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Mein Engagement

„Als Vorsitzender muss man auf dem Boden der Tatsachen bleiben“

28.07.2020 Seite 47
RAE Ausgabe 8/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2020

Seite 47

Hans-Peter Meuser war über 30 Jahre lang mit eigener allgemeinärztlicher Praxis in Langenfeld niedergelassen. © privat
Neben ihrem Beruf engagieren sie sich ehrenamtlich für ihre Kolleginnen und Kollegen: die Kreisstellenvorsitzenden der Ärztekammer Nordrhein. Doch welche Eigenschaften machen einen Vorsitzenden eigentlich aus und wie begeistert man die junge Ärztegeneration für das Ehrenamt? Diese Fragen stellten wir Hans-Peter Meuser, Vorsitzender der Kreisstelle Mettmann, in unserer Reihe „Mein Engagement“.

RÄ: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Straßenbahn und möchten Ihrem Sitznachbarn erklären, was die Ärztekammer ist. Was würden Sie sagen? 
Meuser: Die Frage wird wohl eher bei Treffen mit Freunden oder Bekannten gestellt. Die Ärztekammer ist ein vom Staat vorgesehenes Konstrukt, das den Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit gibt, sich selbst zu verwalten. Der Staat hat dazu nicht die Fachkenntnis. Er erlässt Vorschriften, die die Ärztekammern umzusetzen und gegenüber ihren Mitgliedern zu vertreten haben. Hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kammer arbeiten dabei mit ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen zusammen. 

RÄ: Welche Eigenschaften sollte ein Kreisstellenvorsitzender Ihrer Meinung nach mitbringen? 
Meuser: Ein Kreisstellenvorsitzender muss fundierte Kenntnis vom ärztlichen Beruf haben, entweder aus der Klinik oder der Niederlassung. Man ist sozusagen der ausgleichende Faktor bei Patienten- oder Arztbeschwerden und sollte gut abwägen können. Es sind viele Interessen und Ausrichtungen unter einen Hut zu bringen, beispielsweise bei der Organisation des lokalen Notdienstes. Als Vorsitzender muss man auf dem Boden der Tatsachen bleiben (lacht). Man muss in den Vorschriften bewandert sein, sie sachgerecht anwenden, sich eine fundierte Meinung bilden und eine klare Sprache sprechen. Aber gerade bei Patientenbeschwerden muss man diplomatische Fähigkeiten besitzen. 

„Es sind viele Interessen und Ausrichtungen unter einen Hut zu bringen.“

RÄ: Was möchten Sie als Kreisstellenvorsitzender in Mettmann bewirken? 
Meuser: Ich möchte der lokalen Ärzteschaft das Gefühl geben, dass sie sich einbringen kann und gehört wird. Ich sehe die Kreisstellen als Basis aller Überlegungen an, hier entstehen die Grundrisse für das, was dann bei Kammerversammlungen und Ärztetagen ausführlich debattiert wird. Ortsnah entwickelte Lösungen sind zentralistisch von oben übergestülpten allemal überlegen. Ich bin noch nicht lange Kreisstellenvorsitzender der Kammer. Die Zusammenarbeit im Kreisstellenvorstand der Kammer wie auch im Kreis, in Niederlassung und Klinik, sehe ich hier bei uns in Mettmann als sehr harmonisch an.

RÄ: Welchen Rat würden Sie Ärztinnen und Ärzten geben, die heute in den Beruf starten? 
Meuser: Man muss sich gut überlegen, welchen Lebensplan man hat und welche Risiken man eingehen möchte. Das Arbeitsumfeld der Ärzteschaft ist mit dem von vor 30 Jahren nicht mehr vergleichbar. Als ich mich damals niederließ, gab es viel weniger Zwänge und Bürokratie. Heute kommt zum Beispiel die Telematikinfrastruktur hinzu, alles muss möglichst schnell gehen. Es wird den Praxen von oben übergestülpt, ohne dass man sich wehren kann. Die junge Ärztegeneration denkt und handelt ganz anders, eine Niederlassung kommt für viele gar nicht mehr in Frage. Lieber ist man angestellt, nicht durch Praxis und Kredite räumlich gebunden. Man möchte Wohnort, Berufsfeld und Arbeitszeit wechseln können, Beruf, Familie und Leben anders unter einen Hut bringen als frühere Ärztegenerationen. Es geht um persönliche Flexibilität, man möchte sich nicht für Jahrzehnte festlegen. Wer die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre kennt, sich die Fortsetzung in den nächsten 20 Jahren vorstellen kann und darin eine Zukunft für sich sieht, der sollte den Arztberuf ergreifen. 

RÄ: Wie würden Sie die junge Ärztegeneration davon überzeugen, sich ehrenamtlich in der Ärztekammer zu engagieren? 
Meuser: Für viele Ärztinnen und Ärzte gelten Kammer und Kassenärztliche Vereinigung als „Drangsalierungs-Apparate“, was sie letztlich aufgrund ihrer Körperschaftsstruktur – mit der Aufgabe, staatlichen Willen an die ärztliche Basis durchzureichen – auch sind. Aber nicht nur. Gerade die jüngeren Kollegen und vor allem Kolleginnen halten sich inzwischen gern fern. Man kann aber etwas bewegen, wenn man sich ehrenamtlich engagiert. Vielen ist das nicht bewusst. 

Das Interview führte Vassiliki Latrovali

Hans-Peter Meuser wurde 1953 in Langenfeld geboren. 1980 erhielt er die Approbation, er entschied sich für die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Von 1986 bis 2018 war Meuser mit eigener Praxis in seiner Geburtsstadt niedergelassen und ist seit 2009 Delegierter der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein. Zudem engagiert sich der Allgemeinmediziner intensiv im Notdienst. 1999 entstand die auf seinem Konzept beruhende Notdienstpraxis Langenfeld, seit über zehn Jahren arbeitet er im Ausschuss „Ärztlicher Notdienst“ der Kammer.