Vorlesen
Spezial

„Wir wollen mehr“

19.02.2021 Seite 16
RAE Ausgabe 3/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2021

Seite 16

In Kliniken und Arztpraxen, aber auch in Krankenkassen, Institutionen und Verbänden sind Frauen zahlenmäßig stark vertreten. Doch die Führungspositionen im Gesundheitswesen sind überwiegend von Männern besetzt. Das geplante Führungspositionengesetz II der Bundesregierung will mehr Teilhabe für Frauen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst schaffen, die ärztliche Selbstverwaltung bleibt jedoch rein formal außen vor.

von Vassiliki Latrovali

„Wir sind gut. Wir sind viele. Und wir wollen mehr: Mehr Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen.“ Dieser Satz stammt von der Homepage der Spitzenfrauen Gesundheit e.V. Seit dem vergangenen Jahr ist die einstige Initiative „Spitzenfrauen im Gesundheitswesen“ ein Verein. „Wir wollten das Ganze weiter vorantreiben. Als Verein hat man eine Satzung, man setzt sich Ziele, man ist sichtbarer“, berichtet Dr. Christiane Groß, Gründungs- und Vorstandsmitglied und Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie aus Wuppertal. Das Engagement der Spitzenfrauen richte sich nicht nur an Ärztinnen, sondern an Frauen aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. „Wir möchten erreichen, dass sich endlich auch bei der Besetzung von Spitzenposten die Arbeitswirklichkeit widerspiegelt. Das Führungspositionengesetz II der Bundesregierung ist ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung“, sagt Groß, die auch als Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes und im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein aktiv ist.

Spitzenfrauen in Nordrhein

In der Bundesärztekammer, den Landesärztekammern, bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, in Fachgesellschaften oder Berufsverbänden seien Ärztinnen in Spitzenpositionen derzeit nicht angemessen vertreten. „In der ärztlichen Selbstverwaltung ist eine Quote tatsächlich problematisch. Vor der Besetzung der Gremien steht ja immer eine Wahl an. Man müsste dementsprechend die im Bundesland gültigen Wahlordnungen verändern. Das ist in Nordrhein-Westfalen allein schon durch die Koordination von zwei Ärztekammern sehr schwierig“, meint Groß. Bei den Deutschen Ärztetagen, so die Allgemeinmedizinerin, war die Zahl der weiblichen Delegierten über Jahre hinweg annähernd gleich. Sie lag immer zwischen 15 und maximal 22 Prozent. Beim 122. Deutschen Ärztetag in Münster wurde erstmals ein Anteil von 27,6 Prozent erreicht. 

„Aktuell haben wir in Nordrhein nur die Möglichkeit, die Sensibilität für das Thema zu erhöhen. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan. Die Kammerversammlung hat sich verjüngt und sie ist auch etwas weiblicher geworden.“ Allerdings seien viele Ärztinnen nach einer Wahlperiode in der Selbstverwaltung häufig nicht mehr bereit für einen zweiten Anlauf. „Oftmals ist ihnen das System zu unflexibel oder sie stoßen an die sogenannte gläserne Decke. Viele Kolleginnen aber auch Kollegen fühlen sich vielleicht nicht ausreichend gehört. Dabei sollte unser Ziel bei der Gremienarbeit eine gute Mischung aus der Erfahrung der älteren Ärztegeneration und der Innovation der jüngeren Ärztinnen und Ärzte sein.“ 

Melissa Camara Romero, Vorsitzende des Ausschusses Junge Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammer Nordrhein, hat in dieser Hinsicht positive Erfahrungen gemacht: „Ich wurde als junge Kollegin in der Berufspolitik stets gefördert. Für mich ist aber die größte Hürde, Privatleben, berufliche Verpflichtungen und mein berufspolitisches Engagement unter einen Hut zu bekommen. Die Dienstbelastung macht es schwer, genügend Zeit für ein ehrenamtliches Engagement zu finden. Ich habe das Glück, dass meine Kolleginnen und Kollegen mir immer wieder in den Dienstplanbesprechungen entgegenkommen, damit ich an den Sitzungsterminen frei habe. Das ist leider nicht selbstverständlich.“ Dass die aktuellen Arbeitsbedingungen der jungen Ärztegeneration den Weg in die ärztliche Selbstverwaltung erschweren, findet auch Groß: „Wenn wir es hinbekommen, dass Ärztinnen und Ärzte eine normale 40-Stunden-Woche haben, inklusive Wochenend- und Nachtdiensten, gäbe es einen großen Freiraum für das Familienleben und natürlich auch für das ehrenamtliche Engagement.“ 

Der Weg hinein in die Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung ist nicht immer einfach. „Ich habe zunächst etwa fünf Jahre in meiner Fraktion mitgearbeitet, ohne gewähltes Mitglied der Kammerversammlung zu sein. Bei der vergangenen Kammerwahl wurde ich auf einen soliden Listenplatz gesetzt, aber es reichte nicht für die Kammerversammlung. Daraufhin traten eine Kollegin und ein Kollege zurück, um mir einen Platz frei zu machen“, sagt Camara Romero, die Fachärztin für Innere Medizin ist. Auch Dr. Anja Mitrenga-Theusinger, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein, engagierte sich bereits, bevor sie Delegierte der Kammerversammlung wurde: „Ich war im Marburger Bund, sowohl auf Landes als auch auf Bundesebene, tätig. Dies gab mir die Chance, auf einer Wahlliste zur Kammerwahl platziert zu werden.“ 

Netzwerke und Rollenbilder

Laut Statistischem Bundesamt übernehmen Frauen in Deutschland auch heute noch den Großteil der Familienarbeit (66 Prozent). „Das hat etwas mit Rollenbildern und Stereotypen zu tun. Es ist die Haltung der Gesellschaft. Es zeigt einmal mehr, dass wir neue Beispiele benötigen, die zeigen, es geht auch anders“, sagt Groß. Neue Rollenmodelle seien besonders für Spitzenpositionen gefragt. „Ein reines Männergremium sieht die Probleme junger Frauen im Beruf einfach nicht. Wir brauchen aber alle Perspektiven. Je bunter die Gremienbesetzung, desto mehr können wir auch erreichen.“ Es könne nicht sein, so die Präsidentin des Ärztinnenbundes, dass ein ganzes Land bei dem Wort Chefarzt unbewusst und automatisch zuerst an einen Mann denke. „Solange von Frauen in Spitzenpositionen immer noch mehr verlangt wird als von Männern, und Frauen sich mehr beweisen und mehr aushalten müssen, drehen wir uns im Kreis“, betont Groß. 

„Ich persönlich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht. Trotzdem kenne ich aber viele Frauen, für die es im Vergleich zu männlichen Konkurrenten sichtlich schwerer war, eine entsprechende Position zu erlangen“, ergänzt Mitrenga-Theusinger. Sie habe auch in der ärztlichen Berufspolitik den despektierlichen Umgang mit Frauen erlebt. „Da muss man sich dann nicht wundern, warum sich Frauen wieder abwenden und kein Interesse daran haben, sich weiter zu engagieren.“

Besonders schwierig ist es Groß zufolge, eigene Netzwerke zu knüpfen. „Früher wurden Frauen-Netzwerke belächelt, nach dem Motto, was macht ihr denn da für ein Kaffeekränzchen“, erklärt Groß. Das Networking der Frauen im Gesundheitswesen sei weniger beiläufig als die klassischen Männer-Stammtische. „Ich erlebe inzwischen in meiner Vorstandsarbeit, dass das Netzwerken funktionieren kann. Auch in den Fachgesellschaften gibt es inzwischen mehr und mehr Frauen-Netzwerke. Dies hilft uns besonders beim Austausch“, sagt Groß.