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Praxis – Arzt und Recht – Folge 127

Werbung für ärztliche Fernbehandlung

18.01.2022 Seite 21
RAE Ausgabe 2/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2022

Seite 21

Der Bundesgerichtshof (BGH) und das Landgericht Koblenz haben entschieden, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf.

von Katharina Eibl und Dirk Schulenburg

Werbung für Fernbehandlung ist nach § 9 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz, HWG) nur zulässig, wenn bei der beworbenen Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit den Patientinnen und Patienten nicht erforderlich ist. Zu den Voraussetzungen, wann dies der Fall ist, hatten kürzlich sowohl das Landgericht Koblenz (Urt. v. 15.6.2021 – 1 HKO 29/21) als auch der BGH (Urt. v. 9.12.2021, Az.: I ZR 146/20) zu entscheiden.

Landgericht Koblenz


 

In dem Fall, der vor dem Landgericht Koblenz verhandelt wurde, hatte ein niedergelassener Facharzt per E-Mail für medizinische Ferndiagnosen und Therapien geworben. In seiner Privatpraxis sollten im Rahmen der „Raumfahrt- und Regulationsmedizin“ diagnostische, therapeutische und medizinische Fachgespräche per Telefon und Video durchgeführt werden. Aus den Photonen der vom Patienten einzusendenden Fotos und den Schwingungen der DNA zugesendeter Kopfhaare würden „fast alle bekannten Viren, Bakterien und 
Parasiten“ ermittelt. Es erfolge eine „ausgezeichnete Diagnostik für alle Organsysteme, einschließlich der Erfassung von Funktionsstrukturen“.
Das Gericht kam zu der Überzeugung, der Arzt werbe für eine gemäß § 9 S.1 HWG dem Grundsatz nach unzulässige Fernbehandlung. Zwar sei das Verbot nach § 9 Abs. 2 HWG nicht anwendbar, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich sei. Dass dies der Fall sei, habe der Arzt aber nicht dargelegt. Er hätte im Gerichtsverfahren begründen müssen, inwiefern die beworbene „Diagnostik für alle Organsysteme“ diesen Voraussetzungen entspreche.

Bundesgerichtshof


In dem Fall, der vor dem BGH verhandelt wurde, hatte die beklagte private Krankenversicherung auf ihrer Internetseite für den „digitalen Arztbesuch“ mit der Aussage geworben: „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ 
Ob eine solche Behandlung den allgemein anerkannten fachlichen Standards entspreche, sei, so der BGH, unter Rückgriff auf die den entsprechenden zivilrechtlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag und die dazu ergangene Rechtsprechung auszulegen. Danach können sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und sich etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §§ 92 und 136 SGB V ergeben.
Die beklagte private Krankenversicherung habe für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung im Wege der Fernbehandlung geworben. Diese umfassende Versorgung von Patientinnen und Patienten entspricht nach Auffassung des BGH jedenfalls derzeit nicht den allgemeinen fachlichen Standards.

Konsequenzen für die Praxis


Da es sich bei der Behandlung im persönlichen Kontakt nach wie vor um den Goldstandard handelt, kommt es für die Frage der Zulässigkeit darauf an, ob derjenige, der die Fernbehandlung anbietet und für sie wirbt, darlegen und gegebenenfalls im Rahmen eines gerichtlich eingeholten Gutachtens beweisen kann, dass nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit der Patientin oder dem Patienten nicht erforderlich ist. 

Berufsrecht

Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist berufsrechtlich nach § 7 Abs. 3 MBO-Ä im Einzelfall erlaubt, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird (…)“.
Eine Argumentation, warum die Modelle den Vorgaben des § 7 Abs. 3 BO entsprechen, sollte schon aus berufsrechtlichen Gründen vorgehalten werden. Aber auch hinsichtlich möglicher Abmahnungen durch Wettbewerber ist es ratsam, sicherzustellen, dass die der BO entsprechenden Vorgaben des § 9 S. 2 HWG eingehalten werden und dies im Streitfall nachgewiesen werden kann. Nicht zuletzt ist ein Verstoß nach § 15 HWG bußgeldbewehrt. 

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.