits ausgeliefert. Die Übrigen sollen die Basis für eine Nationale Reserve Gesundheitsschutz bilden. Diese solle nach den Erfahrungen zu Beginn des Jahres den Bedarf des Gesundheitssektors und von Einrichtungen kritischer Infrastruktur für mehrere Monate decken.

Preisorientierte Einkaufspolitik

„Corona hat die logistischen Schwachstellen globaler Lieferketten aufgedeckt“, erklärte Prof. Dr. rer. pol. Dr. biol. hom. Wilfried von Eiff, Leiter des Centrums für Krankenhaus-Management der Universität Münster, am 8. September beim Gesundheitskongress des Westens in Köln. Neben Engpässen bei persönlicher Schutzausrüstung sei es auch bei Arzneimitteln zu Lieferschwierigkeiten gekommen, beispielsweise beim Wirkstoff Propofol, der unter anderem zur Sedierung bei künstlicher Beatmung eingesetzt werde.
Als eine der Hauptursachen für Lieferengpässe machen Gesundheitsökonomen wie von Eiff eine seit Jahren praktizierte „preisorientierte Einkaufspolitik“ aus. Wenn nur der Hersteller mit dem niedrigsten Preis zum Zuge komme, verfielen die Margen. In der Folge stiegen Hersteller aus der Produktion aus, die sich dann auf nur noch wenige – im Extremfall auf einen – Anbieter konzentriere. Um hier gegenzusteuern, sollten von Eiff zufolge Krankenhäuser und Krankenkassen in ihren Lieferverträgen neben den Kosten auch Faktoren wie die Liefersicherheit oder Umwelt- und Arbeitsschutzstandards berücksichtigen. 
Frederike Voglsamer vom Pharmaverband pro generika kritisierte, dass sich Lösungsansätze für das Problem der Lieferengpässe in Deutschland zurzeit insbesondere auf das Informations- und Engpassmanagement konzentrierten. So gibt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits seit 2013 einen Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen, der die Versorgungslage mit wichtigen Arzneimitteln bewertet. Der eher informelle Jour Fixe wurde mit dem Fairer­Kassenwettbewerb-Gesetz im März 2020 in einen festen Beirat umgewandelt. 
Nach Ansicht der Pharmamanagerin müssen verstärkt die Ursachen für Lieferengpässe in den Blick genommen werden. Dazu zählt Voglsamer in erster Linie den Preisverfall bei Generika. Diese deckten 80 Prozent des Arzneimittelmarktes ab, verursachten aber nur 20 Prozent der Kosten. „Der seit Jahren steigende Preisdruck lässt keinen Raum für robuste Lieferketten“, erklärte Voglsamer. Pro generika setze sich deshalb unter anderem dafür ein, Exklusivverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen zu verbieten und stattdessen mehrere Unternehmen an Rabattverträgen zu beteiligen. 

Rabattverträge besser als ihr Ruf

Die Rabattverträge stehen aus Sicht der Krankenkassen dagegen zu Unrecht am Pranger. Sie könnten sogar zur Versorgungssicherheit beitragen, weil die Vertragspartner ihren Absatz besser planen könnten, sagte Klaus Overdiek, Leiter der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen der DAK. Er wies zudem darauf hin, dass nicht jeder Lieferengpass mit einem Versorgungsengpass gleichzusetzen sei, weil Ärztinnen und Ärzte meist auf Alternativen ausweichen könnten. „Wir haben in Deutschland nach wie vor eine hohe Versorgungssicherheit“, betonte Overdiek. „Wir müssen das Thema dennoch ernst nehmen.“
 

Robuste Lieferketten haben ihren Preis

Im laufenden Jahr verzeichnet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bislang 297 Meldungen über Lieferengpässe bei Arzneimitteln (Stand: 1. Oktober) gegenüber 355 im vergangenen Jahr. 2018 lag die Zahl der Meldungen bei 268. Das BfArM weist jedoch darauf hin, dass sich davon allein 118 Meldungen auf den Wirkstoff Valsartan bezogen, der wegen einer Verunreinigung zeitweilig vom Markt genommen werden musste. 
Bereits im Sommer 2019 formulierte der Jour Fixe zu Lieferengpässen beim BfArM Empfehlungen für fairere Lieferverträge zwischen Krankenhäusern und pharmazeutischen Unternehmen. Diese sehen beispielsweise vor, Mehrkosten, die den Pharmaunternehmen aus der Etablierung robusterer Lieferketten, besserer Produktionsbedingungen oder höherer Lagerkapazitäten entstehen, bei der Preisgestaltung zu berücksichtigen.