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Meinung

Kassen im Defizit

30.09.2021 Seite 3
RAE Ausgabe 10/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2021

Seite 3

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein © Jochen Rolfes

Die 103 Krankenkassen in Deutschland verzeichneten im ersten Halbjahr 2021 ein Defizit von 1,9 Milliarden Euro. Den Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Höhe von rund 138,4 Milliarden Euro standen Ausgaben von rund 140,3 Milliarden Euro gegenüber. Wie das Bundesgesundheitsministerium im September berichtete, war die Finanzentwicklung der GKV in der ersten Jahreshälfte geprägt von der Pandemie.

Die Frage, wie sich der Steuerzuschuss zur GKV angesichts der zu erwartenden Defizite im Jahr 2022 entwickeln wird, soll nach der Bundestagswahl beantwortet werden. Die Bundesregierung will abwarten, bis Mitte Oktober die Prognose des Schätzerkreises beim Bundesamt für Soziale Sicherung über die finanzielle Entwicklung der GKV im kommenden Jahr vorliegt.

Bundesfinanzminister und Bundesgesundheitsminister haben sich bereits geeinigt, den Bundeszuschuss coronabedingt von 14,5 Milliarden Euro auf 21,5 Milliarden Euro zu erhöhen, um die Zusatzbeiträge bei rund 1,3 Prozent stabil und die gesamten Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent zu halten. Spitzenvertreter der GKV sehen Bedarf für weitere sieben Milliarden für 2022 aus dem Bundeshaushalt.
Eine Diskussion über einen höheren Steuerzuschuss zur GKV in der Mitte des Monats Oktober könnte den Befürwortern einer Einheitsversicherung als Argument gerade recht kommen. Es ist zu befürchten, dass einmal mehr das duale System in Frage gestellt werden wird mit dem Argument, dass die GKV eine breitere Einnahmenbasis benötige.

Dabei hat sich gerade in der Pandemie unsere im internationalen Vergleich erstklassige Gesundheitsversorgung bewährt, die kaum vorstellbar wäre ohne das historisch gewachsene, duale System der Krankenversicherung. Die Wechselwirkungen zwischen GKV und Privater Krankenversicherung (PKV) sind förderlich für die Gesundheitsversorgung insgesamt. So lassen sich in einer dualen Ordnung die Leistungsunterschiede zwischen GKV und PKV vergleichen, was die Rationierung in der GKV bremst. Auch ist die PKV mit der Einführung von Innovationen häufig schneller als die GKV.

Für die Versicherten liegt der große Vorteil der GKV darin, dass sie allen die gleichen Leistungen gewährt, unabhängig von der Höhe des nach Einkommen bemessenen Beitrags. Ein Nachteil hingegen ist der Verzicht auf Entscheidungsfreiheit: Gesetzgeber und Gemeinsamer Bundesausschuss definieren das Leistungsniveau der GKV und können es jederzeit absenken. Der Wettbewerb mit der PKV, in der die Versicherten die Leistungen individuell vereinbaren können, erschwert Leistungskürzungen und wirkt damit auch zugunsten der GKV-Versicherten.

Die aktuellen Finanzprobleme der GKV sind schon allein deswegen kein guter Grund, das Erfolgsmodell einer auf zwei Säulen gebauten Krankenversicherung in Frage zu stellen.


Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein