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Ärztetag in Bremen: 260 Anträge und ein Wiedersehen

21.06.2022 Seite 18
RAE Ausgabe 7/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2022

Seite 18

Der erste Präsenz-Ärztetag seit Beginn der Coronapandemie schlug direkt mit starken Themen auf: Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens oder der Ukraine-Krieg. Wie die nordrheinischen Delegierten den 126. Deutschen Ärztetag in Bremen ganz persönlich erlebt haben, erzählen sie in der nunmehr 29. Delegiertenumfrage des Rheinischen Ärzteblattes.

Die Temperaturen waren frisch, der Wind blies kräftig um die Ecken und die Wolken gaben hin und wieder einen Blick frei auf den blauen Himmel – Zeit zum Aufbruch. Im Gepäck die perfekte Werbe-Dose aus Nordrhein mit dem „Bütterken“ und der Vorfreude auf den Ärztetag 2023 in Essen. Der 126. Ärztetag in Bremen ging mit einem disziplinierten Abstimmungsmarathon zu Ende, sehr routiniert geleitet von Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt. Auf seine Weise routiniert wirkte auch Karl Lauterbach, inhaltlich dagegen war seine Rede eine Enttäuschung. Von einer GOÄ-Neu dürfen wir Ärzte weiter träumen, ernste Bemühungen für eine Reform stellte der Gesundheitsminister nicht in Aussicht. 

Gänsehautgefühl kam bei zwei Themen auf: Bei Wortbeiträgen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine herrschte innerhalb der Ärzteschaft tief verbundene Einigkeit, der als Gastredner geladene ukrainischer Ärztevertreter wurde mit stehendem Applaus verabschiedet. Referenten, die über die Auswirkungen der Coronapandemie auf Kinder und Jugendliche sprachen, brachten eine Diskussion in Gang, die konzentriert, informativ und gleichzeitig sehr berührend wirkte. Fazit: kluge Vorbereitung auf eine neue Welle im Herbst, aber keine Kita- oder Schulschließungen, die Auswirkungen auf die Gesundheit dieser vulnerablen Gruppe wären dramatisch. 
Als Dauerbrenner mit viel Zündstoff erwies sich wieder einmal das Thema Digitalisierung, vor allem die vorgesehene Opt-out-Variante bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Auch bei den zahlreichen Beiträgen rund um die Gendergerechtigkeit hatte man den Eindruck, dass es sich um ein Dauerthema handelt, mit bisweilen skurrilen Auswüchsen: der Antrag auf Geschlechterparität bei der Erstellung der Redeliste wurde abgelehnt – bis zum nächsten Ärztetag. 
Diesjähriges Highlight war unbestritten die Freude darüber, wieder direkt miteinander sprechen zu können, anstatt sich mit virtuellen Gesichter-Kacheln auszutauschen. Der direkte zwischenmenschliche Kontakt ist und bleibt unverzichtbarer Bestandteil eines gelungenen Ärztetags – wir haben ihn alle lange vermisst.
 

Dass der 126. Deutsche Ärztetag – anders als in den beiden Vorjahren – nun wieder in Präsenz stattgefunden hat, habe ich als große Bereicherung empfunden. Berufspolitische Diskussionen konnten so ungleich lebendiger geführt werden, die Meinungsbildung war übersichtlicher und die Entscheidungsfindung erheblich transparenter. Wenn sich Rückfragen zu Beschlussanträgen ergaben, konnten diese mit den Antragsstellenden im direkten Austausch geklärt werden. Für die späteren Abstimmungen war dies überaus hilfreich. Denn es wurden auch auf diesem Ärztetag für uns Ärztinnen und Ärzte sehr wichtige Themen wie Versorgung, Berufsausübung, Aus- und Weiterbildung sowie Digitalisierung behandelt. 

Darüber hinaus hatte ich in Bremen Gelegenheit, mit Kolleginnen und Kollegen insbesondere für den Öffentlichen Gesundheitsdienst relevante Punkte zu erörtern. Als Beispiel nenne ich die Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten für Öffentliches Gesundheitswesen. Denn die Notwendigkeit eines qualitativ und quantitativ gut aufgestellten Öffentlichen Gesundheitsdienstes hat die COVID-19-Pandemie uns allen sehr eindrücklich vor Augen geführt. 

Und zu guter Letzt war Bremen für mich in gewisser Weise ein zweites Zuhause, da ich hier Verwandtschaft habe. Auf den 127. Deutschen Ärztetag in Essen, der für alle Nordrheinerinnen und Nordrheiner ein Heimspiel werden wird, freue ich mich schon jetzt!
 


Die deutsche Ärzteschaft hat an den Gesetzgeber appelliert, den Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses, Kriterien für ein Ersteinschätzungsverfahren zu beschließen, auszusetzen, bis das Gesamtkonzept für die dringend notwendige Gesamtreform der Notfallversorgung steht. Ein Schwerpunktthema des Ärztetags war zudem die Situation von Kindern in der COVID-19-Pandemie mit sehr interessanten Vorträgen. Für mich ein weiterer sehr wichtiger Punkt war die Forderung nach einem zentralen Impfregister. Insgesamt habe ich den deutschen Ärztetag in Bremen als spannend und informativ empfunden. 
 


Endlich fand wieder ein Präsenzärztetag über die vollen vier Tage mit vielen Diskussionen statt. Zu Beginn wiederholte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach leider erneut, dass er voraussichtlich die hoffnungslos veraltete GOÄ nicht durch die von der Bundesärztekammer erarbeitete neue GOÄ mit modernen Leistungslegenden ersetzen und auch trotz der seit 1996 gleichen Preise und der derzeitigen Inflation keine Honoraranhebung der bisherigen GOÄ plane. 

Die wichtigsten Themen des Ärztetages waren für mich die immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung der ärztlichen Tätigkeit und die Probleme bei der Digitalisierung unseres Arbeitsalltages. Die Redebeiträge und Anträge zur Digitalisierung stellten klar, wie stark unser Arbeitsalltag durch nicht oder nur unzureichend funktionierende Vorgaben der gematik zur Telematik-Infrastruktur gestört wird. Das Ministerium und die gematik forcieren nur Anwendungen, die in den derzeitigen Planungen unsere Arbeit nur behindern, während die unsere Patientenversorgung verbessernden Anwendungen wie der Arztbrief- und der Bilddatenaustausch immer noch nicht so umgesetzt werden, dass sie unsere Arbeit einfacher und sicherer machen. 


Viele Eindrücke bleiben vom Ärztetag in Bremen.

Zunächst einmal die Freude, dass es nach drei Jahren endlich wieder möglich war, in diesem Forum in Präsenz miteinander zu diskutieren und an einzelnen Stellen auch zu streiten. Wieviel lebendiger wird die Diskussion, wenn sie nicht über Video, sondern in einem gemeinsamen Raum stattfindet. So können einfache Dinge wie Applaus, gelegentliches Lachen oder auch Murren miteinander geteilt werden und viele spontane Gespräche am Rand des Saales entstehen!

Es gab sehr gute Referate exemplarisch aus verschiedenen Sichten über die Belastung von Kindern und Jugendlichen in der Coronapandemie. Es gab auch sehr mühsame, immer wiederkehrende Diskussionen und Positionsbestimmungen wie die über die Wege der Digitalisierung im Gesundheitswesen. 

Bemerkenswert und wichtig fand ich, dass dieser Ärztetag – anders als noch vor wenigen Jahren – mit großer Mehrheit die Initiative der Bundesregierung zur Abschaffung des Paragraphen 219a unterstützt hat und damit ein Ende der Kriminalisierung von ärztlicher Information über Abtreibungen fordert. 
In der großen Fülle von mehreren hundert Anträgen sind sicher einzelne Themen zu kurz gekommen, andere haben polarisiert und relativ viel Raum eingenommen wie die Verwendung von gendergerechter Sprache in den Kammern.

Aber auch wegen solcher Diskussionen freue ich mich schon auf den kommenden 127. Deutschen Ärzt:innentag im Mai 2023 in Essen!