Vorlesen
Gesundheits- und Sozialpolitik

„Wir sind derzeit froh über jedes Krankenhaus und jedes Intensivbett“

27.04.2020 Seite 18
RAE Ausgabe 5/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2020

Seite 18

Notfallversorgung

Am 8. Januar hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, die bisher weitgehend getrennt organisierten Versorgungsbereiche der ambulanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung in Deutschland zu einem integrierten System weiterzuentwickeln.

Im Unterschied zum „Diskussionsentwurf“ aus dem letzten Sommer soll der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung nun bei den KVen bleiben, die dafür allerdings nun „24 Stunden an 7 Tagen“ in der Woche sorgen sollen. Die fachliche Leitung der Integrierten Notfallzentren (INZ) soll einseitig den KVen übertragen werden. 

Krankenhäuser ohne INZ sollen bei der Behandlung ambulanter Notfallpatienten Abschläge hinnehmen müssen. Dem G-BA wird eine umfassende Richtlinienkompetenz zur Ausgestaltung der Vorgaben für die INZ übertragen. Eine Grundgesetzänderung mit Blick auf den Rettungsdienst ist anders als im Diskussionsentwurf nicht vorgesehen. 

Bei der Ausgestaltung dieses Gesetzes gibt es aus meiner Sicht noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Für mich ist es nicht akzeptabel, dass Krankenhäuser ohne Integriertes Notfallzentrum künftig mit einem Abschlag von 50 Prozent bestraft werden sollen, wenn sie sich um kranke Menschen kümmern, die sich als Notfälle bei ihnen vorstellen. 

Es entspricht unserem ärztlichen Selbstverständnis, dass kein Patient weggeschickt wird, ohne dass man ihn angehört, untersucht und behandelt hat, wie dies die ärztliche Sorgfalt in der Notfallsituation erfordert. Dieses richtige ärztliche Verhalten darf niemals Gegenstand finanzieller Sanktionen werden. 

Ich meine auch, dass wir in NRW mit unserer Lösung der Portalpraxen schon ein erhebliches Stück weiter sind als im Entwurf definiert und möchte nicht, dass wir diese gute Entwicklung gegen eine schlechtere bundesweite Lösung eintauschen müssen. In unserer jüngsten Kammerversammlung im vorigen November haben wir umfangreiche Positionen zur Notfallversorgung verabschiedet. Diese sind für uns Richtschnur in der Bewertung dieses Referentenentwurfs.

Reform des Medizinstudiums

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat Ende 2019 den Arbeitsentwurf einer neuen Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) vorgelegt. Darin sollen wesentliche Ziele des „Masterplans Medizinstudium 2020“ umgesetzt werden.
 

Ich begrüße, dass die wissenschaftliche Ausrichtung des Medizinstudiums in den derzeitigen Reformplänen verbindlich festgelegt ist. Diesbezüglich gab es Sorgen, aber das scheint zu gelingen. Auch die geplante Verbindung von Klinik und Vorklinik und die Einbeziehung des ambulanten Sektors sind positiv zu bewerten. Dass eine Studienreform mit aktuellen Problemen in der Versorgung zu begründen ist, wie es mitunter geschieht, glaube ich allerdings nicht. Es geht um eine breit gefächerte Ausbildung und es darf und wird keine Engführung etwa im Hinblick auf den Landärztemangel geben. 

Hinsichtlich der Finanzierung der Reform sehe ich, wie auch der Fakultätentag, noch offene Fragen. Der zusätzliche Bedarf ist noch nicht kalkuliert. Problematisch finde ich auch, dass mit der neuen Approbationsordnung alle Modellstudiengänge enden sollen. Meiner Ansicht nach sollten bewährte Modellstudiengänge, die die frühe und intensive Verschränkung von Grundlagen und Klinik zum Ziel haben, weiterhin möglich sein. Damit verbunden ist dann auch, dass die M1- und M2-Prüfungen weiterhin zusammen nach dem 6. Semester stattfinden können.

Ganz besonders wichtig ist mir: die Bedeutung der Freiberuflichkeit im Sinne der ärztlichen Unabhängigkeit in fachlichen Entscheidungen muss künftig im Studium verstärkt vermittelt werden, um so einen Kontrapunkt zur Kommerzialisierung unseres Berufes zu setzen.

Duales System der Krankenversicherung

Die von der Bundesregierung eingesetzte „Wissenschaftliche Kommission für ein modernes Vergütungssystem“ (KOMV) hat Ende Januar ihre Empfehlungen zur Neugestaltung der ambulanten ärztlichen Vergütung vorgelegt. 

Die Kommission schlägt eine „partielle Harmonisierung“ der ambulanten ärztlichen Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ) vor. Das Konzept der KOMV unterscheidet zwischen Bausteinen, die gemeinsam weiterentwickelt werden sollen, und Bereichen, bei denen man Unterschiede erhalten will.

Nach meiner Auffassung ist die Dualität von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) ein wesentlicher Grund für die im internationalen Vergleich hervorragende Gesundheitsversorgung in Deutschland. Daher ist zu begrüßen, dass die Kommission eine Einheitsgebührenordnung ablehnt. 

Ich warne davor, unser bewährtes Zwei-Säulen-Modell der Krankenversicherung zur Disposition zu stellen, und sei es auch nur in Gedankenspielen, wie sie die Bertelsmann-Stiftung in einer Mitte Februar veröffentlichten Studie anstellt. Eine Einbeziehung aller PKV-Versicherten in eine Einheitsversicherung, von welcher in der Bertelsmann-Studie die Rede ist, wäre kontraproduktiv. 

Denn die privaten Versicherungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungsqualität. Sie ermöglichen es Ärztinnen und Ärzten regelmäßig, ihren Patienten Innovationen schneller zur Verfügung zu stellen, als dies ohne PKV der Fall wäre. Auch wirkt das duale System als Bremse für Leistungseinschränkungen in der GKV. Eine Einheitsversicherung würde die Patienten in ein System ohne Alternative und Korrektiv zwängen. 

Aus ärztlicher Sicht braucht ein innovationsfähiges Gesundheitssystem auch in Zukunft den Arztberuf als einen Freien Beruf mit einer staatlichen Gebührentaxe zur korrekten Bewertung der einzelnen, individuell erbrachten ärztlichen Leistungen. 

Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. Februar 2020 zum § 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) dem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens weiten Raum zugesprochen. Gleichwohl sieht es aber auch die Notwendigkeit für eine gesetzgeberische Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung. So weist das Gesetz darauf hin, dass von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen können. 

Dem Gesetzgeber steht zum Schutz dieser Selbstbestimmung über das eigene Leben in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Einschränkungen offen. Diese können ausdrücklich auch im Strafrecht verankert oder durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. Das Urteil ist deshalb als Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen, diese Möglichkeiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten. 

Die Gesellschaft als Ganzes muss meines Erachtens Mittel und Wege finden, um zu verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt. Positiv hervorzuheben ist die Bestätigung des Gerichts, dass auch zukünftig keine Ärztin und kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden kann. 

Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen. Die Beihilfe zum Suizid gehört damit auch in Zukunft ganz grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten. 

Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen

Die aktuelle Pandemie lässt uns auch das Thema Krankenhausplanung noch einmal mit anderen Augen sehen. Wir sind derzeit froh über jedes Krankenhaus und jedes Bett, vor allem jedes Intensivbett, das wir haben. Erstmals seit Jahrzehnten erleben wir, dass in Deutschland in relevantem Stil neue Standorte und Betten geschaffen werden sollen, wenn auch nur als Behelfseinrichtungen. 

Deswegen war es richtig, dass wir uns schon bei der Kammerversammlung im November entschieden für den Erhalt der flächendeckenden, wohnortnahen Krankenhausversorgung ausgesprochen haben. Wir haben auch deutlich gemacht: Das spricht nicht dagegen, über sinnvolle Strukturen und eine gute Arbeitsteilung zu diskutieren. Letztlich sind es ja auch nicht die Betten, die Geräte oder die Gebäude, die den Menschen helfen. Es sind die qualifizierten Ärztinnen und Ärzte und die Pflegekräfte, auf die es ankommt. Hier muss viel mehr geschehen, um für den notwendigen Nachwuchs zu sorgen, und das betrifft alle Ebenen der Gesundheitspolitik. 

Die Krankenhausplanung hat hier auch ihre Rolle. Denn Krankenhäuser sind wichtige Orte für die ärztliche Weiterbildung. Deswegen haben wir gesagt: Ja, es ist möglich, eine „leistungsorientierte“ Planungssystematik künftig an „Leistungsbereichen“ und „Leistungsgruppen“ auszurichten, weil damit eine bessere Steuerung möglich wird. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Orientierung der Krankenhausplanung an der ärztlichen Weiterbildung abhandenkommt. Wir sind dazu im Gespräch mit dem Ministerium und den Partnern im Land und ich darf sagen, dass diese Gespräche einen positiven Verlauf nehmen. 

Wir sind auch grundsätzlich für eine sinnvolle Bildung von Behandlungsschwerpunkten und eine klarere Aufgabenverteilung. Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Aber auch bei dieser Neustrukturierung müssen wir darauf achten, dass die Weiterbildung nicht leidet. Im Zweifel sind klare Vorgaben für die Bildung von Weiterbildungskooperationen und -verbünden erforderlich, damit es nicht zu Abbrüchen in der Weiterbildungsbiographie unseres ärztlichen Nachwuchses kommt. Auch dazu sind wir in konstruktiven Gesprächen. 

Ein letzter Punkt: mittlerweile zeichnet sich ein Konsens zu der Frage ab, wie die künftigen Leistungsgruppen definiert werden sollen. Der ursprüngliche Gedanke, dies mit Hilfe von DRG-Listen zu bewerkstelligen, wird wohl nicht weiterverfolgt. Stattdessen wird auch hier die Weiterbildungsordnung ihre prägende Bedeutung behalten. Spezielle Leistungsgruppen werden über OPS- und ICD-Codes definiert. Aus unserer Sicht ist das eine gute Entwicklung. 

Pflegekammergesetz NRW

Die Landesregierung möchte eine Pflegekammer für Nordrhein-Westfalen schaffen. Ein Gesetzentwurf liegt mittlerweile vor. Der Anhörungstermin dazu wurde Corona-bedingt verschoben. Die Arbeitsgemeinschaft der Heilberufskammern unseres Bundeslandes hat sich schriftlich geäußert. 

In dieser Stellungnahme wurde auf manche Schwierigkeiten hingewiesen, die sich bei der Integration einer Pflegekammer ins Heilberufsgesetz NRW ergeben, denn die Unterschiede zwischen den Pflegeberufen und den akademischen Heilberufen sind doch ziemlich bedeutend. Meine Einschätzung ist im Übrigen die, dass wir in der Entscheidung des Landes, eine weitere Kammer zu schaffen, natürlich eine begrüßenswerte Stärkung des Kammergedankens sehen können. 

Ich bin auch zuversichtlich, dass wir in vielen gesundheitspolitischen Fragen mit einer Pflegekammer gut zusammenarbeiten können. An manchen Stellen werden wir uns auch auseinandersetzen müssen, aber das ist ja auch jetzt schon so und soll immer sachlich und fair geschehen. Die eigentliche Kernfrage für den politischen Prozess in Nordrhein-Westfalen wird nach meiner Einschätzung aber diejenige sein, ob die Pflege selbst die Kammer wirklich will. 

Es hat dazu ja eine repräsentative Befragung von 1500 Pflegekräften in Nordrhein-Westfalen gegeben, die eine deutliche Mehrheit für die Pflegekammer ergeben hat. Die Erfahrungen in Niedersachen, wo es ja bereits eine Pflegekammer gibt, haben aber gezeigt, dass sich die Stimmung dort nach der Versendung der ersten Beitragsbescheide erheblich gewandelt hat.

Änderung wichtiger Regelwerke in schriftlicher Abstimmung

Über die Änderung wichtiger Regelwerke stimmte die Kammerversammlung im schriftlichen Umlaufverfahren ab. Daran haben 99 der 121 Mitglieder der Kammerversammlung teilgenommen. So wurden ein neues Statut der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler, ein neues Statut für die Fortbildungsakademie, eine Richtlinie zur assistierten Befruchtung nach § 13 Abs. 3 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte und Satzungsänderungen der Nordrheinischen Ärzteversorgung beschlossen. Über die rechtliche Zulässigkeit der schriftlichen Abstimmung war vorab das Einvernehmen mit den zuständigen Aufsichtsministerien hergestellt worden.