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Klimawandel: Warum wir viel wissen und trotzdem nicht handeln

25.10.2022 Seite 26
RAE Ausgabe 11/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2022

Seite 26

Die Menschen sind Weltmeister im Verdrängen. Das hilft ihnen in schwierigen Situationen, ihren Alltag zu bewältigen. Die Verdrängung als persönliche Überlebensstrategie kann aber zu einem großen Problem werden. Mit Blick auf den Klimawandel wirbt der Psychosomatiker Ludger Nohr für mehr Engagement und verspricht infolge dessen mehr Lebensqualität.

von Martin Bornemeier

Fast täglich berichten Medien über die Auswirkungen des Klimawandels. Extremwetterereignisse und Dürren nehmen zu. Die Folgen sind Ernteausfälle, Zerstörung und in den ärmeren Regionen der Welt Hunger und Vertreibung. Im Juli gab es in vielen Orten Deutschlands neue Hitzerekorde mit Temperaturen von über 40 Grad. Das Statistische Bundesamt gibt für die besonders heiße Sommerwoche vom 18. bis zum 24. Juli eine erhöhte Sterbezahl um 24 Prozent im Vergleich zum Mittel der Vorjahre an.

Wissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel und die damit einhergehende Erderwärmung schwere Folgen sowohl für die Umwelt als auch für die Gesundheit der Menschen hat. Sie werben seit Langem für eine konsequente Klimapolitik und eine nachhaltigere Lebensweise.

Informationen, wie Bürgerinnen und Bürger gerade im kommenden Winter Energie sparen und generell ihren CO2-Fußabdruck reduzieren können, finden sich auf allen Kanälen. Doch trotz dieses Wissens nutzen die Deutschen weiterhin das Auto für Kurzstrecken, ernähren sich ungesund, sind Tag und Nacht online und nutzen das Flugzeug statt der Bahn. Doch was sind die Mechanismen hinter diesen Verhaltensweisen?

Dr. Ludger Nohr ist Pädiater und Facharzt für Psychosomatische Medizin in Bergisch Gladbach, er engagiert sich bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit und hält Vorträge zum Thema Klimawandel und Psyche. Denn ihn beschäftigt das Phänomen, warum es den Menschen trotz der vielen Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel nicht gelingt, ihr Verhalten den Notwendigkeiten einer klimafreundlicheren Lebensführung anzupassen.

Routinierter Selbstschutz

„Auffällig ist der Unterschied im Umgang mit dem Thema zwischen der jungen und der älteren Generation“, sagt Nohr gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. Aus Gesprächen mit Jugendlichen in seiner Praxis wisse er um die Not, die sie angesichts einer zunehmend zerstörten Umwelt empfinden würden. Anders als Erwachsene seien Jugendliche nicht geübt darin, für sie individuell unlösbare Probleme auszublenden, erklärt Nohr. Die Folgen seien Zukunftsängste, Wut oder Traurigkeit über die unbelehrbare Erwachsenenwelt.

Dabei sei auch die Reaktion der Erwachsenen durchaus erklärbar. Erwachsene seien aus reinem Selbstschutz routinierter darin, große, scheinbar unlösbare Probleme auszublenden und sich zu sagen: „Es ist, wie es ist und wir müssen damit klarkommen“, berichtet Nohr. Diese für die psychische Gesundheit kurzfristig durchaus hilfreiche Verleugnung anstehender Probleme wirke sich aber fatal auf die derzeitigen Handlungsweisen im Kontext des Klimawandels aus. Denn aus der Verleugnung könne ein Gefühl der Nichtverantwortung erwachsen, das letztendlich zum Nichtstun führe. „Für mich ist das eine mögliche Erklärung, warum sich derzeit nur ein kleiner Teil der Gesellschaft zu einer nachhaltigeren und damit klimaschonenderen Lebensweise entscheidet“, sagt Nohr.

Grundsätzlich sieht Nohr daher auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse Vorgaben machen, effiziente Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels beschließen und diese der Bevölkerung nachvollziehbar erklären. Dabei müsse die Akzeptanz für klimapolitische Änderungen in der Gesellschaft durch bessere Kommunikation gesteigert werden. Dazu gehöre, besonders die Vorteile einer Verhaltensänderung wie bessere Luft, gesündere Natur, autofreie und grünere Städte beispielsweise erkennbar zu machen. Nur wenn die Menschen die einzelnen Maßnahmen als notwendig nachvollziehen und ihnen die klimafreundliche Wahl erleichtert werde, könnten sie diese auch mittragen. Im Zusammenspiel aus strukturellen Maßnahmen einerseits und einem klimavernünftigen Verhalten der Gesellschaft als Ganzes andererseits könne die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft gelingen. Diese Zuversicht gelte es zu verstärken – und zwar bei jungen und älteren Menschen gleichermaßen. „Dazu müssen wir mit allen auf allen Ebenen im Gespräch bleiben“, sagt er.

Wichtig: Patientengespräche

An dieser Stelle sieht Nohr auch die Chance für Ärztinnen und Ärzte, den Nutzen einer klimafreundlichen und gleichzeitig gesundheitsförderlichen Lebensweise in Patientengesprächen zu kommunizieren. „Wir Ärztinnen und Ärzte können vermitteln, dass zum Beispiel eine ausgewogene und weniger fleischlastige Ernährung und tägliche Bewegung nicht nur besser für die Gesundheit, sondern auch für das Klima sind.“