Vorlesen
Gesundheits- und Sozialpolitik

Knapp 800 Millionen Euro für Praxen und Krankenhäuser in Nordrhein

22.07.2021 Seite 18
RAE Ausgabe 8/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2021

Seite 18

Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 spannte die Bundesregierung einen Schutzschirm über Praxen und Krankenhäuser. Er sollte verhindern, dass mitten in der Krise medizinische Einrichtungen schließen müssen, weil ihnen die Einnahmen wegbrechen.  

von Heike Korzilius

Bergamo wurde zum Symbol für die Corona-Pandemie. Die Bilder von Armeelastwagen, die im März 2020 Särge aus der norditalienischen Stadt abtransportierten, weil das Gesundheitssystem und die Krematorien unter der Last zu vieler schwer kranker COVID-19-Patienten und Corona-Toten zusammengebrochen waren, gingen um die Welt. Um zu verhindern, dass in Deutschland Ähnliches passiert, forderte die Politik die Krankenhäuser auf, nicht zwingend notwendige Behandlungen zu verschieben, um Betten für Corona-Patienten freizuhalten und zusätzliche Intensivkapazitäten zu schaffen. Auch in den Praxen sagten Ärztinnen und Ärzte Routineuntersuchungen ab, um Infektionsrisiken zu minimieren. Viele Patienten mieden aus Angst vor Ansteckung von sich aus den Gang zum Arzt.

Damit Krankenhäuser und Praxen wegen einbrechender Patientenzahlen nicht in existenzielle wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, spannte die Bundesregierung im März 2020 einen Schutzschirm auf (siehe Kasten). In Nordrhein flossen seither knapp 800 Millionen Euro an betroffene Einrichtungen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein verzeichnete pandemiebedingt für das Jahr 2020 einen Fallzahlrückgang von durchschnittlich 3,8 Prozent gegenüber 2019. Besonders stark sei mit einem Rückgang von 11,4 Prozent das zweite Quartal betroffen gewesen.
 
Zahlen für 2021 sowie Angaben zu den mit den Fallzahlrückgängen verbundenen finanziellen Einbußen liegen der KV zurzeit nicht vor. Nur so viel: 2020 zahlte die KV nach eigenen Angaben insgesamt rund 66 Millionen Euro als Schutzschirm an die nordrheinischen Praxen aus. Jede fünfte Praxis habe Mittel erhalten, darunter vor allem diejenigen, die überwiegend diagnostische oder präventive Leistungen erbringen. Betroffen waren insbesondere das Mammografie-Screening sowie die Fachgruppen Mund-Kiefer- und Gesichts-Chirurgie, diagnostische Radiologie, Nuklearmedizin und Rheumatologie.

Das Notwendige wurde getan

Ob es angesichts der Fallzahlrückgänge einen großen Nachholbedarf an Behandlungen gebe, könnten die bloßen Zahlen am Ende nicht verraten, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann. Es sei auch schwierig zu beantworten, ob man Spätfolgen erwarten müsse.  „Aber grundsätzlich sind sicherlich die notwendigen Behandlungen auch erfolgt“, sagte der KV-Vorsitzende.

Ausgleichszahlungen haben auch die nordrheinischen Krankenhäuser erhalten. Wie das Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mitteilt, flossen bislang insgesamt rund 643 Millionen Euro an anspruchsberechtigte Kliniken. Für die Schaffung zusätzlicher Intensivbetten seien darüber hinaus Fördermittel in Höhe von rund 59 Millionen Euro genehmigt worden.
 
Die Krankenhäuser sahen sich jedoch zuletzt schweren Vorwürfen ausgesetzt: Der Bundesrechnungshof sprach mit Blick auf die Ausgleichszahlungen von einer „massiven Überkompensation“. Gesundheitsexperten kritisierten, beim Aufbau zusätzlicher Intensivkapazitäten seien Zahlen manipuliert worden, um zusätzliche Fördermittel zu erlangen. Die Krankenhäuser weisen diese Vorwürfe entschieden zurück. Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) erklärte gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt, dass das Gesundheitsministerium des Landes Auffälligkeiten geprüft habe – „im Ergebnis ohne einen Hinweis auf Unregelmäßigkeiten“.

Für die Krankenhäuser seien gerade die ersten Monate des Jahres 2021 eine von vielen Unsicherheiten geprägte Zeit gewesen, bilanziert KGNW-Sprecher Hilmar Riemenschneider. Der Rettungsschirm für dieses Jahr sei anfangs viel zu klein gewesen. „Auch die Tatsache, dass die Ausgleichszahlungen immer nur kurzfristig verlängert wurden und ein Ganzjahresausgleich erst im März dieses Jahres entschieden wurde, hat die Situation verschärft“, sagte Riemenschneider. Grundsätzlich habe die Pandemie gezeigt, dass die Fallpauschalen nicht die einzige Finanzbasis für Krankenhäuser bleiben könnten. Sämtliche Vorhaltungskosten der Daseinsvorsorge müssten losgelöst von den DRGs finanziert werden.

Der Schutzschirm

Das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz von März 2020 sah einen finanziellen Ausgleich für verschobene Operationen und Behandlungen vor. Für jedes Bett, das deswegen nicht belegt wurde, erhielten die Krankenhäuser eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro Tag, die aus dem Bundeshaushalt refinanziert wurde. Die Zahlungen nach dem Gießkannenprinzip endeten Mitte Juli 2020. Seitdem waren die Mittel an die Versorgungsrelevanz der Kliniken, die Corona-Inzidenzzahlen und die Auslastung der Intensivkapazitäten im Landkreis geknüpft. Die Ausgleichszahlungen liefen am 15. Juni aus. Für den Aufbau von zusätzlichen Intensivbetten flossen bis 30. September 2020 bundesweit 686 Millionen Euro.

Den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten zahlten die gesetzlichen Krankenkassen während der Pandemie trotz reduzierter Leistungsmenge die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung in voller Höhe aus. 2020 flossen zudem Ausgleichszahlungen für den Wegfall von extrabudgetären Leistungen wie Früherkennungsuntersuchungen oder ambulante Operationen. 2021 müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen diese Ausfälle selbst ausgleichen.