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Praxis

Einheitliche Ausbildung für die Pflege von Kindern, Alten und Kranken

22.02.2022 Seite 21
RAE Ausgabe 3/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2022

Seite 21

Krankenpflege, Kinderkrankenpflege, Altenpflege – bislang entschieden sich Bewerberinnen und Bewerber für einen dieser Berufe und absolvierten die entsprechende Ausbildung. Mit dem Pflegeberufegesetz wurden im Januar 2020 die Ausbildungsgänge zusammengeführt. Die Regelung zielt darauf, die Pflegeberufe durchlässiger und attraktiver zu machen. Ein Sachstandsbericht.

von Patricia Aden

Seit nunmehr zwei Jahren erfolgt die Ausbildung in der Pflege nicht mehr, wie bis dahin üblich, in den drei Sparten Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege, sondern im Rahmen einer gemeinsamen, sogenannten generalistischen Ausbildung. Abschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege sind aufgrund einer Übergangsregelung noch bis 2024 möglich. Außerdem haben die angehenden Pflegefachkräfte die Möglichkeit, den theoretischen Teil ihrer Ausbildung an einer Hochschule zu absolvieren.
 
Die Zusammenführung von drei traditionell unterschiedlichen Berufsbildern dient der Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung der Berufsqualifikationen. Die Richtlinie gibt detailliert die Bedingungen vor, unter denen die Länder der EU gegenseitig Berufsabschlüsse in der Pflege anerkennen. Wer einen Abschluss im Sinne der Richtlinie hat, kann in jedem EU-Staat als Pflegekraft arbeiten, ohne dass noch ein nationales Anerkennungsverfahren nötig ist. Das soll die Freizügigkeit innerhalb der EU erleichtern.  Allerdings gibt es zurzeit nur wenige deutsche Pflegekräfte, die im EU-Ausland arbeiten.  Dagegen ist die Zahl außereuropäischer Pflegekräfte, die in Deutschland tätig werden, deutlich gestiegen. Sie fallen jedoch nicht unter die Richtlinie.
 
Als weiteren Vorteil des neuen Ausbildungskonzepts neben der Freizügigkeit nennt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine größere Attraktivität des Pflegeberufes. Generalisten seien breiter einsetzbar und hätten deshalb größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das Argument dürfte sich in der aktuellen Situation, in der Pflegekräfte dringend gesucht werden, kaum auswirken. Es könnte aber durchaus von Bedeutung sein, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt ändert. Die großen Krankenhausträger dürften hingegen jetzt schon davon profitieren, dass ihre generalistisch ausgebildeten Pflegekräfte je nach Bedarf in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden können.

Unterricht orientiert sich am Praxisfall

Die Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann ist im Pflegeberufegesetz und in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe geregelt. Entsprechend der Gesetzesvorgabe wurde eine Fachkommission zur Erarbeitung eines Rahmenlehrplans eingerichtet. Auf dessen Grundlage erstellt jede anerkannte Pflegeschule ihr eigenes Curriculum. Wie es die EU-Richtlinie vorgibt, sind für den theoretischen Unterricht 2.100 Stunden und für die praktische Ausbildung 2.500 Stunden vorgesehen. Dabei sollen zehn Prozent der praktischen Ausbildung auf die Praxisanleitung verwendet werden, also darauf, berufliche Handlungskompetenzen zu vermitteln und Abläufe zu erklären.

Wie in vielen anderen Berufen hat auch in der Pflege die Lernfeldorientierung die Fachsystematik abgelöst (siehe Kasten Seite 22). An die Stelle von Fächern wie Anatomie, Krankheitslehre oder Gesetzeskunde sind Curriculare Einheiten (CE 1 bis 11) getreten, in denen die früheren fachsystematischen Inhalte vermittelt werden. Dabei kehren im Sinne eines Spiralcurriculums in verschiedenen Stadien der Ausbildung dieselben Inhalte wieder, allerdings mit steigenden Anforderungen an die Komplexität der Fälle.
Die EU-Richtlinie nennt ausdrücklich die Bezugswissenschaften für die Pflegeausbildung, darunter auch die Medizin. In der thematischen Ausfächerung der Curricularen Einheit findet man im Rahmenlehrplan allerdings nur wenige explizit medizinische Themen.

Eine weitere Anforderung an die neue Pflegeausbildung ist, dass sie kompetenzorientiert sein soll. Dazu heißt es im Rahmenlehrplan: „Kompetenz wird verstanden als die Fähigkeit und Bereitschaft, in komplexen Pflege- und Berufssituationen professionell zu handeln und sich für die persönliche und fachliche Weiterentwicklung einzusetzen.“ Herzstück des schulischen Unterrichts ist daher der Praxisfall, in welchem die Komplexität einer Pflegesituation dargestellt und bearbeitet werden kann.
Beispiel CE 05: Hier sollen die Auszubildenden unter anderem lernen, „alte Menschen in kurativen Prozessen pflegerisch [zu] unterstützen und Patientensicherheit [zu] stärken“. Dies umfasst so unterschiedliche Inhalte wie die Darstellung von Krankheitsverläufen, die Förderung von alten Menschen in der Selbstständigkeit, die Beachtung von Hygiene, die Behandlung von chronischen Wunden oder die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen – um nur einige Punkte aus der ausführlichen Kommentierung des Rahmenlehrplans zu nennen. 

Eigenes berufliches Selbstverständnis  

Die Neufassung der Pflegeausbildung ermöglichte es den Pflegenden, auch das eigene Berufsbild neu zu fassen. § 4 Pflegeberufegesetz listet die „vorbehaltenen Tätigkeiten“ auf, die nur von einer examinierten Pflegekraft ausgeführt werden dürfen. Das sind:

  • die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, 
  • die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses sowie 
  • die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.

 
Das verdeutlicht, dass die Pflege sich nicht vom ärztlichen Handeln ableitet, sondern ein eigenes Konzept geschaffen hat, das durch die Pflegwissenschaft untermauert ist. Die Medizin ist im Selbstverständnis der Pflegenden nur eine von mehreren Bezugswissenschaften, darunter Soziologie, Psychologie oder Biologie. Unter den Lerninhalten wird zwar auch „Ärztliche Anordnungen im Pflegekontext eigenständig durchführen“ genannt, aber eben nur als eine von vielen anderen Kompetenzen. Dazu kommen eigene Pflegediagnosen, die neben den medizinischen Diagnosen gestellt werden. 

Das Tätigkeitsspektrum ist vielseitig

Die Orte und der Kontext, in denen Pflege ausgeführt wird, sind sehr vielfältig: Neben dem Krankenhaus gibt es Tageskliniken, Altenheime, Reha-Einrichtungen, betreute Wohngruppen und das häusliche Umfeld. Die Pflegekraft muss dabei nicht nur ihre Patientinnen und Patienten, sondern auch die Schnittstellen – Angehörige, Krankenkasse, Medizinischer Dienst, Pflegeversicherung, Hausärztinnen und Hausärzte – im Blick haben. Das erfordert neben Kenntnissen der Versorgungsstrukturen und des Sozialrechts insbesondere gute kommunikative Fähigkeiten, sowohl gegenüber amtlichen Stellen als auch gegenüber den oft altersbedingt eingeschränkten Patientinnen und Patienten. Selbst wenn diese Tätigkeiten im beruflichen Alltag oft gar keine so große Rolle spielen, prägen sie doch das breit angelegte Berufsbild entscheidend.  Zum Vergleich: Der Beruf der Medizinischen Fachangestellten (MFA) ist als Helferberuf des Arztes konzipiert, auch wenn das in der Berufsbezeichnung heute nicht mehr erkennbar ist. Die Pflege hingegen hat eine lange eigene Geschichte, die mit der karitativen Tätigkeit von Ordensschwestern begann. Auch wenn der Pflegeberuf sich heute nicht mehr religiös, sondern professionell definiert, so ist doch der Anspruch geblieben, den Menschen ganzheitlich wahrzunehmen, ihm zu helfen und ihn ethisch verantwortungsvoll zu behandeln, wozu auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten gehört.
 
Alles in allem ist das Konzept der generalistischen Pflegeausbildung ein begrüßenswerter Fortschritt in der Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Zu fordern ist aber, dass die Erfahrungen mit dieser Neuregelung gesammelt und in regelmäßigen Abständen, zum Beispiel alle drei Jahre, bewertet werden. 


Dr. Patricia Aden ist stellvertretende Vorsitzende der Kreisstelle Essen der Ärztekammer Nordrhein und Ärztin in Lehrtätigkeit am Robert-Schmidt-
Berufskolleg in Essen. Am Essener Bildungsinstitut im Gesundheitswesen unterrichtet sie in der Pflege.