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Gesundheits- und Sozialpolitik

Das Revolutiönchen vor der Revolution

26.01.2023 Seite 20
RAE Ausgabe 2/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2023

Seite 20

   
Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz hat der Bundesgesundheitsminister nicht nur Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst, sondern einen ersten Schritt weg vom Fallpauschalensystem getan.

von Jürgen Brenn

Um markige Worte ist Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach nicht verlegen. Mehrfach sprach er im Zusammenhang mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG), das am 29. Dezember 2022 in Kraft trat, von einem ersten Schritt einer „Revolution“ in der deutschen Krankenhauslandschaft. 


Lauterbach sagte: „Mit dem ersten Krankenhausgesetz setzen wir wichtige Signale. Nicht mehr ökonomischer Zwang, sondern medizinische Notwendigkeit soll künftig in den Kliniken über die Behandlung entscheiden.“ Damit verweist Lauterbach darauf, dass dem Entlastungsgesetz eine große Krankenhausreform folgen soll. Die Diskussion darüber ist nach der Vorstellung der von einer Expertenkommission erarbeiteten Eckpunkte und den ersten Beratungen der Landesgesundheitsminister in vollem Gange.
Das KHPflEG soll vor allem einzelnen Bereichen des Gesundheitssektors kurzfristige Entlastungen und finanzielle Hilfen bringen. Ein Kernpunkt ist die prekäre Situation der Pflege in den Kliniken. In einem dreistufigen Verfahren soll das Instrument der Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) eingeführt werden. Am 1. Januar 2023 startete die Erprobungsphase mit einem Praxistest. Ab 2025 wird die Personalbemessung dann scharf gestellt und sanktioniert. Auch dem Bundesgesundheitsministerium ist klar, dass damit lediglich mittelfristig eine Verbesserung der Pflegesituation erreicht werden kann. Dr. rer. pol. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), sprach davon, dass eine „positive Entwicklung in der Pflege eingeleitet“ werde. Auf harsche Kritik stieß der Passus, dass die Finanzierung der Pflegeentlastung unter dem Vorbehalt des Bundesfinanzministeriums steht. Die Rechtsverordnung bezüglich des Pflegebedarfs kann nur „im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen“ erlassen werden, so der Gesetzestext. Dennoch begrüßte die DKG die Entscheidung, den Pflegeentgeltwert ab 1. Januar 2023 auf 230 Euro anzuheben und damit eine angemessene Refinanzierung der Pflegepersonalkosten für die Kliniken bereitzustellen.


Neben der Unterstützung der Pflege enthält das KHPflEG kurzfristige Entlastungen für die stationäre Pädiatrie und Geburtshilfe. Für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird das im Jahr 2019 erbrachte Erlösvolumen weitgehend unabhängig von den tatsächlich erbrachten Leistungen auch für die Folgejahre garantiert. Das Erlösvolumen von 2019 wird bis 2022 fortgeschrieben und jeweils für das Jahr 2023 und 2024 zusätzlich um 300 Millionen Euro aufgestockt. Durch die Garantie will der Bund erreichen, dass die Versorgung von Kindern und Jugendlichen gegenüber der leistungsorientierten Logik des Fallpauschalensystems abgesichert wird. Die stationäre Pädiatrie wird damit aus dem DRG-System herausgelöst.
Um Geburtshilfeabteilungen in Krankenhäusern zu unterstützen, erhalten die Länder zusätzlich Geld nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Für Nordrhein-Westfalen sieht das Gesetz für dieses und kommendes Jahr jeweils knapp 25,3 Millionen Euro Förderbeträge vor. Bei der Festlegung der konkreten Höhe je Krankenhausstandort, die die Länder vornehmen, sind laut Gesetz unter anderem die Vorhaltung einer Fachabteilung für Pädiatrie, einer Fachabteilung für Neonatologie, ein bestimmter Anteil vaginaler Geburten und die Geburtenzahl zu berücksichtigen. Insgesamt beträgt das Fördervolumen für die Jahre 2023 und 2024 jeweils 120 Millionen Euro.


Weitere Punkte, die weg vom bisherigen DRG-System führen, sind die Krankenhaustagesbehandlung und die spezielle sektorengleiche Vergütung bestimmter Behandlungen, die sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden können. Damit sollen Übernachtungen im Krankenhaus für Patientinnen und Patienten vermieden werden, bei denen dies nicht notwendig erscheint. Ein vom Gesetzgeber erhoffter Nebeneffekt: Nachtdienste von Pflegepersonal könnten sich verringern. Der DKG-Vorsitzende Gaß sagte dazu: „Die Einführung von Hybrid-DRGs und tagesklinischer Behandlung sind echte Paradigmenwechsel. Es bleibt abzuwarten, ob diese Reformstücke am Ende zum großen Ganzen passen.“ Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, gab vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und vielen Singlehaushalten zu bedenken: „Wir müssen den Menschen weiterhin die Möglichkeit geben können, nach einem Eingriff im Krankenhaus zu bleiben, wenn sie sich nicht ausreichend allein versorgen können.“ 
Das KHPflEG verbessert auch die bisherige Förderung der Weiterbildung zum Facharzt- oder zur Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie. Voraussetzung ist, dass die Weiterbildung in den Jahren 2016 bis 2025 begonnen wurde. Ab 2023 erhöht sich die jährliche Förderung auf 40.000 Euro. Eine in diesem Zeitraum begonnene Zusatz-Weiterbildung Infektiologie wird einmalig mit 30.000 Euro im Rahmen des Erlösbudgets bezuschusst.
 

Weitere Regelungen außerhalb des Kliniksektors

  • Zukünftige paritätische Besetzung von Vorständen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
  • Praxen erhalten ab Juli 2023 eine monatliche Pauschale für Ausgaben im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur
  • Verbesserungen der Versorgung von Long-COVID-Patienten
  • Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit von digitalen Anwendungen im Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung