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Praxis - Arzt und Recht - Folge 132

Ist ein Kaufvertrag über einen Patientenstamm strafbar?

24.11.2022 Seite 30
RAE Ausgabe 12/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2022

Seite 30

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 9. November 2021 in einem bemerkenswerten Hinweisbeschluss (AZ: VIII ZR 362/19) ausgeführt, dass ein Kaufvertrag, der den Patientenstamm einer Zahnarztpraxis zum Gegenstand hat, nicht nur gegen das berufsrechtliche Verbot der sogenannten Zuweisung gegen Entgelt verstößt, sondern zudem strafbare Korruption darstellen könnte.

von Katharina Eibl und Dirk Schulenburg

Die Parteien, beide Zahnärzte, schlossen einen „Kaufvertrag Patientenstamm“, in dem die Veräußerung des Patientenstamms der Praxis der Beklagten an den Kläger geregelt war. Der Kaufvertrag enthielt unter anderem folgende Regelungen:

  • eine Umleitung sämtlicher Anrufe von der alten in die neue Praxis,
  • eine Umleitung der Aufrufe der Internetseite der alten auf die neue Domain,
  • eine vollständige Übernahme der Patientenkartei,
  • die Vereinbarung eines Kaufpreises in Höhe von 12.000 Euro.

Die Verkäuferin verpflichtete sich darüber hinaus, ihre Patientinnen und Patienten mit einem Rundschreiben über die Beendigung ihrer Tätigkeit als Zahnärztin und die „Übernahme der Patienten“ durch den Kollegen zu informieren und ihnen die Fortsetzung der Behandlung durch den Kollegen zu empfehlen.

Verfahrensgang

Der Kläger begehrte von der Verkäuferin die Erfüllung des Kaufvertrags. Er habe Anspruch auf die Übergabe der Patientendaten, die Einrichtung der Telefon- sowie Domainumleitung sowie die Patienteninformationen, sobald er den Betrag von 12.000 Euro gezahlt habe (§ 433 Abs. 1 BGB). Es liege ein wirksamer Vertrag vor. Nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ sei die Beklagte zur Erfüllung verpflichtet. Das Landgericht (LG) Regensburg wies die Klage ebenso (Urteil vom 6.2.2019 - 64 O 1580/18) wie das zweitinstanzlich zuständige Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg (Urteil vom 26.11.2019 - Az. 6 U 713/19) ab. Die vom Kläger eingelegte Revision wurde nach dem hier besprochenen Hinweisbeschluss
des BGH zurückgenommen.

Die Entscheidung – Achtung Korruption!

Das OLG Nürnberg hatte seine Entscheidung darauf gestützt, dass der vereinbarte „Verkauf des Patientenstamms“ den Tatbestand der Bestechung im Gesundheitswesen nach § 299a, 299b Strafgesetzbuch (StGB) erfülle. Die Gewährung eines Vorteils (12.000 Euro) für die Zuführung von Patienten stelle eine sogenannte Unrechtsvereinbarung dar. Es gehe hier nicht um eine Praxisübernahme als Ganzes, Gegenstand des Vertrages sei vielmehr die Veräußerung einzelner Vermögenswerte (Patientenstamm, „Goodwill“) an einen Dritten. Die Frage der Strafbarkeit ließ der BGH offen. Die Nichtigkeit des Kaufvertrages ergebe sich schon daraus, dass die vereinbarte Veräußerung des Patientenstamms eindeutig gegen berufsrechtliche Standesvorschriften verstoße (§ 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die bayerischen Zahnärzte, der inhaltsgleich ist mit § 31 Abs. 1 der (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte). Dass es sich bei den vereinbarten Maßnahmen um eine entgeltliche Zuweisung handele, liege auf der Hand, denn vom Begriff der Zuweisung seien insbesondere auch Empfehlungen erfasst. Zweck der Regelung sei, dass „sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet“. Es gehe um den Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit und den Schutz des Vertrauens des Patienten in die Sachlichkeit ärztlicher Entscheidungen. Das Gericht hat zwar das durchaus schützenswerte Interesse der Beklagten gesehen, ihre Zahnarztpraxis wirtschaftlich zu verwerten, sowie das an sich berechtigte Interesse (Art. 12 Abs. 1 GG) des Klägers, seine bestehende Praxis zu vergrößern. Es könne aber kein Recht eines Arztes an bestimmten Patienten begründet werden. Ein Verkauf des Patientenstamms an sich sei daher nicht möglich. Patienten könnten ihren Arzt grundsätzlich frei wählen. Veräußert werden könnten nur ihre Daten verbunden mit dem Versuch, sie zur Weiterbehandlung durch den Erwerber zu bewegen. Mit den hier getroffenen Abreden hätten die Parteien die Grenze des Zulässigen überschritten. Patienten sollten nicht nur durch Umleitung auf die Domain und Telefonnummer dem Kläger zugeführt werden, sondern die Beklagte sollte den Kläger ausdrücklich nach § 4 S. 2 des Vertrages „empfehlen“. Da es sich bei dem sogenannten Zuweisungsverbot um ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB handele, sei der Kaufvertrag insgesamt nichtig.

Zuweisungsverbot

Allgemein gilt im ärztlichen Berufsrecht das Verbot der Zuweisung von Patienten ohne Grund. Bereits die Verweisung eines Patienten an einen anderen ärztlichen Leistungserbringer ist demnach unzulässig. Ausnahmen bestehen dann, wenn der Patient ausdrücklich nach einer Empfehlung gefragt hat oder ein hinreichender Grund (Qualität der Versorgung, Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten, schlechte Erfahrungen mit anderen Anbietern) vorliegt. Erhält der Arzt für die Empfehlung darüber hinaus ein Entgelt, verstößt dies gegen das berufsrechtlich verankerte Verbot der Zuweisung gegen Entgelt. Zudem kann die Zuweisung strafbar wegen eines Verstoßes gegen die Regelungen das Antikorruptionsgesetzes, (§§ 299 a, 299 b StGB) sein.

Materieller Vermögenswert sollte ebenfalls veräußert werden Beim Verkauf einer Arztpraxis sollte darauf geachtet werden, dass neben dem immateriellen Vermögenswert auch ein materieller Vermögenswert veräußert wird. Schon aus steuerlichen Gesichtspunkten wird ein Übernehmer ohnehin darauf bedacht sein, die gesamte Praxis des Abgebers zu erwerben, damit die Abschreibungsfähigkeit erhalten bleibt.

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.