Vorlesen

Mail aus Bonn

13.12.2019 Seite 10
RAE Ausgabe 1/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2020

Seite 10

© privat

Dieses Semester verbringe ich ausnahmsweise nicht in Bonn, sondern an der Université Catholique im nordfranzösischen Lille. Um den zweifelhaften Ruf des Nordens Frankreichs weiß man in Deutschland spätestens seit dem Film „Willkommen bei den Sch‘tis“. Tatsächlich ist der Sonnenschein spärlich, das Bier fließt reichlich und das Sch’ti ist unverständlich. Wobei das eine die Folge des anderen sein mag. Die Einheimischen formulieren es lieber so: Im Süden scheint die Sonne am Himmel, im Norden scheint sie in den Herzen. In Lille herrschen eine Offenheit und Freundlichkeit, die mich an das Rheinland erinnert.
Das französische Medizinstudium jedoch ist von einer gewissen Strenge geprägt. Nach dem ersten Jahr und am Ende des Studiums stehen je ein „Concours“, eine landesweite Prüfung. Ihrem Abschneiden nach werden die Studentinnen und Studenten in eine Rangfolge eingeordnet. Nur die oberen Prozentränge dürfen ihr Studium nach dem ersten Jahr überhaupt fortsetzen, und nur den Besten stehen nach dem Studium alle Spezialisierungen offen. Im Gegenzug ist die Hürde, das Studium zu beginnen, anders als in Deutschland, niedrig. Wenn ich hier erkläre, dass es in Deutschland keine zentrale Vergabe der Assistenzarztstellen gibt, sondern man sich frei bewerben kann, ernte ich immer wieder erstaunte Blicke. Um ihr Fortkommen in diesem System nicht zu gefährden, wagen von meinen französischen Kommilitoninnen und Kommilitonen nur wenige den Schritt ins Ausland. Wenn, dann präferieren sie französischsprachige Länder. Entsprechend großzügig fallen die Komplimente für Sprachkenntnis und Mut von uns Austausch-Studentinnen und -Studenten aus. Gleichzeitig mangelt es manchmal etwas an Vorstellungsvermögen für unsere Situation. Beispielsweise habe ich das Gefühl, dass sprachliches schnell mit fachlichem Unvermögen gleichgesetzt wird. Eindrücke wie diese werde ich versuchen, für den zukünftigen Kontakt mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland im Hinterkopf zu behalten. 
Wie erlebt Ihr das Studium der Humanmedizin? Schreibt mir an medizinstudium(at)aekno.de.